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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Arbeit gekommen, welches notwendig zu einer Ausbeutung des einen Teiles der
Menschen durch einen andern geführt habe. Dieses ungerechte System bestehe
anch noch heute. Der bisherige Lohnvertrag unterscheide sich nur in der Form,
aber nicht dem Wesen nach von der antiken Sklaverei und der mittelalterlichen
Hörigkeit. Jetzt stünden wir aber an der Schwelle eines neuen Systems, der
organisirten freien Arbeit, bei welcher jene Ausbeutung aufhören müsse. Zur
Grundlage seiner Betrachtung nimmt der Verfasser die für ihn feststehende
Thatsache, daß es zufolge des bestehenden Systems der Ausbeutung dem größten
Teile der Menschen überaus elend gehe. Zwar sei der Kampf entfesselt, jeder¬
mann dürfe nach dem Höchsten ringen; er müsse aber auch darauf gefaßt sein, in
den tiefsten Abgrund des Elends zurückgestoßen zu werden. Es wird geredet von
der großen Masse, die "bei aufreibender Arbeit im tiefsten Elend verharrt",
von dem " grellen Kontraste des Massenelends mit dem grenzenlos an¬
schwellenden Reichtum weniger," von der "durch Haß und Neid vergifteten
Empfindung hoffnungsloser Not, gegenüber der gelten Üppigkeit des Über¬
muts." Wer verschuldet nun dieses Elend? Bei der hierüber angestellten
Untersuchung wird zunächst das Kapital von der Schuld freigesprochen. Der
Kapitalzins habe seine Berechtigung, er könne auch niemals den Arbeitsertrag
aufsaugen. Schuldig an der Ausbeutung sei in erster Linie der Unternehmer-
gewinn, der oft das Doppelte des Gesamtlohnes der Arbeit übersteige; sodann
aber auch die Grundrente, der dein Besitzer des Bodemnonopvls für die Be¬
nutzung der Naturkräfte zu entrichtende Tribut. Der Grundrente falle der
dauernde und letzte Vorteil jedes Kulturfortschrittes zu. Beide" Bezügeu gegen¬
über verharre der Arbeitslohn stets mir auf der Höhe des Existenzminimums,
welches jedoch weniger von den Marttverhältnisscn, als von der herrschenden
Meinung über das zum Leben notwendige abhänge. Staat und Gesellschaft
konnten deshalb allgemeine Lohnerhöhung erzwingen, ohne in die Freiheit des
Arbeitsvertrages einzugreifen, lediglich dnrch den Wechsel in den allgemeinen An-
schauungen über das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Daß
eine willkürliche Erhöhung des Arbeitslohnes dnrch die Konkurrenz unmöglich ge¬
macht werde, sei ein Aberglaube, der zerstört werden müsse. Sei man erst hiervon
zurückgekommen, so werde der Druck der öffentlichen Meinung und das Selbst¬
gefühl der Arbeiter den Lohn rasch und ausgiebig steigern. Aber die Hoffnung
hierauf genügt doch dem Verfasser nicht. Es bedarf seiner Ansicht nach einer
"Emanzipation der Arbeit" vom Unternehmergewinn und von der Bodenrenke.
Das Mittel, um den Unternehmergewinn zu beseitigen, findet der Verfasser in
Produktions-Genossenschaften der Arbeiter. Solche mit Nutzen zu betreiben,
seien allerdings zur Zeit die Arbeiter uicht befähigt. Aber sie müßten dazu,
wenn auch mit großen Opfern, von Staatswegen erzogen werden. Sei dies
erst gelungen, dann werde sich die freie Arbeit der ausgebeuteten gegenüber
weit überlegen zeigen. Was aber die Bodenrenke betrifft, deren Fortbestand


