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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Nach Kaisers Geburtstag.

heute freuen wir uns, Ihrem begabten, fleißigen und strebsamen Schüler gerade
am Geburtstage unsers erhabnen Kaisers den Ausdruck der Menschenfreundlichkeit
zu bieten." Ein Satz zum nachdenke"! Zwar Hütte ich mit dem Betrage der
Postanweisung nicht unternehmen können, für ein Dutzend begeisterter "Hono¬
ratioren" das Festessen zu bezahlen, aber der arme Teufel, der dies Geschenk von
wildfremden Menschen erhält, wird zweihundert Mittagessen damit bezahlen!

Wie viel Gutes hätte sich thun lassen mit dem Gelde, das die deutschen
Patrioten am 22. März auf ihren Magen und ihre Kehle gewandt haben, zur
Feier und Ehre, wie sie es nennen, ihres greisen Heldenkaisers. Unsre Stati¬
stiker berechnen ja alles; weiß denn keiner zu sagen, wie viele Tausende es sich
bei einem teuern Fest-"Diner" wohl sein ließen, wie viele Tausende am Abend
beträchtlich über den Durst getrunken haben, wie viele Tausende am andern
Morgen körperlich und moralisch gelitten haben? Wie sagt der lustige Hans
Breitmann-Leland?


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05 ello vvtiolo ok Ldsi'lui.n/!

Ja, wenn Gambrinus Kaiser von Deutschland wäre, könnten wir seinen Ge¬
burtstag anders feiern? Thun nicht die Leute, als wenn eine kaiserliche Bot¬
schaft ausgegangen wäre, die Wirte seien dem Hungertode nahe und ihr Unter¬
gang bedeute den Zusammenbruch des deutschen Reiches?

Die Botschaft, die wir als die letzte große That unsers einzigen Kaisers
verehren, klingt anders. Wer hat in ihrem Geiste den Geburtstag ihres Ur¬
hebers gefeiert? Wer wirklich den Kaiser meint bei der Feier und nicht sich
selber, sollte versuchen, in seinem kleinen Kreise so zu handeln, wie es der ehr¬
würdige Fürst gern sehen würde; er sollte in aller Heimlichkeit dem Kaiser einen
Wunsch erfüllen, sollte, soweit er vermag, einmal selber den rastlosen, leutseligen,
mitleidigen Kaiser im Kleinen spielen!

Die Nachrichten aus England, Frankreich und Belgien hätten manchem die
Feststimmung verdorben, wenn er ähnliches aus nächster Nähe erwarten müßte.
Der Kaiser und seine berufensten Diener sind rastlos bemüht, solche Versuche,
solche Verzweiflung, solches Elend von uns abzuwenden, die berechtigten Wünsche
der Schwachen und Bedrückten zu erfüllen. Wer von uns ist so klein, daß er
bei diesem Werke nicht helfen könnte? Kaisers Geburtstag soll ein Tag des
Jubels seil?, aber vor allem für die, die felten genug dazu kommen, das ein-
geborne Bedürfnis nach Vergnügen befriedigen zu können.

Es giebt kein Nest in Deutschland, wo man nicht ein paarmal im Jahre
eine "würdige" patriotische Feier vorbereitete. "Würdig" ist ja jetzt das
stehende Beiwort unsrer Tageblattsberichterstatter für Feierlichkeiten aller Art,
als ob es eigentlich selbstverständlich wäre, daß sie unwürdig verlaufen müßten.
Was für ein herrlicher, wahrhaft würdiger Tag würde der sein, wo die Großen,
die Reichen, die Gewordenen einmal nicht für das eigne Vergnügen sorgten,


Nach Kaisers Geburtstag.

heute freuen wir uns, Ihrem begabten, fleißigen und strebsamen Schüler gerade
am Geburtstage unsers erhabnen Kaisers den Ausdruck der Menschenfreundlichkeit
zu bieten." Ein Satz zum nachdenke»! Zwar Hütte ich mit dem Betrage der
Postanweisung nicht unternehmen können, für ein Dutzend begeisterter „Hono¬
ratioren" das Festessen zu bezahlen, aber der arme Teufel, der dies Geschenk von
wildfremden Menschen erhält, wird zweihundert Mittagessen damit bezahlen!

Wie viel Gutes hätte sich thun lassen mit dem Gelde, das die deutschen
Patrioten am 22. März auf ihren Magen und ihre Kehle gewandt haben, zur
Feier und Ehre, wie sie es nennen, ihres greisen Heldenkaisers. Unsre Stati¬
stiker berechnen ja alles; weiß denn keiner zu sagen, wie viele Tausende es sich
bei einem teuern Fest-„Diner" wohl sein ließen, wie viele Tausende am Abend
beträchtlich über den Durst getrunken haben, wie viele Tausende am andern
Morgen körperlich und moralisch gelitten haben? Wie sagt der lustige Hans
Breitmann-Leland?


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Ja, wenn Gambrinus Kaiser von Deutschland wäre, könnten wir seinen Ge¬
burtstag anders feiern? Thun nicht die Leute, als wenn eine kaiserliche Bot¬
schaft ausgegangen wäre, die Wirte seien dem Hungertode nahe und ihr Unter¬
gang bedeute den Zusammenbruch des deutschen Reiches?

Die Botschaft, die wir als die letzte große That unsers einzigen Kaisers
verehren, klingt anders. Wer hat in ihrem Geiste den Geburtstag ihres Ur¬
hebers gefeiert? Wer wirklich den Kaiser meint bei der Feier und nicht sich
selber, sollte versuchen, in seinem kleinen Kreise so zu handeln, wie es der ehr¬
würdige Fürst gern sehen würde; er sollte in aller Heimlichkeit dem Kaiser einen
Wunsch erfüllen, sollte, soweit er vermag, einmal selber den rastlosen, leutseligen,
mitleidigen Kaiser im Kleinen spielen!

Die Nachrichten aus England, Frankreich und Belgien hätten manchem die
Feststimmung verdorben, wenn er ähnliches aus nächster Nähe erwarten müßte.
Der Kaiser und seine berufensten Diener sind rastlos bemüht, solche Versuche,
solche Verzweiflung, solches Elend von uns abzuwenden, die berechtigten Wünsche
der Schwachen und Bedrückten zu erfüllen. Wer von uns ist so klein, daß er
bei diesem Werke nicht helfen könnte? Kaisers Geburtstag soll ein Tag des
Jubels seil?, aber vor allem für die, die felten genug dazu kommen, das ein-
geborne Bedürfnis nach Vergnügen befriedigen zu können.

Es giebt kein Nest in Deutschland, wo man nicht ein paarmal im Jahre
eine „würdige" patriotische Feier vorbereitete. „Würdig" ist ja jetzt das
stehende Beiwort unsrer Tageblattsberichterstatter für Feierlichkeiten aller Art,
als ob es eigentlich selbstverständlich wäre, daß sie unwürdig verlaufen müßten.
Was für ein herrlicher, wahrhaft würdiger Tag würde der sein, wo die Großen,
die Reichen, die Gewordenen einmal nicht für das eigne Vergnügen sorgten,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/10>, abgerufen am 04.07.2024.