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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Das Bleibende im kirchenpolitischen Kampfe.

Element uns Schwierigkeit gemacht hätte. Wer den Dingen gefolgt ist, wird
wissen, daß die polnische Frage von Anfang an auf die kirchenpvlitischc Frage,
besonders auf dem Gebiete der Schulaufsicht und der Heranbildung des Klerus,
ganz entschieden gewirkt hat. Wäre es möglich, die polnischen Adlichen und
die polnischen Geistlichen für deutsche Kultur und den preußischen Staat
freundlich zu stimmen, was wir für die nächsten fünfzig Jahre für völlig un¬
möglich halten, so wäre eigentlich der kirchenpolitische Streit in Preußen be¬
seitigt. Es ist jedenfalls richtig, daß die achtziger Jahre es für möglich gehalten
haben, trotz der polnischen Schwierigkeiten mehreres zu mildern. So wurde es
(1880) abgestellt, daß man Geistliche durch gerichtliches Urteil aus ihrem Amte
entlassen konnte, der Bischof blieb Bischof, nur durfte er an dein bisherigen Orte
sein Amt nicht mehr ausüben. Es wurde den Bistumsverwesern der Eid er¬
lassen. Gesetzlich angestellte Geistliche konnten in notleidenden Pfarreien Amts¬
handlungen ausüben, wenn sie nur nicht die Absicht bekundeten, dort ein
förmliches Amt zu übernehmen. Die Gehaltszahlung an Geistliche wurde unter
leichtern Bedingungen wieder aufgenommen, dagegen die staatliche Verwaltung
kirchlichen Vermögens wurde an die Ermächtigung des Staatsministeriums als
an eine erschwerende Bedingung geknüpft. Die krankenpflegenden römischen Ge¬
nossenschaften wurden freier? gestellt und ihr Wirkungskreis erweitert. Zwei
Jahre nachher (um 31. Mai 1882) ging die Milderung der kirchenpolitischen
Gesetze noch weiter. Die Begnadigung der Bischöfe wurde in Aussicht genommen
und deren Rückkehr wirklich vollzogen in mehreren Fällen. Es zeigte sich, daß
bei einem solchen Falle, der Rückkehr eines Bischofs, der Staat noch lange
nicht aus den Fugen ging. Die Staatsprüfung der Geistlichen, die nnr von
evangelischen und altkathvlischen Kandidaten gemacht worden war, wurde in
etwas sonderbarer Weise durch ein Fleißzeugnis der Professoren ersetzt, ein
Zeugnis, das man Jahre vorher für die übrigen Studien ausdrücklich hatte
fallen lassen. In Bezug auf Vorbildung dürfte der Minister auch von den
andern Erfordernissen des Z 4 dispensiren, selbst von den wichtigsten, offenbar
um die entstnndnen Lücken in der römische" Seelsorge auszufüllen. In Voraussicht
dieser Lücken hatte man früher den katholischen Gemeinden und Patronen ge¬
stattet, im Notfalle sich selbst Geistliche zu erwählen. Das war zwar eine
uralte Einrichtung, aber sie war dem spätern kanonischen Rechte so zuwider,
daß die besten protestantischen Kirchenrechtslehrer es tadelten, solche "StaatS-
pfarrer" in Aussicht genommen zu haben. Sie mußten im Jahre 1882 auf¬
gegeben werden.

Ein Jahr später wurde wieder ein Stück der alten Position aufgegeben,
ein wichtiges. Die Bischöfe brauchten diejenigen Geistlichen nicht mehr dein
Staate zu benennen, die unbedingt abberufen werden können, oder nur eine vor¬
übergehende Hilfeleistung oder Stellvertretung übernehmen. Dadurch wurde es,
in Verbindung mit liberalen Dispensationen und Straffreierklärungen möglich,


Das Bleibende im kirchenpolitischen Kampfe.

Element uns Schwierigkeit gemacht hätte. Wer den Dingen gefolgt ist, wird
wissen, daß die polnische Frage von Anfang an auf die kirchenpvlitischc Frage,
besonders auf dem Gebiete der Schulaufsicht und der Heranbildung des Klerus,
ganz entschieden gewirkt hat. Wäre es möglich, die polnischen Adlichen und
die polnischen Geistlichen für deutsche Kultur und den preußischen Staat
freundlich zu stimmen, was wir für die nächsten fünfzig Jahre für völlig un¬
möglich halten, so wäre eigentlich der kirchenpolitische Streit in Preußen be¬
seitigt. Es ist jedenfalls richtig, daß die achtziger Jahre es für möglich gehalten
haben, trotz der polnischen Schwierigkeiten mehreres zu mildern. So wurde es
(1880) abgestellt, daß man Geistliche durch gerichtliches Urteil aus ihrem Amte
entlassen konnte, der Bischof blieb Bischof, nur durfte er an dein bisherigen Orte
sein Amt nicht mehr ausüben. Es wurde den Bistumsverwesern der Eid er¬
lassen. Gesetzlich angestellte Geistliche konnten in notleidenden Pfarreien Amts¬
handlungen ausüben, wenn sie nur nicht die Absicht bekundeten, dort ein
förmliches Amt zu übernehmen. Die Gehaltszahlung an Geistliche wurde unter
leichtern Bedingungen wieder aufgenommen, dagegen die staatliche Verwaltung
kirchlichen Vermögens wurde an die Ermächtigung des Staatsministeriums als
an eine erschwerende Bedingung geknüpft. Die krankenpflegenden römischen Ge¬
nossenschaften wurden freier? gestellt und ihr Wirkungskreis erweitert. Zwei
Jahre nachher (um 31. Mai 1882) ging die Milderung der kirchenpolitischen
Gesetze noch weiter. Die Begnadigung der Bischöfe wurde in Aussicht genommen
und deren Rückkehr wirklich vollzogen in mehreren Fällen. Es zeigte sich, daß
bei einem solchen Falle, der Rückkehr eines Bischofs, der Staat noch lange
nicht aus den Fugen ging. Die Staatsprüfung der Geistlichen, die nnr von
evangelischen und altkathvlischen Kandidaten gemacht worden war, wurde in
etwas sonderbarer Weise durch ein Fleißzeugnis der Professoren ersetzt, ein
Zeugnis, das man Jahre vorher für die übrigen Studien ausdrücklich hatte
fallen lassen. In Bezug auf Vorbildung dürfte der Minister auch von den
andern Erfordernissen des Z 4 dispensiren, selbst von den wichtigsten, offenbar
um die entstnndnen Lücken in der römische» Seelsorge auszufüllen. In Voraussicht
dieser Lücken hatte man früher den katholischen Gemeinden und Patronen ge¬
stattet, im Notfalle sich selbst Geistliche zu erwählen. Das war zwar eine
uralte Einrichtung, aber sie war dem spätern kanonischen Rechte so zuwider,
daß die besten protestantischen Kirchenrechtslehrer es tadelten, solche „StaatS-
pfarrer" in Aussicht genommen zu haben. Sie mußten im Jahre 1882 auf¬
gegeben werden.

Ein Jahr später wurde wieder ein Stück der alten Position aufgegeben,
ein wichtiges. Die Bischöfe brauchten diejenigen Geistlichen nicht mehr dein
Staate zu benennen, die unbedingt abberufen werden können, oder nur eine vor¬
übergehende Hilfeleistung oder Stellvertretung übernehmen. Dadurch wurde es,
in Verbindung mit liberalen Dispensationen und Straffreierklärungen möglich,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/559>, abgerufen am 05.02.2025.