Arbeit gekommen, welches notwendig zu einer Ausbeutung des einen Teiles der
Menschen durch einen andern geführt habe. Dieses ungerechte System bestehe
anch noch heute. Der bisherige Lohnvertrag unterscheide sich nur in der Form,
aber nicht dem Wesen nach von der antiken Sklaverei und der mittelalterlichen
Hörigkeit. Jetzt stünden wir aber an der Schwelle eines neuen Systems, der
organisirten freien Arbeit, bei welcher jene Ausbeutung aufhören müsse. Zur
Grundlage seiner Betrachtung nimmt der Verfasser die für ihn feststehende
Thatsache, daß es zufolge des bestehenden Systems der Ausbeutung dem größten
Teile der Menschen überaus elend gehe. Zwar sei der Kampf entfesselt, jeder¬
mann dürfe nach dem Höchsten ringen; er müsse aber auch darauf gefaßt sein, in
den tiefsten Abgrund des Elends zurückgestoßen zu werden. Es wird geredet von
der großen Masse, die „bei aufreibender Arbeit im tiefsten Elend verharrt",
von dem „ grellen Kontraste des Massenelends mit dem grenzenlos an¬
schwellenden Reichtum weniger," von der „durch Haß und Neid vergifteten
Empfindung hoffnungsloser Not, gegenüber der gelten Üppigkeit des Über¬
muts." Wer verschuldet nun dieses Elend? Bei der hierüber angestellten
Untersuchung wird zunächst das Kapital von der Schuld freigesprochen. Der
Kapitalzins habe seine Berechtigung, er könne auch niemals den Arbeitsertrag
aufsaugen. Schuldig an der Ausbeutung sei in erster Linie der Unternehmer-
gewinn, der oft das Doppelte des Gesamtlohnes der Arbeit übersteige; sodann
aber auch die Grundrente, der dein Besitzer des Bodemnonopvls für die Be¬
nutzung der Naturkräfte zu entrichtende Tribut. Der Grundrente falle der
dauernde und letzte Vorteil jedes Kulturfortschrittes zu. Beide» Bezügeu gegen¬
über verharre der Arbeitslohn stets mir auf der Höhe des Existenzminimums,
welches jedoch weniger von den Marttverhältnisscn, als von der herrschenden
Meinung über das zum Leben notwendige abhänge. Staat und Gesellschaft
konnten deshalb allgemeine Lohnerhöhung erzwingen, ohne in die Freiheit des
Arbeitsvertrages einzugreifen, lediglich dnrch den Wechsel in den allgemeinen An-
schauungen über das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Daß
eine willkürliche Erhöhung des Arbeitslohnes dnrch die Konkurrenz unmöglich ge¬
macht werde, sei ein Aberglaube, der zerstört werden müsse. Sei man erst hiervon
zurückgekommen, so werde der Druck der öffentlichen Meinung und das Selbst¬
gefühl der Arbeiter den Lohn rasch und ausgiebig steigern. Aber die Hoffnung
hierauf genügt doch dem Verfasser nicht. Es bedarf seiner Ansicht nach einer
„Emanzipation der Arbeit" vom Unternehmergewinn und von der Bodenrenke.
Das Mittel, um den Unternehmergewinn zu beseitigen, findet der Verfasser in
Produktions-Genossenschaften der Arbeiter. Solche mit Nutzen zu betreiben,
seien allerdings zur Zeit die Arbeiter uicht befähigt. Aber sie müßten dazu,
wenn auch mit großen Opfern, von Staatswegen erzogen werden. Sei dies
erst gelungen, dann werde sich die freie Arbeit der ausgebeuteten gegenüber
weit überlegen zeigen. Was aber die Bodenrenke betrifft, deren Fortbestand


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[0592] Arbeit gekommen, welches notwendig zu einer Ausbeutung des einen Teiles der Menschen durch einen andern geführt habe. Dieses ungerechte System bestehe anch noch heute. Der bisherige Lohnvertrag unterscheide sich nur in der Form, aber nicht dem Wesen nach von der antiken Sklaverei und der mittelalterlichen Hörigkeit. Jetzt stünden wir aber an der Schwelle eines neuen Systems, der organisirten freien Arbeit, bei welcher jene Ausbeutung aufhören müsse. Zur Grundlage seiner Betrachtung nimmt der Verfasser die für ihn feststehende Thatsache, daß es zufolge des bestehenden Systems der Ausbeutung dem größten Teile der Menschen überaus elend gehe. Zwar sei der Kampf entfesselt, jeder¬ mann dürfe nach dem Höchsten ringen; er müsse aber auch darauf gefaßt sein, in den tiefsten Abgrund des Elends zurückgestoßen zu werden. Es wird geredet von der großen Masse, die „bei aufreibender Arbeit im tiefsten Elend verharrt", von dem „ grellen Kontraste des Massenelends mit dem grenzenlos an¬ schwellenden Reichtum weniger," von der „durch Haß und Neid vergifteten Empfindung hoffnungsloser Not, gegenüber der gelten Üppigkeit des Über¬ muts." Wer verschuldet nun dieses Elend? Bei der hierüber angestellten Untersuchung wird zunächst das Kapital von der Schuld freigesprochen. Der Kapitalzins habe seine Berechtigung, er könne auch niemals den Arbeitsertrag aufsaugen. Schuldig an der Ausbeutung sei in erster Linie der Unternehmer- gewinn, der oft das Doppelte des Gesamtlohnes der Arbeit übersteige; sodann aber auch die Grundrente, der dein Besitzer des Bodemnonopvls für die Be¬ nutzung der Naturkräfte zu entrichtende Tribut. Der Grundrente falle der dauernde und letzte Vorteil jedes Kulturfortschrittes zu. Beide» Bezügeu gegen¬ über verharre der Arbeitslohn stets mir auf der Höhe des Existenzminimums, welches jedoch weniger von den Marttverhältnisscn, als von der herrschenden Meinung über das zum Leben notwendige abhänge. Staat und Gesellschaft konnten deshalb allgemeine Lohnerhöhung erzwingen, ohne in die Freiheit des Arbeitsvertrages einzugreifen, lediglich dnrch den Wechsel in den allgemeinen An- schauungen über das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Daß eine willkürliche Erhöhung des Arbeitslohnes dnrch die Konkurrenz unmöglich ge¬ macht werde, sei ein Aberglaube, der zerstört werden müsse. Sei man erst hiervon zurückgekommen, so werde der Druck der öffentlichen Meinung und das Selbst¬ gefühl der Arbeiter den Lohn rasch und ausgiebig steigern. Aber die Hoffnung hierauf genügt doch dem Verfasser nicht. Es bedarf seiner Ansicht nach einer „Emanzipation der Arbeit" vom Unternehmergewinn und von der Bodenrenke. Das Mittel, um den Unternehmergewinn zu beseitigen, findet der Verfasser in Produktions-Genossenschaften der Arbeiter. Solche mit Nutzen zu betreiben, seien allerdings zur Zeit die Arbeiter uicht befähigt. Aber sie müßten dazu, wenn auch mit großen Opfern, von Staatswegen erzogen werden. Sei dies erst gelungen, dann werde sich die freie Arbeit der ausgebeuteten gegenüber weit überlegen zeigen. Was aber die Bodenrenke betrifft, deren Fortbestand

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/592>, abgerufen am 05.02.2025.