Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.Zum Verständnis und zum Schutze des ersten Faustmonologs. erinnert mir zu sehr an die Weise homerischer Athetesen, wo man oft nahezu Nachdem Scherer so bewiesen zu haben glaubt, daß die stilistischen Ver¬ Grenzboten I. 183".78
Zum Verständnis und zum Schutze des ersten Faustmonologs. erinnert mir zu sehr an die Weise homerischer Athetesen, wo man oft nahezu Nachdem Scherer so bewiesen zu haben glaubt, daß die stilistischen Ver¬ Grenzboten I. 183«.78
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0625" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198049"/> <fw type="header" place="top"> Zum Verständnis und zum Schutze des ersten Faustmonologs.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1831" prev="#ID_1830"> erinnert mir zu sehr an die Weise homerischer Athetesen, wo man oft nahezu<lb/> den Dichtern der für eingeschoben gehaltenen Verse die Kenntnis der griechischen<lb/> Sprache aberkannt hat, weil man durchaus die Einschiebung sprachlich beweisen<lb/> wollte. Das stärkste Vorurteil zeigt sich auch in Scherers Behauptung, die<lb/> von ihm aufgezeigten Verschiedenheiten flössen nicht aus der Verschiedenheit des<lb/> Gegenstandes. Dieser sei in ihnen nicht wesentlich verschieden, der Eingang<lb/> beziehe sich auf Fausts Übergang zur Magie, die Fortsetzung auf die Flucht aus<lb/> der Studirstube, die beide aus der Unerträglichkeit seines bisherigen Zustandes<lb/> begründet würden; diese Unerträglichkeit sei in beiden Fällen das Grundthema.<lb/> Freilich fließen beide aus der Unbefriedigung seines Zustandes, aber die dadurch<lb/> hervorgerufenen Stimmungen find sehr verschieden. Dies läßt Scherer hier<lb/> absichtlich zur Seite, während er früher zu seinem Zwecke die Verschiedenheiten<lb/> hervorgehoben hat. S. 251 heißt es: „Dort empfangen wir überwiegend that¬<lb/> sächlichen Bericht, wenn auch durch bittern und höhnenden Ingrimm gefärbt:<lb/> hier herrscht ein hoher Seelenschwung, der sich schwärmerisch erhebt, den Redner<lb/> wie den Zuhörer stürmisch fortreißt." Und eine solche Verschiedenheit sollte<lb/> sich nicht notwendig anch im Tone ausprägen? Der Beweis, daß ein solcher<lb/> Wechsel auf der verschiednen Abfassungszelt beruhe, würde mir dann erbracht<lb/> sein, wenn sich herausstellte, daß derselbe nicht der Stimmung entspreche. Aber<lb/> gerade das Gegenteil liegt offen vor. Der Anblick des Mondes erregt in Faust<lb/> das sehnsüchtige Verlangen, endlich durch die Magie zur Erkenntnis des Wesens<lb/> der Dinge zu gelangen, endlich von der schrecklichen Pein des Nichtwissens<lb/> befreit zu werden. Er sehnt sich nach der freien Natur, nach dem Zusammen¬<lb/> leben mit den durch den Mondschein aufgeregten Geistern, und gerade der leidige<lb/> Gegensatz seiner engen Klause, die ihn so viele Jahre gefesselt hat, läßt ihn gegen<lb/> diese Schmähend losfahren, treibt ihn ins Freie hinaus, aber zugleich will er<lb/> des Nostradamus Zauberbuch mit sich nehmen, von dem er die schönste Er¬<lb/> leuchtung seiner Seelenkraft sehnsuchtsvoll erwartet. Und trotzdem sollen in der<lb/> zweiten Partie die Gegenstände dieselben sein wie in der ersten? Und stellt denn<lb/> das Drama Gegenstände dar, nicht vielmehr das persönliche Deuten, Fühlen und<lb/> Wollen, nach dessen wechselnder Gestaltung sich der Ausdruck richten muß?</p><lb/> <p xml:id="ID_1832"> Nachdem Scherer so bewiesen zu haben glaubt, daß die stilistischen Ver¬<lb/> schiedenheiten, wie er sie nennt, nicht ans der Verschiedenheit des Stoffes geflossen<lb/> seien, gedenkt er nun zweier andern möglichen Herleitungen derselben, die er aber so<lb/> gestellt hat, daß ihre Widerlegung ein Spiel ist, welches uns nicht darüber zu<lb/> tauschen vermag, daß er den offen zutage liegenden wirklichen Grund unter nichts¬<lb/> sagenden Worten erstickt hat. Mit der ganzen stilistische» Verschiedenheit ist es<lb/> ebenso eitel Werk wie mit der Zersplitterung des Monologes, an welchem sich<lb/> Scherer schwer versündigt hat.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. 183«.78</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0625]
Zum Verständnis und zum Schutze des ersten Faustmonologs.
