Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

hält fest. Ein Kerl wie Stahl": so charcckterisirt ihn Kamerad Krimman, der
es noch am eignen Leibe erfahren sollte. Dieser Percy ist ein prächtiger Mensch,
so streng verschlossen er auch ist, ob seiner Redlichkeit lieben ihn alle. Ein
Engländer von Geburt, steht er in österreichischen Diensten und liegt eben in
einem ungarischen Neste -- das Lokalkolorit des Pußtenlebens ist hier meister¬
haft wiedergegeben -- in schläfriger Garnison. Es ist dort Sitte, daß jeder
Offizier sich, ganz ritterlich, für die Garnisonzeit einer einzigen Dame aus¬
schließlich widmet, die auch ihrerseits nur seine Huldigungen annimmt. Es fällt
auf, daß Percy, der vor einiger Zeit aus England zurückgekehrt ist, dieser Sitte
nicht huldigt; man spricht von einer geheimnisvollen Schönheit, die er mitge¬
bracht habe, und die ihn ganz ans Haus fesselt. Aber Percy selbst erzähle
uns die Wahrheit. "Es war auf der Rückreise in Pest; ich kam frühmorgens
aus der Stadt in den Gasthof zurück und hörte dort ans dem Gange zwei
Mädchen streiten: die eine weinte, die andre schien jene ihrer Häßlichkeit halber
zu verhöhnen. Als ich mich näherte, gingen sie auseinander, die Weinende mir
entgegen. Sie hatte das Gesicht in die Schürze verborgen; ich sah ihre pracht¬
vollen Arme, die gerade, ebenmäßige Gestalt -- und sagte ihr, daß sie herrlich
gewachsen sei; ich sagte es in Hellem Ärger über die boshafte Blondine, Das
Mädchen ließ die Schürze fallen, und nie zuvor habe ich einen so seligen Blick
entgegengenommen," Zufällig wurde Percy an demselben Tage verwundet, und
Julischka kam, ihn zu pflegen, "Die weiche Berührung that mir gut; ich schlief
stundenweise, und wenn ich erwachte, sprachen wir miteinander. Sie sagte, sie
habe nichts auf der Welt, es möge sie niemand leiden, weil sie so häßlich sei;
sie sagte es nicht vorwurfsvoll, nur wie eine traurige Thatsache, und je länger
ich sie anhörte, desto weniger konnte ichs begreifen. Ihre Stimme war so weich,
und dann lachte sie bisweilen -- wie ein kluges, ganz, ganz unerfahrenes
Kind. -- Als ich morgens erwachte, war sie knieend, mit dem Gesichte auf
meinem Bette eingeschlafen. Sobald ich mich bewegte, sprang sie auf und ging
hastig fort. -- Erst als es dunkel wurde, kam sie wieder; -- ich hatte den
ganzen Tag ans sie gewartet und war erregt, -- "Warum bist du so lange
fortgeblieben, Julischka?" -- "Wenn es hell ist, magst du mich doch nicht um
dich haben!" erwiederte sie. Da befahl ich ihr das Licht anzuzünden, und als
sie's neben das Bett gestellt hatte, sagte ich: "Nun komm her und gieb mir einen
Kuß." So war das. Als mein Fuß geheilt war, mußte ich fort, und sie --
sie sagte: "schieße mich tot!" -- Derlei wäre vielleicht manchmal garnicht un¬
richtig, wenn's möglich wäre. Was meinst du?" Das Bild dieses großherzigen
Mannes wird von der Bülow mit Liebe ins einzelne ausgeführt. Die Handlung
ist auch hier eine Eifersuchtstragödie, aber aus Mißverständnissen, die den jähen
Percy unglücklich verwirren.

