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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Ans dem goldnen Prag.

leiden das heimische Land besungen haben, sind unsrer Generation nicht mehr
recht verständlich. Wer möchte dem tschechischen Volke heute mit dein Sänger
der "Böhmischen Elegien" zurufen:


An Deutschlands Halse wein' dich aus,
An seinem schmerzvcrwandten Herren;
Geöffnet steht sein weites Huus
Für alle großen, heil'gen Schmerzen,

Und wenn Hartmann das "stille Prag" mit einem Bilde auf Sarkophagen
vergleicht, es ein "slawisches Jerusalem" nennt, so trifft das heute auch nicht
mehr zu. Prag ist eine lebhafte Stadt, und trotz der vielen Denkmale aus
läugstvergangnen Jahrhunderten, trotz des Hradschins und des Judcnfricdhvfes
fühlt mau sich hier ganz in einem modernen Gemeinwesen, das fröhlich auf¬
blühe und sich dnrch rasch entstandene Vorstädte immer mehr ins Freie hinaus
verbreitet.

Die bildenden Künste haben in dem "Nndolfinum" am rechten Mvldau-
auai eine prächtige Stätte gefunden. Hier vereinigen sich noch Deutsche und
Tschechen, die Aufschriften sind in beiden Landessprachen gehalten. Abgesehen
vou einer Galerie einheimischer Künstler der letzten zwei Jahrhunderte -- einer
Sammlung von großem historischen Interesse, die ihres Beschrcibers noch
harrt -- birgt das Nudvlfinnm eine nicht unbeträchtliche Zahl älterer Meister,
namentlich der niederländischen Schule. Am meisten Anziehungskraft übt aber
eben jetzt Dürers Roscnkrnnzfest auf den Besucher; es gehört dem Stifte Strahow
auf der Kleiuseitc und ist um die Mitte unsers Jahrhunderts nicht ungeschickt
restaurirt worden. Den Werken der jetzt lebenden Prager Bildhauer und Maler
beider Nationen bringt das Publikum ein lebhaftes Interesse entgegen, weniger
den kunstgewerblichen Erzeugnissen; doch ist zu hoffen, daß die eben eröffnete,
in großartigem Stile eingerichtete Staatsknustgewerbcschule hier über kurz oder
lang eine Wendung zum Bessern herbeiführen werde.

Die Umgebungen von Prag haben für den, der vou Wien hierher kommt,
keinerlei Reiz. Ringsum ist eine öde Hochfläche, und mau muß stundenlang
gehen, bis man ans Waldungen stößt. Den Fremden, der sich da hinauswagt,
ergreift bald ein Gefühl trostloser Vereinsamung; die Dörfer, dnrch die er
kommt, sind unfreundlich und schmutzig -- nirgends hört er ein deutsches Wort,
dafür begegnet er manchem feindseligen Blick. Um wie viel schöner ist es, in der
Stadt den Laurenzibcrg, das Belvedere oder den Hradschin zu ersteigen. Da
thun sich Städtebilder vor unserm Augen auf, wie es wenige in Europa giebt.
Alexander von Humboldt zählt Prag der Lage mich zu den vier schönsten
Städten Europas; mir Neapel, Konstantinopel und Lissabon setzt er darüber.




Ans dem goldnen Prag.

leiden das heimische Land besungen haben, sind unsrer Generation nicht mehr
recht verständlich. Wer möchte dem tschechischen Volke heute mit dein Sänger
der „Böhmischen Elegien" zurufen:


An Deutschlands Halse wein' dich aus,
An seinem schmerzvcrwandten Herren;
Geöffnet steht sein weites Huus
Für alle großen, heil'gen Schmerzen,

Und wenn Hartmann das „stille Prag" mit einem Bilde auf Sarkophagen
vergleicht, es ein „slawisches Jerusalem" nennt, so trifft das heute auch nicht
mehr zu. Prag ist eine lebhafte Stadt, und trotz der vielen Denkmale aus
läugstvergangnen Jahrhunderten, trotz des Hradschins und des Judcnfricdhvfes
fühlt mau sich hier ganz in einem modernen Gemeinwesen, das fröhlich auf¬
blühe und sich dnrch rasch entstandene Vorstädte immer mehr ins Freie hinaus
verbreitet.

Die bildenden Künste haben in dem „Nndolfinum" am rechten Mvldau-
auai eine prächtige Stätte gefunden. Hier vereinigen sich noch Deutsche und
Tschechen, die Aufschriften sind in beiden Landessprachen gehalten. Abgesehen
vou einer Galerie einheimischer Künstler der letzten zwei Jahrhunderte — einer
Sammlung von großem historischen Interesse, die ihres Beschrcibers noch
harrt — birgt das Nudvlfinnm eine nicht unbeträchtliche Zahl älterer Meister,
namentlich der niederländischen Schule. Am meisten Anziehungskraft übt aber
eben jetzt Dürers Roscnkrnnzfest auf den Besucher; es gehört dem Stifte Strahow
auf der Kleiuseitc und ist um die Mitte unsers Jahrhunderts nicht ungeschickt
restaurirt worden. Den Werken der jetzt lebenden Prager Bildhauer und Maler
beider Nationen bringt das Publikum ein lebhaftes Interesse entgegen, weniger
den kunstgewerblichen Erzeugnissen; doch ist zu hoffen, daß die eben eröffnete,
in großartigem Stile eingerichtete Staatsknustgewerbcschule hier über kurz oder
lang eine Wendung zum Bessern herbeiführen werde.

Die Umgebungen von Prag haben für den, der vou Wien hierher kommt,
keinerlei Reiz. Ringsum ist eine öde Hochfläche, und mau muß stundenlang
gehen, bis man ans Waldungen stößt. Den Fremden, der sich da hinauswagt,
ergreift bald ein Gefühl trostloser Vereinsamung; die Dörfer, dnrch die er
kommt, sind unfreundlich und schmutzig — nirgends hört er ein deutsches Wort,
dafür begegnet er manchem feindseligen Blick. Um wie viel schöner ist es, in der
Stadt den Laurenzibcrg, das Belvedere oder den Hradschin zu ersteigen. Da
thun sich Städtebilder vor unserm Augen auf, wie es wenige in Europa giebt.
Alexander von Humboldt zählt Prag der Lage mich zu den vier schönsten
Städten Europas; mir Neapel, Konstantinopel und Lissabon setzt er darüber.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/519>, abgerufen am 05.02.2025.