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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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schreibt er ihr als Leipziger Student. Ein Jahr später aus Heidelberg: "Dein
herrlicher Brief ist in meinen Händen. Ich bekam ihn in der Dämmerstunde,
die mir die liebste im ganzen Tage ist, als eben Rosen hereintrat. Wie ich
diesem ihn vorgelesen hatte, sagte er schüchtern-freudig zu mir: Auf solch eine
Mutter kannst du stolz sein. Rosen, antwortete ich darauf, wir beide müssen
noch viel im Leben dulden und tragen, ehe wir mit solcher Ruhe und Würde
einen Brief schreiben können und mit solchem Geiste, der schon über dem Leben
und den Menschen steht. Das lebenswarme, heitere Gedicht am Ende machte
unsre Freude erst recht vollkommen, und wir sprachen den ganzen Abend hindurch
von dir und von hohen Menschen, sodaß ich ihm nach und nach deine ganzen
Briefe vorlas, die sich alle in Geist, Würde, Charakter und Stil gleich stehen."
Als Schumann 1834 die Mutter um ihre Beurteilung des Prospekts zur
"Neuen Zeitschrift" bat, schrieb er: "Deine Bemerkungen habe ich immer für
sehr sein und treffend, in Sachen, die dir fremder waren, wenigstens das Nichtige
ahnend, gehalten." Hätte sie nur eine gewöhnliche hausbackene Bildung genossen,
so würde er sie wohl auch schwerlich zu einer Korrespondenz mit Thibaut auf¬
gefordert haben.

Die Jugendbriefe Schumanns beginnen mit vier Schreiben des Zwickaner
Primaners an seinen damals schon in Leipzig studirenden Freund Flechsig.
Sie sind ganz und gar Jean-Paulisch wie alles, was Schumann damals
schrieb. Im Verlauf der nächsten Jahre kann man beobachten, wie er sich
nach und nach von der Nachahmung seines Ideals freimacht, nicht instinktiv,
sondern mit klarem Bewußtsein. Er spricht das geradezu gegen seine Braut
aus, als sie ihn einmal Jean Paul II. und Beethoven II. genannt hattte:
"Nenne mich beileibe nicht mehr Jean Paul den Zweiten oder Beethoven
den Zweiten; da könnte ich dich eine Minute lang wirklich hassen; ich will zehn¬
mal weniger sein als andre, aber nnr für mich etwas." Auf seine innere
Klärung und Festigung ist ohne Zweifel das Studium Goethes mit von Einfluß
gewesen. Ostern 1828, nach abgelegter Maturitätsprüfung, schreibt er: "Jenn
Paul nimmt noch den ersten Platz bei mir ein: und ich stelle ihn über alle,
selbst Schillern (Goethe" versteh' ich noch nicht) nicht ausgenommen." Goethe
hielt er "für schwerer als Klopstock." Erst in Heidelberg scheint er sich mehr
mit Goethe beschäftigt zu haben, und seit der Rückkehr nach Leipzig verlieren
sich in seinen Briefen mehr und mehr die Jean-Paulischen Überschwänglichkeiten.
1831 schreibt er seiner Mutter einen "herrlichen" Vers von Goethe, den sie
ihm "manchmal zuraunen soll." Die Schlußworte daraus zitirt er in der
Folge öfter in Briefen und in der Zeitschrift:


Heitern Sinn und reine Zwecke,
Nun -- man kommt wohl eine Strecke.

Schon ein Jahr später drängt sich das Geständnis hervor: "Was hab' ich
doch Goethen zu verdanken!" Ein um Klara Wieck gerichteter Brief vom


schreibt er ihr als Leipziger Student. Ein Jahr später aus Heidelberg: „Dein
herrlicher Brief ist in meinen Händen. Ich bekam ihn in der Dämmerstunde,
die mir die liebste im ganzen Tage ist, als eben Rosen hereintrat. Wie ich
diesem ihn vorgelesen hatte, sagte er schüchtern-freudig zu mir: Auf solch eine
Mutter kannst du stolz sein. Rosen, antwortete ich darauf, wir beide müssen
noch viel im Leben dulden und tragen, ehe wir mit solcher Ruhe und Würde
einen Brief schreiben können und mit solchem Geiste, der schon über dem Leben
und den Menschen steht. Das lebenswarme, heitere Gedicht am Ende machte
unsre Freude erst recht vollkommen, und wir sprachen den ganzen Abend hindurch
von dir und von hohen Menschen, sodaß ich ihm nach und nach deine ganzen
Briefe vorlas, die sich alle in Geist, Würde, Charakter und Stil gleich stehen."
Als Schumann 1834 die Mutter um ihre Beurteilung des Prospekts zur
„Neuen Zeitschrift" bat, schrieb er: „Deine Bemerkungen habe ich immer für
sehr sein und treffend, in Sachen, die dir fremder waren, wenigstens das Nichtige
ahnend, gehalten." Hätte sie nur eine gewöhnliche hausbackene Bildung genossen,
so würde er sie wohl auch schwerlich zu einer Korrespondenz mit Thibaut auf¬
gefordert haben.

Die Jugendbriefe Schumanns beginnen mit vier Schreiben des Zwickaner
Primaners an seinen damals schon in Leipzig studirenden Freund Flechsig.
Sie sind ganz und gar Jean-Paulisch wie alles, was Schumann damals
schrieb. Im Verlauf der nächsten Jahre kann man beobachten, wie er sich
nach und nach von der Nachahmung seines Ideals freimacht, nicht instinktiv,
sondern mit klarem Bewußtsein. Er spricht das geradezu gegen seine Braut
aus, als sie ihn einmal Jean Paul II. und Beethoven II. genannt hattte:
„Nenne mich beileibe nicht mehr Jean Paul den Zweiten oder Beethoven
den Zweiten; da könnte ich dich eine Minute lang wirklich hassen; ich will zehn¬
mal weniger sein als andre, aber nnr für mich etwas." Auf seine innere
Klärung und Festigung ist ohne Zweifel das Studium Goethes mit von Einfluß
gewesen. Ostern 1828, nach abgelegter Maturitätsprüfung, schreibt er: „Jenn
Paul nimmt noch den ersten Platz bei mir ein: und ich stelle ihn über alle,
selbst Schillern (Goethe» versteh' ich noch nicht) nicht ausgenommen." Goethe
hielt er „für schwerer als Klopstock." Erst in Heidelberg scheint er sich mehr
mit Goethe beschäftigt zu haben, und seit der Rückkehr nach Leipzig verlieren
sich in seinen Briefen mehr und mehr die Jean-Paulischen Überschwänglichkeiten.
1831 schreibt er seiner Mutter einen „herrlichen" Vers von Goethe, den sie
ihm „manchmal zuraunen soll." Die Schlußworte daraus zitirt er in der
Folge öfter in Briefen und in der Zeitschrift:


Heitern Sinn und reine Zwecke,
Nun — man kommt wohl eine Strecke.

Schon ein Jahr später drängt sich das Geständnis hervor: „Was hab' ich
doch Goethen zu verdanken!" Ein um Klara Wieck gerichteter Brief vom


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/274>, abgerufen am 02.07.2024.