In dieser Vorliebe dafür, aus der Verwirrung des Gefühls die tragische
Katastrophe abzuleiten, erinnert Margarethe von Bülow einigermaßen an Heinrich


hält fest. Ein Kerl wie Stahl": so charcckterisirt ihn Kamerad Krimman, der
es noch am eignen Leibe erfahren sollte. Dieser Percy ist ein prächtiger Mensch,
so streng verschlossen er auch ist, ob seiner Redlichkeit lieben ihn alle. Ein
Engländer von Geburt, steht er in österreichischen Diensten und liegt eben in
einem ungarischen Neste — das Lokalkolorit des Pußtenlebens ist hier meister¬
haft wiedergegeben — in schläfriger Garnison. Es ist dort Sitte, daß jeder
Offizier sich, ganz ritterlich, für die Garnisonzeit einer einzigen Dame aus¬
schließlich widmet, die auch ihrerseits nur seine Huldigungen annimmt. Es fällt
auf, daß Percy, der vor einiger Zeit aus England zurückgekehrt ist, dieser Sitte
nicht huldigt; man spricht von einer geheimnisvollen Schönheit, die er mitge¬
bracht habe, und die ihn ganz ans Haus fesselt. Aber Percy selbst erzähle
uns die Wahrheit. „Es war auf der Rückreise in Pest; ich kam frühmorgens
aus der Stadt in den Gasthof zurück und hörte dort ans dem Gange zwei
Mädchen streiten: die eine weinte, die andre schien jene ihrer Häßlichkeit halber
zu verhöhnen. Als ich mich näherte, gingen sie auseinander, die Weinende mir
entgegen. Sie hatte das Gesicht in die Schürze verborgen; ich sah ihre pracht¬
vollen Arme, die gerade, ebenmäßige Gestalt — und sagte ihr, daß sie herrlich
gewachsen sei; ich sagte es in Hellem Ärger über die boshafte Blondine, Das
Mädchen ließ die Schürze fallen, und nie zuvor habe ich einen so seligen Blick
entgegengenommen," Zufällig wurde Percy an demselben Tage verwundet, und
Julischka kam, ihn zu pflegen, „Die weiche Berührung that mir gut; ich schlief
stundenweise, und wenn ich erwachte, sprachen wir miteinander. Sie sagte, sie
habe nichts auf der Welt, es möge sie niemand leiden, weil sie so häßlich sei;
sie sagte es nicht vorwurfsvoll, nur wie eine traurige Thatsache, und je länger
ich sie anhörte, desto weniger konnte ichs begreifen. Ihre Stimme war so weich,
und dann lachte sie bisweilen — wie ein kluges, ganz, ganz unerfahrenes
Kind. — Als ich morgens erwachte, war sie knieend, mit dem Gesichte auf
meinem Bette eingeschlafen. Sobald ich mich bewegte, sprang sie auf und ging
hastig fort. — Erst als es dunkel wurde, kam sie wieder; — ich hatte den
ganzen Tag ans sie gewartet und war erregt, — »Warum bist du so lange
fortgeblieben, Julischka?« — »Wenn es hell ist, magst du mich doch nicht um
dich haben!« erwiederte sie. Da befahl ich ihr das Licht anzuzünden, und als
sie's neben das Bett gestellt hatte, sagte ich: »Nun komm her und gieb mir einen
Kuß.« So war das. Als mein Fuß geheilt war, mußte ich fort, und sie —
sie sagte: »schieße mich tot!« — Derlei wäre vielleicht manchmal garnicht un¬
richtig, wenn's möglich wäre. Was meinst du?" Das Bild dieses großherzigen
Mannes wird von der Bülow mit Liebe ins einzelne ausgeführt. Die Handlung
ist auch hier eine Eifersuchtstragödie, aber aus Mißverständnissen, die den jähen
Percy unglücklich verwirren.

