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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Angelegenheiten ordneten und von dem aus sie machtgebietend Einfluß auf das
Land ringsum ausübten, ihre Freundschaft und ihren Schutz den Fürsten und
Städten begehrenswert zu machen wußten. Erwins Dom hat den schweren
Stürmen der Zeit getrotzt und strahlt jetzt verjüngt, in der Morgensonne des
neuen Reiches, so jugendfrisch wie damals am Johannistage des Jahres 1439,
wo die Bauzünfte abgerüstet hatten. Von des Münsters stattlichem Schwester¬
bau aber, der Verfassung, ist kaum eine Spur mehr vorhanden; nur hie und
da finden sich dürftige Erinnerungen, mahnt der Name dieser oder jener Gasse,
dieses oder jenes Haus oder Abzeichen an die alte Znnftherrlichkeit. Urkunden
und Abschriften geben uns freilich Nachricht davon, wie diese Verfassung ge¬
wesen. Nirgends finden wir aber eine Kunde, wer eigentlich die Schöpfer dieses
Wunderwerkes waren, Ihre Namen sind mit verweht; wie ja auch alte Volks¬
lieder auf unsre Zeit gekommen sind, ohne das; wir wissen, wer sie gedichtet hat.

Solange jene feierlichen Versammlungen in dem alten freien Straßburg
gehalten wurden, so lange blieb den Bürgern der Sinn für den hohen Wert
ihrer zuuftmäßigen Verfassung rege, und es erfüllte sie mit Stolz, wenn das
Lob des Hortes ihrer bürgerlichen Freiheit und Macht gesungen wurde. Voll
Bewunderung hingen denu auch die Blicke der Zeitgenossen an diesem Staats-
wesen, und Geschichtschreiber, Schriftsteller und Dichter erschöpfen sich in ihren
Lobsprüchen. Sebastian Franck rühmt in seiner "Chronim des ganzen Teutschen
Reiches" die trotz der großen Freiheit bestehende gute Polizei und große Einig¬
keit der Bürger. Es werde "auch selten allda etwas Freventliches fürgenommen
und ungern Blut vergossen, gekriegt oder über Blut Recht gesprochen; sogar
daß bei Etlichen das Sprichwort worden ist: was man anderswo henkt, das
streicht man zu Straßburg mit Unten aus." Im Jahre 1614 schreibt Erasmus
von Rotterdam an Jakob Wimphcling begeistert von dem "Adel ohne Partei-
ungen, der Volksherrschaft ohne Beunruhigung, der Monarchie ohne Allein¬
herrschaft" und apostrophirt den seligen Pluto: Iltiimm in lmiuLuraäi rour-
Mblicziurr, äivwo ?in,t>0, Mi oontigissot inviäörs! Irio niinirurn, die, lieuissst
iÜMi train oivitittmrr vors l'olioviu inLtituvrö! In dem ruhmvollen Jahre
des großen Strcißbnrgcr Freischießens 1576 besingt der schweizerische Dichter
Ulrich Wirrh die Stadt und


ihr groß Wysheit ihrer Regenten
in geistlich, weltlich Negünenten.

Fast ein halbes Jahrhundert später, 1620, greift Martin Opitz in die Saiten
und fingt von der "feinen Polizey, der weisen Recht und That, von großer
Höflichkeit der Männer und der Frauen":


kein Ort wird je gefunden weit und breit,
der ihnen gleichen arg an Mi und Freundlichkeit.

Und selbst die kühle Kritik des neunzehnten Jahrhunderts huldigt dem wunder¬
baren staatlichen Organismus. Gustav Schmoller sagt: "Das Meiste, was wir


Angelegenheiten ordneten und von dem aus sie machtgebietend Einfluß auf das
Land ringsum ausübten, ihre Freundschaft und ihren Schutz den Fürsten und
Städten begehrenswert zu machen wußten. Erwins Dom hat den schweren
Stürmen der Zeit getrotzt und strahlt jetzt verjüngt, in der Morgensonne des
neuen Reiches, so jugendfrisch wie damals am Johannistage des Jahres 1439,
wo die Bauzünfte abgerüstet hatten. Von des Münsters stattlichem Schwester¬
bau aber, der Verfassung, ist kaum eine Spur mehr vorhanden; nur hie und
da finden sich dürftige Erinnerungen, mahnt der Name dieser oder jener Gasse,
dieses oder jenes Haus oder Abzeichen an die alte Znnftherrlichkeit. Urkunden
und Abschriften geben uns freilich Nachricht davon, wie diese Verfassung ge¬
wesen. Nirgends finden wir aber eine Kunde, wer eigentlich die Schöpfer dieses
Wunderwerkes waren, Ihre Namen sind mit verweht; wie ja auch alte Volks¬
lieder auf unsre Zeit gekommen sind, ohne das; wir wissen, wer sie gedichtet hat.

Solange jene feierlichen Versammlungen in dem alten freien Straßburg
gehalten wurden, so lange blieb den Bürgern der Sinn für den hohen Wert
ihrer zuuftmäßigen Verfassung rege, und es erfüllte sie mit Stolz, wenn das
Lob des Hortes ihrer bürgerlichen Freiheit und Macht gesungen wurde. Voll
Bewunderung hingen denu auch die Blicke der Zeitgenossen an diesem Staats-
wesen, und Geschichtschreiber, Schriftsteller und Dichter erschöpfen sich in ihren
Lobsprüchen. Sebastian Franck rühmt in seiner „Chronim des ganzen Teutschen
Reiches" die trotz der großen Freiheit bestehende gute Polizei und große Einig¬
keit der Bürger. Es werde „auch selten allda etwas Freventliches fürgenommen
und ungern Blut vergossen, gekriegt oder über Blut Recht gesprochen; sogar
daß bei Etlichen das Sprichwort worden ist: was man anderswo henkt, das
streicht man zu Straßburg mit Unten aus." Im Jahre 1614 schreibt Erasmus
von Rotterdam an Jakob Wimphcling begeistert von dem „Adel ohne Partei-
ungen, der Volksherrschaft ohne Beunruhigung, der Monarchie ohne Allein¬
herrschaft" und apostrophirt den seligen Pluto: Iltiimm in lmiuLuraäi rour-
Mblicziurr, äivwo ?in,t>0, Mi oontigissot inviäörs! Irio niinirurn, die, lieuissst
iÜMi train oivitittmrr vors l'olioviu inLtituvrö! In dem ruhmvollen Jahre
des großen Strcißbnrgcr Freischießens 1576 besingt der schweizerische Dichter
Ulrich Wirrh die Stadt und


ihr groß Wysheit ihrer Regenten
in geistlich, weltlich Negünenten.

Fast ein halbes Jahrhundert später, 1620, greift Martin Opitz in die Saiten
und fingt von der „feinen Polizey, der weisen Recht und That, von großer
Höflichkeit der Männer und der Frauen":


kein Ort wird je gefunden weit und breit,
der ihnen gleichen arg an Mi und Freundlichkeit.

Und selbst die kühle Kritik des neunzehnten Jahrhunderts huldigt dem wunder¬
baren staatlichen Organismus. Gustav Schmoller sagt: „Das Meiste, was wir


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/365>, abgerufen am 28.12.2024.