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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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und beherrscht gleichzeitig die fernen Eilande und Küsten, die ans dein Ozean
sozusagen neu emporgetaucht waren. Der bourbonische Familienpakt, den der
Herzog von Choiseul im achtzehnten Jahrhundert zu stände gebracht hat, ist doch
nur ein schwaches Gegenstück zu jenem Zusammenhalten des deutschen und des
spanischen Zweiges des habsburgischen Hauses, durch welches Kaiser Maxi¬
milian II. nicht am letzten abgehalten worden ist, dem Zuge seines Herzens zu
folgen und sich offen der evangelischen Lehre zuzuwenden, durch welches Philipp II.
in dem Augenblicke, wo er verzweifelte, die gesamten Niederlande bei der Krone
Spanien festhalten zu können, sich unter den deutschen Vettern den Erzherzog
Albrecht heraussuchte, um durch eine Seknndogenitur das reiche Erbe der Ahn¬
frau Maria wenigstens dem habsburgischen Hause zu erhalten. Gewiß, diese
deutsch-spanische Macht hat wiederholt schwere Niederlagen erlitten; aber oft
genug hat sie auch triumphirt, und so viel ist sicher: am Anfange des sieb¬
zehnten Jahrhunderts, hundert Jahre nach Karl V., ist sie noch weit entfernt
davon, überwunden zu sein; sie war noch die robusteste Thatsache der europäischen
Politik, deren Wucht auf den ganzen Weltteil drückte; wie Franz I. gegen KarlV.
gerungen hatte, wie er gegen dessen Bruder Ferdinand den Grvßtürkeu aus¬
gespielt hatte, so mußte auch Heinrich IV. sich vor allem bemühe", Frankreich,
das eine starke und skrupellose spanische Faltion enthielt, aus den Umschlingungen
dieser Macht zu befreien und ihm die Freiheit .des Adams und Lebens zu
sichern. Wer die Beschreibung der Schlachten liest, die noch der große Conde
gegen die Spanier schlug, wer den Todesmut der spanischen Veteranen bei
Nocrvh kennt, der weiß auch, wie mächtig noch bis zu der großen Niederlage
in Münster und Osnabrück das Haus Habsburg in Europa dastand.

Unter diesem Gesichtspunkte müssen die Ereignisse des Zeitalters betrachtet
werden, das nach dem Kriege der dreißig Jahre genannt wird. Vor allem
wichtig aber ist die berührte politische Kombination für Italien gewesen. Deutsch¬
land mochte um 1621 zusehen, daß nicht Spanien das that, was später
Frankreich vollführte; die Gefahr, daß die Kurpfalz von den Scharen Spiuolas
und Cordovas für Philipp IV. erobert ward und ein Bindeglied wurde zwischen
der Frcigrasschaft und den Niederlanden, lag längere Zeit nahe genug. Aber
was Deutschland erst bedrohte, das war in Italien zur Thatsache geworden;
in Neapel und in Mailand standen spanische Truppen, herrschten spanische
Statthalter. Mit Knirschen trug eine hochgebildete Nation die fremden Ketten;
als Herzog Karl Emanuel von Piemont-Savohen die Abhängigkeit von der
spanischen Politik zerbrach und mit dem Schwerte sein Anrecht ans das Herzogtum
Montserrat gegen die spanische Übermacht verteidigte, da war ihm der ungelenke
Jubel aller patriotisch denkenden Italiener entgegengebracht worden; es war der
Anfang jener kühnen Politik, die von der Losung getragen wurde: Lvmxro,a>plur>i,
gg.vom! und durch die das Herrschergeschlecht, das zu wagen verstand, am Ende
die Krone Italiens gewann.


und beherrscht gleichzeitig die fernen Eilande und Küsten, die ans dein Ozean
sozusagen neu emporgetaucht waren. Der bourbonische Familienpakt, den der
Herzog von Choiseul im achtzehnten Jahrhundert zu stände gebracht hat, ist doch
nur ein schwaches Gegenstück zu jenem Zusammenhalten des deutschen und des
spanischen Zweiges des habsburgischen Hauses, durch welches Kaiser Maxi¬
milian II. nicht am letzten abgehalten worden ist, dem Zuge seines Herzens zu
folgen und sich offen der evangelischen Lehre zuzuwenden, durch welches Philipp II.
in dem Augenblicke, wo er verzweifelte, die gesamten Niederlande bei der Krone
Spanien festhalten zu können, sich unter den deutschen Vettern den Erzherzog
Albrecht heraussuchte, um durch eine Seknndogenitur das reiche Erbe der Ahn¬
frau Maria wenigstens dem habsburgischen Hause zu erhalten. Gewiß, diese
deutsch-spanische Macht hat wiederholt schwere Niederlagen erlitten; aber oft
genug hat sie auch triumphirt, und so viel ist sicher: am Anfange des sieb¬
zehnten Jahrhunderts, hundert Jahre nach Karl V., ist sie noch weit entfernt
davon, überwunden zu sein; sie war noch die robusteste Thatsache der europäischen
Politik, deren Wucht auf den ganzen Weltteil drückte; wie Franz I. gegen KarlV.
gerungen hatte, wie er gegen dessen Bruder Ferdinand den Grvßtürkeu aus¬
gespielt hatte, so mußte auch Heinrich IV. sich vor allem bemühe», Frankreich,
das eine starke und skrupellose spanische Faltion enthielt, aus den Umschlingungen
dieser Macht zu befreien und ihm die Freiheit .des Adams und Lebens zu
sichern. Wer die Beschreibung der Schlachten liest, die noch der große Conde
gegen die Spanier schlug, wer den Todesmut der spanischen Veteranen bei
Nocrvh kennt, der weiß auch, wie mächtig noch bis zu der großen Niederlage
in Münster und Osnabrück das Haus Habsburg in Europa dastand.

Unter diesem Gesichtspunkte müssen die Ereignisse des Zeitalters betrachtet
werden, das nach dem Kriege der dreißig Jahre genannt wird. Vor allem
wichtig aber ist die berührte politische Kombination für Italien gewesen. Deutsch¬
land mochte um 1621 zusehen, daß nicht Spanien das that, was später
Frankreich vollführte; die Gefahr, daß die Kurpfalz von den Scharen Spiuolas
und Cordovas für Philipp IV. erobert ward und ein Bindeglied wurde zwischen
der Frcigrasschaft und den Niederlanden, lag längere Zeit nahe genug. Aber
was Deutschland erst bedrohte, das war in Italien zur Thatsache geworden;
in Neapel und in Mailand standen spanische Truppen, herrschten spanische
Statthalter. Mit Knirschen trug eine hochgebildete Nation die fremden Ketten;
als Herzog Karl Emanuel von Piemont-Savohen die Abhängigkeit von der
spanischen Politik zerbrach und mit dem Schwerte sein Anrecht ans das Herzogtum
Montserrat gegen die spanische Übermacht verteidigte, da war ihm der ungelenke
Jubel aller patriotisch denkenden Italiener entgegengebracht worden; es war der
Anfang jener kühnen Politik, die von der Losung getragen wurde: Lvmxro,a>plur>i,
gg.vom! und durch die das Herrschergeschlecht, das zu wagen verstand, am Ende
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/172>, abgerufen am 23.07.2024.