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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Die Deutschen in Newyork.

Wahrheitsliebe kostbare Zeugnisse. Wir verdanken ihm das Wort, daß in keinem
Lande, welches er gesehen, "weniger politisches Leben und mehr politischer Lärm"
herrsche als in Nordamerika. "Man wird es doch keine Politik nennen wollen,
daß die traäinZ xoMoians stereotyp das Vaterland in Gefahr erklären und
sich im voraus über die Stellen, d. h. die Beute, einigen, daß die Bürger etwa
zweimal im Jahre zu den vorgeschlagnen Kandidaten ja oder nein sagen können,
und daß bei dieser Gelegenheit der süße Pöbel, der gewöhnlich Schauspieler und
Zuschauer in einer Person ist, sich vmsvnst betrinken und umsonst Skandal
machen darf." Wir verdanken ihm ferner den Hinweis, wie in den großen
Städten der Union das betrübende Schauspiel zu beobachten sei, daß "die
Freiheit durch die Verfälschung im radikalen Sinne zerstört wird und daß das, was
man dort Demokratie nennt, in der That die rechtloseste Tyrannei des Mohs
ist." Schärfer kann der Triumph des abstrakten demokratischen Prinzips, dieser
fortwährende Götzendienst vor dem "freien, edeln, nie irrenden und in seiner Ge¬
samtheit immer weisen Volke" in der That nicht charalterisirt werden, und es
ist schon der Mühe wert, seinem "angestammten Herrscherhause" abzuschwören,
um sich der Tyrannei eines fremden Mohs zu unterwerfen. Am besten, man
ist gleich selber Mob; denn erst kann man die höchsten Wonnen "politischer
Freiheit" in jenem Lande genießen; und es ist für alle Deutschen, die nicht den
erwünschten Mangel an Bildung mitbringen, wenigstens ein Glück, daß es drüben
so wenig politisches Leben giebt und sie reichlich Zeit haben, auf vie übliche
Stufe der öffentlichen Moral und Pflichtauffassung gegenüber dem Gemeinwesen
herabzusinken. Manche lernen es wohl nie und finden ihre politische Freiheit
in jener vollständigen Gleichgiltigkeit gegen alles, was Politik heißt, wie sie den
dollarjagenden Deutschamerikaner am häufigsten auszeichnet. Andre wieder machen
sich besser, und man möchte daran ersticken, wenn man sich von Amerikanern
vorwerfen lassen muß, daß von allen beutegierigen "Politikern" die Deutschen
der Ostseite von Newyork die schamlosesten und schmutzigsten seien. Alle wollen
sie mitthun, und alle wollen sie etwas dafür haben, und obwohl sie nur in den
allerseltensten Fällen einen Aldermanposteu ergattern, um unter dein Hohn ihrer
irischen Kollegen anflehten zu können, so hallen sie es doch für wert, ihre
private Ehre und die Ehre ihres Stammes jederzeit um diesen Preis in den
Staub zu ziehe". Dies ist das politische Leben, zu welchem der Deutsche drüben
"erst erwacht"! Das war früher anders, und es ist traurig, daß man das
sagen muß. Bei der großen Bewegung gegen die Sklaverei, die den Sezessionskrieg
begleitete, waren die Deutsche" wenn nicht das treibende, so doch ein ungemein
rühriges Element, und es kam gerade durch sie ein idealer Zug ins Land, der
auf seine grundsatzlose, ewig schachernde und jedem Kampf mit einem Kom¬
promiß aus dem Wege gehende Politik Hütte von nachhaltigem Einfluß sein
können. Dieser deutsche Zug in: Leben jenes Landes ist verwischt, und mit
Stolz rühmt sich die Hauptvertreterin der deutschen Presse, daß sie "von


Die Deutschen in Newyork.

Wahrheitsliebe kostbare Zeugnisse. Wir verdanken ihm das Wort, daß in keinem
Lande, welches er gesehen, „weniger politisches Leben und mehr politischer Lärm"
herrsche als in Nordamerika. „Man wird es doch keine Politik nennen wollen,
daß die traäinZ xoMoians stereotyp das Vaterland in Gefahr erklären und
sich im voraus über die Stellen, d. h. die Beute, einigen, daß die Bürger etwa
zweimal im Jahre zu den vorgeschlagnen Kandidaten ja oder nein sagen können,
und daß bei dieser Gelegenheit der süße Pöbel, der gewöhnlich Schauspieler und
Zuschauer in einer Person ist, sich vmsvnst betrinken und umsonst Skandal
machen darf." Wir verdanken ihm ferner den Hinweis, wie in den großen
Städten der Union das betrübende Schauspiel zu beobachten sei, daß „die
Freiheit durch die Verfälschung im radikalen Sinne zerstört wird und daß das, was
man dort Demokratie nennt, in der That die rechtloseste Tyrannei des Mohs
ist." Schärfer kann der Triumph des abstrakten demokratischen Prinzips, dieser
fortwährende Götzendienst vor dem „freien, edeln, nie irrenden und in seiner Ge¬
samtheit immer weisen Volke" in der That nicht charalterisirt werden, und es
ist schon der Mühe wert, seinem „angestammten Herrscherhause" abzuschwören,
um sich der Tyrannei eines fremden Mohs zu unterwerfen. Am besten, man
ist gleich selber Mob; denn erst kann man die höchsten Wonnen „politischer
Freiheit" in jenem Lande genießen; und es ist für alle Deutschen, die nicht den
erwünschten Mangel an Bildung mitbringen, wenigstens ein Glück, daß es drüben
so wenig politisches Leben giebt und sie reichlich Zeit haben, auf vie übliche
Stufe der öffentlichen Moral und Pflichtauffassung gegenüber dem Gemeinwesen
herabzusinken. Manche lernen es wohl nie und finden ihre politische Freiheit
in jener vollständigen Gleichgiltigkeit gegen alles, was Politik heißt, wie sie den
dollarjagenden Deutschamerikaner am häufigsten auszeichnet. Andre wieder machen
sich besser, und man möchte daran ersticken, wenn man sich von Amerikanern
vorwerfen lassen muß, daß von allen beutegierigen „Politikern" die Deutschen
der Ostseite von Newyork die schamlosesten und schmutzigsten seien. Alle wollen
sie mitthun, und alle wollen sie etwas dafür haben, und obwohl sie nur in den
allerseltensten Fällen einen Aldermanposteu ergattern, um unter dein Hohn ihrer
irischen Kollegen anflehten zu können, so hallen sie es doch für wert, ihre
private Ehre und die Ehre ihres Stammes jederzeit um diesen Preis in den
Staub zu ziehe«. Dies ist das politische Leben, zu welchem der Deutsche drüben
„erst erwacht"! Das war früher anders, und es ist traurig, daß man das
sagen muß. Bei der großen Bewegung gegen die Sklaverei, die den Sezessionskrieg
begleitete, waren die Deutsche» wenn nicht das treibende, so doch ein ungemein
rühriges Element, und es kam gerade durch sie ein idealer Zug ins Land, der
auf seine grundsatzlose, ewig schachernde und jedem Kampf mit einem Kom¬
promiß aus dem Wege gehende Politik Hütte von nachhaltigem Einfluß sein
können. Dieser deutsche Zug in: Leben jenes Landes ist verwischt, und mit
Stolz rühmt sich die Hauptvertreterin der deutschen Presse, daß sie „von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/600>, abgerufen am 05.02.2025.