In dieser Vorliebe dafür, aus der Verwirrung des Gefühls die tragische
Katastrophe abzuleiten, erinnert Margarethe von Bülow einigermaßen an Heinrich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0220" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198286"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_574" prev="#ID_573"> hält fest. Ein Kerl wie Stahl": so charcckterisirt ihn Kamerad Krimman, der<lb/>
es noch am eignen Leibe erfahren sollte. Dieser Percy ist ein prächtiger Mensch,<lb/>
so streng verschlossen er auch ist, ob seiner Redlichkeit lieben ihn alle. Ein<lb/>
Engländer von Geburt, steht er in österreichischen Diensten und liegt eben in<lb/>
einem ungarischen Neste &#x2014; das Lokalkolorit des Pußtenlebens ist hier meister¬<lb/>
haft wiedergegeben &#x2014; in schläfriger Garnison. Es ist dort Sitte, daß jeder<lb/>
Offizier sich, ganz ritterlich, für die Garnisonzeit einer einzigen Dame aus¬<lb/>
schließlich widmet, die auch ihrerseits nur seine Huldigungen annimmt. Es fällt<lb/>
auf, daß Percy, der vor einiger Zeit aus England zurückgekehrt ist, dieser Sitte<lb/>
nicht huldigt; man spricht von einer geheimnisvollen Schönheit, die er mitge¬<lb/>
bracht habe, und die ihn ganz ans Haus fesselt. Aber Percy selbst erzähle<lb/>
uns die Wahrheit. &#x201E;Es war auf der Rückreise in Pest; ich kam frühmorgens<lb/>
aus der Stadt in den Gasthof zurück und hörte dort ans dem Gange zwei<lb/>
Mädchen streiten: die eine weinte, die andre schien jene ihrer Häßlichkeit halber<lb/>
zu verhöhnen. Als ich mich näherte, gingen sie auseinander, die Weinende mir<lb/>
entgegen. Sie hatte das Gesicht in die Schürze verborgen; ich sah ihre pracht¬<lb/>
vollen Arme, die gerade, ebenmäßige Gestalt &#x2014; und sagte ihr, daß sie herrlich<lb/>
gewachsen sei; ich sagte es in Hellem Ärger über die boshafte Blondine, Das<lb/>
Mädchen ließ die Schürze fallen, und nie zuvor habe ich einen so seligen Blick<lb/>
entgegengenommen," Zufällig wurde Percy an demselben Tage verwundet, und<lb/>
Julischka kam, ihn zu pflegen, &#x201E;Die weiche Berührung that mir gut; ich schlief<lb/>
stundenweise, und wenn ich erwachte, sprachen wir miteinander. Sie sagte, sie<lb/>
habe nichts auf der Welt, es möge sie niemand leiden, weil sie so häßlich sei;<lb/>
sie sagte es nicht vorwurfsvoll, nur wie eine traurige Thatsache, und je länger<lb/>
ich sie anhörte, desto weniger konnte ichs begreifen. Ihre Stimme war so weich,<lb/>
und dann lachte sie bisweilen &#x2014; wie ein kluges, ganz, ganz unerfahrenes<lb/>
Kind. &#x2014; Als ich morgens erwachte, war sie knieend, mit dem Gesichte auf<lb/>
meinem Bette eingeschlafen. Sobald ich mich bewegte, sprang sie auf und ging<lb/>
hastig fort. &#x2014; Erst als es dunkel wurde, kam sie wieder; &#x2014; ich hatte den<lb/>
ganzen Tag ans sie gewartet und war erregt, &#x2014; »Warum bist du so lange<lb/>
fortgeblieben, Julischka?« &#x2014; »Wenn es hell ist, magst du mich doch nicht um<lb/>
dich haben!« erwiederte sie. Da befahl ich ihr das Licht anzuzünden, und als<lb/>
sie's neben das Bett gestellt hatte, sagte ich: »Nun komm her und gieb mir einen<lb/>
Kuß.« So war das. Als mein Fuß geheilt war, mußte ich fort, und sie &#x2014;<lb/>
sie sagte: »schieße mich tot!« &#x2014; Derlei wäre vielleicht manchmal garnicht un¬<lb/>
richtig, wenn's möglich wäre. Was meinst du?" Das Bild dieses großherzigen<lb/>
Mannes wird von der Bülow mit Liebe ins einzelne ausgeführt. Die Handlung<lb/>
ist auch hier eine Eifersuchtstragödie, aber aus Mißverständnissen, die den jähen<lb/>