erinnert mir zu sehr an die Weise homerischer Athetesen, wo man oft nahezu
den Dichtern der für eingeschoben gehaltenen Verse die Kenntnis der griechischen
Sprache aberkannt hat, weil man durchaus die Einschiebung sprachlich beweisen
wollte. Das stärkste Vorurteil zeigt sich auch in Scherers Behauptung, die
von ihm aufgezeigten Verschiedenheiten flössen nicht aus der Verschiedenheit des
Gegenstandes. Dieser sei in ihnen nicht wesentlich verschieden, der Eingang
beziehe sich auf Fausts Übergang zur Magie, die Fortsetzung auf die Flucht aus
der Studirstube, die beide aus der Unerträglichkeit seines bisherigen Zustandes
begründet würden; diese Unerträglichkeit sei in beiden Fällen das Grundthema.
Freilich fließen beide aus der Unbefriedigung seines Zustandes, aber die dadurch
hervorgerufenen Stimmungen find sehr verschieden. Dies läßt Scherer hier
absichtlich zur Seite, während er früher zu seinem Zwecke die Verschiedenheiten
hervorgehoben hat. S. 251 heißt es: „Dort empfangen wir überwiegend that¬
sächlichen Bericht, wenn auch durch bittern und höhnenden Ingrimm gefärbt:
hier herrscht ein hoher Seelenschwung, der sich schwärmerisch erhebt, den Redner
wie den Zuhörer stürmisch fortreißt." Und eine solche Verschiedenheit sollte
sich nicht notwendig anch im Tone ausprägen? Der Beweis, daß ein solcher
Wechsel auf der verschiednen Abfassungszelt beruhe, würde mir dann erbracht
sein, wenn sich herausstellte, daß derselbe nicht der Stimmung entspreche. Aber
gerade das Gegenteil liegt offen vor. Der Anblick des Mondes erregt in Faust
das sehnsüchtige Verlangen, endlich durch die Magie zur Erkenntnis des Wesens
der Dinge zu gelangen, endlich von der schrecklichen Pein des Nichtwissens
befreit zu werden. Er sehnt sich nach der freien Natur, nach dem Zusammen¬
leben mit den durch den Mondschein aufgeregten Geistern, und gerade der leidige
Gegensatz seiner engen Klause, die ihn so viele Jahre gefesselt hat, läßt ihn gegen
diese Schmähend losfahren, treibt ihn ins Freie hinaus, aber zugleich will er
des Nostradamus Zauberbuch mit sich nehmen, von dem er die schönste Er¬
leuchtung seiner Seelenkraft sehnsuchtsvoll erwartet. Und trotzdem sollen in der
zweiten Partie die Gegenstände dieselben sein wie in der ersten? Und stellt denn
das Drama Gegenstände dar, nicht vielmehr das persönliche Deuten, Fühlen und
Wollen, nach dessen wechselnder Gestaltung sich der Ausdruck richten muß?
Nachdem Scherer so bewiesen zu haben glaubt, daß die stilistischen Ver¬
schiedenheiten, wie er sie nennt, nicht ans der Verschiedenheit des Stoffes geflossen
seien, gedenkt er nun zweier andern möglichen Herleitungen derselben, die er aber so
gestellt hat, daß ihre Widerlegung ein Spiel ist, welches uns nicht darüber zu
tauschen vermag, daß er den offen zutage liegenden wirklichen Grund unter nichts¬
sagenden Worten erstickt hat. Mit der ganzen stilistische» Verschiedenheit ist es
ebenso eitel Werk wie mit der Zersplitterung des Monologes, an welchem sich
Scherer schwer versündigt hat.
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