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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Dabei ist folgender Umstand bemerkenswert, Julian Schmidt, der die
Bülow aus persönlichem Verkehre kannte, erzählt mit unverhüllten Bedauern,
obgleich er selbst nicht wenig zu der großen Geltung Turgenjews in Deutsch¬
land beigetragen hat: "Vielleicht war es ein Zufall, daß unter den neueren
Dichtern sie hauptsächlich von Turgenjew angezogen wurde, der bei all seinen
großen Schönheiten ein nicht ganz unbedenkliches Vorbild für junge Dichter
ist," Wer da weiß, wie mächtig der große russische Dichter auf die poetischen
Werke unsrer Generation eingewirkt hat, und die Novellen der Bülow von
diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, der muß fürwahr die seltene Energie und
klare Selbständigkeit dieses jungen Talents bewundern. Denn nur in der
Novelle "Der Fieberquell" läßt sich die Spur des Turgenjewschen Einflusses
merklich nachweisen, und hier bekundet er sich auch nur in der Natur- und nicht
in der Menschenanschanung,

In dieser Eifersuchtstragödie werden die Menschen ans der volkreichen
Stadt und die Bewohner des einsamen Waldes, also Kultur und Natur gegenüber¬
gestellt, und da heißt es von dem jungen Fvrstgehilfen, der kaum je aus dem
Walde herausgekommen ist: "Diesem Kinde der Haide war die lösende Klage
nicht gegeben; was ihn peinigte, er trug es mit sich dnrch die Einsamkeit als
unentrinnbaren Begleiter, Er mußte schweigen, schwieg der Wald doch auch,
von dem er täglich lernte, Theodor wußte so wenig von dem, was Menschen
treiben, hier war Raum und Freiheit für jeden, hier konnte jeder arbeiten ohne
den Nachbar zu drängen, hier lebten die Leute dürftig vom dürftigen Boden
und verschenkten doch lieber, was sie halten, als daß sie es verkauften. Er
selbst hatte frischeren Sinn als die meisten seiner Landsleute, aber wenn einmal
die unbewußte Harmonie seines Lebens gestört war, verwirrte er sich mehr und
mehr dnrch die mißglückter Versuche, sie durch Grübeln wiederherzustellen."
Und als dann dieser Theodor an dem geplanten Attentat auf den städtischen
Rivalen nnr durch dessen überraschende und beschämende Todesverachtung ge¬
hindert wird und sich aus Reue selbst die dem Nebenbuhler bestimmte Kugel
durch die Brust jagt, da heißt es von diesem erschütterten Städter: "Hatte er
das denn gewollt? Nein, sicherlich hatte ers nicht gewollt, er, der keine Fliege
töten konnte! Aber draußen hob sich der Wind im Walde und erzählte den
Fichtcnwipfeln, wenn er sie kreuzte: der Mensch haßt das Leben nicht, das
Leben haßt ihn -- und schüttelt ihn. Knackend, mit singendem Ton brachen
die alten Äste, Und das erzählte der Wald, als Ottfried langsam zurückging,
und die Wetterwolke am Himmel, die in des Bodens spärliches Korn ihren
verderblichen Regen senden wollte. Und die Insekten im Moor und die
schwankenden Gräser, alles, alles rief es ihm zu: Herunter, dn Mensch, ohn¬
mächtig bist du, wie wir!" Und um "einen Teil der Schuld zu sühnen, die
ihn beugte," schlägt er dem umstrittenen Mädchen -- auch einem sehr anziehend
gezeichneten Naturkinde -- vor, ihn zu heiraten, Sie lehnt es jedoch wehmütig


Dabei ist folgender Umstand bemerkenswert, Julian Schmidt, der die
Bülow aus persönlichem Verkehre kannte, erzählt mit unverhüllten Bedauern,
obgleich er selbst nicht wenig zu der großen Geltung Turgenjews in Deutsch¬
land beigetragen hat: „Vielleicht war es ein Zufall, daß unter den neueren
Dichtern sie hauptsächlich von Turgenjew angezogen wurde, der bei all seinen
großen Schönheiten ein nicht ganz unbedenkliches Vorbild für junge Dichter
ist," Wer da weiß, wie mächtig der große russische Dichter auf die poetischen
Werke unsrer Generation eingewirkt hat, und die Novellen der Bülow von
diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, der muß fürwahr die seltene Energie und
klare Selbständigkeit dieses jungen Talents bewundern. Denn nur in der
Novelle „Der Fieberquell" läßt sich die Spur des Turgenjewschen Einflusses
merklich nachweisen, und hier bekundet er sich auch nur in der Natur- und nicht
in der Menschenanschanung,

In dieser Eifersuchtstragödie werden die Menschen ans der volkreichen
Stadt und die Bewohner des einsamen Waldes, also Kultur und Natur gegenüber¬
gestellt, und da heißt es von dem jungen Fvrstgehilfen, der kaum je aus dem
Walde herausgekommen ist: „Diesem Kinde der Haide war die lösende Klage
nicht gegeben; was ihn peinigte, er trug es mit sich dnrch die Einsamkeit als
unentrinnbaren Begleiter, Er mußte schweigen, schwieg der Wald doch auch,
von dem er täglich lernte, Theodor wußte so wenig von dem, was Menschen
treiben, hier war Raum und Freiheit für jeden, hier konnte jeder arbeiten ohne
den Nachbar zu drängen, hier lebten die Leute dürftig vom dürftigen Boden
und verschenkten doch lieber, was sie halten, als daß sie es verkauften. Er
selbst hatte frischeren Sinn als die meisten seiner Landsleute, aber wenn einmal
die unbewußte Harmonie seines Lebens gestört war, verwirrte er sich mehr und
mehr dnrch die mißglückter Versuche, sie durch Grübeln wiederherzustellen."
Und als dann dieser Theodor an dem geplanten Attentat auf den städtischen
Rivalen nnr durch dessen überraschende und beschämende Todesverachtung ge¬
hindert wird und sich aus Reue selbst die dem Nebenbuhler bestimmte Kugel
durch die Brust jagt, da heißt es von diesem erschütterten Städter: „Hatte er
das denn gewollt? Nein, sicherlich hatte ers nicht gewollt, er, der keine Fliege
töten konnte! Aber draußen hob sich der Wind im Walde und erzählte den
Fichtcnwipfeln, wenn er sie kreuzte: der Mensch haßt das Leben nicht, das
Leben haßt ihn — und schüttelt ihn. Knackend, mit singendem Ton brachen
die alten Äste, Und das erzählte der Wald, als Ottfried langsam zurückging,
und die Wetterwolke am Himmel, die in des Bodens spärliches Korn ihren
verderblichen Regen senden wollte. Und die Insekten im Moor und die
schwankenden Gräser, alles, alles rief es ihm zu: Herunter, dn Mensch, ohn¬
mächtig bist du, wie wir!" Und um „einen Teil der Schuld zu sühnen, die
ihn beugte," schlägt er dem umstrittenen Mädchen — auch einem sehr anziehend
gezeichneten Naturkinde — vor, ihn zu heiraten, Sie lehnt es jedoch wehmütig


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/218>, abgerufen am 26.08.2024.