Percy unglücklich verwirren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_575" next="#ID_576"> In dieser Vorliebe dafür, aus der Verwirrung des Gefühls die tragische<lb/>
Katastrophe abzuleiten, erinnert Margarethe von Bülow einigermaßen an Heinrich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0220] hält fest. Ein Kerl wie Stahl": so charcckterisirt ihn Kamerad Krimman, der es noch am eignen Leibe erfahren sollte. Dieser Percy ist ein prächtiger Mensch, so streng verschlossen er auch ist, ob seiner Redlichkeit lieben ihn alle. Ein Engländer von Geburt, steht er in österreichischen Diensten und liegt eben in einem ungarischen Neste — das Lokalkolorit des Pußtenlebens ist hier meister¬ haft wiedergegeben — in schläfriger Garnison. Es ist dort Sitte, daß jeder Offizier sich, ganz ritterlich, für die Garnisonzeit einer einzigen Dame aus¬ schließlich widmet, die auch ihrerseits nur seine Huldigungen annimmt. Es fällt auf, daß Percy, der vor einiger Zeit aus England zurückgekehrt ist, dieser Sitte nicht huldigt; man spricht von einer geheimnisvollen Schönheit, die er mitge¬ bracht habe, und die ihn ganz ans Haus fesselt. Aber Percy selbst erzähle uns die Wahrheit. „Es war auf der Rückreise in Pest; ich kam frühmorgens aus der Stadt in den Gasthof zurück und hörte dort ans dem Gange zwei Mädchen streiten: die eine weinte, die andre schien jene ihrer Häßlichkeit halber zu verhöhnen. Als ich mich näherte, gingen sie auseinander, die Weinende mir entgegen. Sie hatte das Gesicht in die Schürze verborgen; ich sah ihre pracht¬ vollen Arme, die gerade, ebenmäßige Gestalt — und sagte ihr, daß sie herrlich gewachsen sei; ich sagte es in Hellem Ärger über die boshafte Blondine, Das Mädchen ließ die Schürze fallen, und nie zuvor habe ich einen so seligen Blick entgegengenommen," Zufällig wurde Percy an demselben Tage verwundet, und Julischka kam, ihn zu pflegen, „Die weiche Berührung that mir gut; ich schlief stundenweise, und wenn ich erwachte, sprachen wir miteinander. Sie sagte, sie habe nichts auf der Welt, es möge sie niemand leiden, weil sie so häßlich sei; sie sagte es nicht vorwurfsvoll, nur wie eine traurige Thatsache, und je länger ich sie anhörte, desto weniger konnte ichs begreifen. Ihre Stimme war so weich, und dann lachte sie bisweilen — wie ein kluges, ganz, ganz unerfahrenes Kind. — Als ich morgens erwachte, war sie knieend, mit dem Gesichte auf meinem Bette eingeschlafen. Sobald ich mich bewegte, sprang sie auf und ging hastig fort. — Erst als es dunkel wurde, kam sie wieder; — ich hatte den ganzen Tag ans sie gewartet und war erregt, — »Warum bist du so lange fortgeblieben, Julischka?« — »Wenn es hell ist, magst du mich doch nicht um dich haben!« erwiederte sie. Da befahl ich ihr das Licht anzuzünden, und als sie's neben das Bett gestellt hatte, sagte ich: »Nun komm her und gieb mir einen Kuß.« So war das. Als mein Fuß geheilt war, mußte ich fort, und sie — sie sagte: »schieße mich tot!« — Derlei wäre vielleicht manchmal garnicht un¬ richtig, wenn's möglich wäre. Was meinst du?" Das Bild dieses großherzigen Mannes wird von der Bülow mit Liebe ins einzelne ausgeführt. Die Handlung ist auch hier eine Eifersuchtstragödie, aber aus Mißverständnissen, die den jähen Percy unglücklich verwirren. In dieser Vorliebe dafür, aus der Verwirrung des Gefühls die tragische Katastrophe abzuleiten, erinnert Margarethe von Bülow einigermaßen an Heinrich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/220
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/220>, abgerufen am 26.08.2024.