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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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schuldigen Knabe", der mit einem Stein in der Hand vor einer Spiegelscheibe
steht, den Stein wegnehmen? das ist Gewaltthätigkeit, das ist Raub, das ist
Eingriff in das Eigentum und die persönliche Freiheit, Er will vielleicht
Mineralogie studiren, und Sie verhindern ihn daran, ein großer Gelehrter zu
werden, eine Zierde der Menschheit. Sie sagen freilich, der böse Bube habe
uns schon mehr als einmal die Fenster eingeworfen. Gut. ich leugne das nicht,
und wenn er den Stein abermals schleudern und die Scheibe wirklich zertrümmern
sollte, so werde auch ich für seine Bestrafung stimmen. Allein Sie können nicht
wissen, ob er nicht auf dem Wege der Besserung ist, und Sie ihn durch das
Mißtrauen in seine guten Absichten wieder irre machen.

Also germcmisiren wir nicht, am wenigsten zwangsweise, sondern cissimiliren
wir. Man hat gesagt, bei diesem Ausdrucke könne sich ein jeder denken, was
ihm gefalle. Ganz recht, aber ist es deun nicht die höchste staatsmännische
Weisheit, solche Ausdrücke zu wählen, mit denen sich alle Parteien zufrieden
geben können? Ich z. B. denke mir die Sache so, wie sie sich in der Geschichte
von einem Breslauer Judenknaben, die Ihnen Wohl bekannt sein wird, darstellt.
Der jubelte in einem Grade, daß er sogar seinen Angehörigen unangenehm
wurde, und um ihn zu heilen, schickte man ihn auf längere Zeit in ein Dorf
im Riesengebirge. Und was war der Erfolg? Nach einem halben Jahre jubelte
das ganze Dorf. Die höhere Kultur hatte gesiegt, der Knabe hatte die einfachen
Gebirgsbewohner sich assimilirt. Ebenso assiunlircn die polnischen Geistlichen,
Lehrer, Ärzte, Zeitungsschreiber sich die deutsche Bevölkerung in Posen, West¬
preußen und Oberschlesien, und das ist die einfachste Lösung der polnischen Frage
in diesen Provinzen.

Ich eile zum Schlüsse, indem ich mich vollständig der Ansicht des verehrten
Abgeordneten Windthorst anschließe: Vulvaut, <.;0N8ulLs, no <mi<l <I<ze>rini"zue,i
"gPiat r03xuvlie.ii. Das heißt auf Deutsch:


Bewahrt das Feuer und das Licht,
Damit der polnischen Republik kein Schade geschieht --

oder auf Französisch:


^tviAnnn" >!>, Imam'v ot 1'iUImncm" lag t'sux.

Die Konsuln, meine Herren, sind wir. Und wir werden unsre Schuldigkeit
thun. So lange die Kollegen Windthorst, Hänel und ich auf dem Wachtposten
stehen, darf ruhig gesungen werden: "Noch ist Polen (von 1772) nicht ver¬
loren!"




schuldigen Knabe», der mit einem Stein in der Hand vor einer Spiegelscheibe
steht, den Stein wegnehmen? das ist Gewaltthätigkeit, das ist Raub, das ist
Eingriff in das Eigentum und die persönliche Freiheit, Er will vielleicht
Mineralogie studiren, und Sie verhindern ihn daran, ein großer Gelehrter zu
werden, eine Zierde der Menschheit. Sie sagen freilich, der böse Bube habe
uns schon mehr als einmal die Fenster eingeworfen. Gut. ich leugne das nicht,
und wenn er den Stein abermals schleudern und die Scheibe wirklich zertrümmern
sollte, so werde auch ich für seine Bestrafung stimmen. Allein Sie können nicht
wissen, ob er nicht auf dem Wege der Besserung ist, und Sie ihn durch das
Mißtrauen in seine guten Absichten wieder irre machen.

Also germcmisiren wir nicht, am wenigsten zwangsweise, sondern cissimiliren
wir. Man hat gesagt, bei diesem Ausdrucke könne sich ein jeder denken, was
ihm gefalle. Ganz recht, aber ist es deun nicht die höchste staatsmännische
Weisheit, solche Ausdrücke zu wählen, mit denen sich alle Parteien zufrieden
geben können? Ich z. B. denke mir die Sache so, wie sie sich in der Geschichte
von einem Breslauer Judenknaben, die Ihnen Wohl bekannt sein wird, darstellt.
Der jubelte in einem Grade, daß er sogar seinen Angehörigen unangenehm
wurde, und um ihn zu heilen, schickte man ihn auf längere Zeit in ein Dorf
im Riesengebirge. Und was war der Erfolg? Nach einem halben Jahre jubelte
das ganze Dorf. Die höhere Kultur hatte gesiegt, der Knabe hatte die einfachen
Gebirgsbewohner sich assimilirt. Ebenso assiunlircn die polnischen Geistlichen,
Lehrer, Ärzte, Zeitungsschreiber sich die deutsche Bevölkerung in Posen, West¬
preußen und Oberschlesien, und das ist die einfachste Lösung der polnischen Frage
in diesen Provinzen.

Ich eile zum Schlüsse, indem ich mich vollständig der Ansicht des verehrten
Abgeordneten Windthorst anschließe: Vulvaut, <.;0N8ulLs, no <mi<l <I<ze>rini«zue,i
«gPiat r03xuvlie.ii. Das heißt auf Deutsch:


Bewahrt das Feuer und das Licht,
Damit der polnischen Republik kein Schade geschieht —

oder auf Französisch:


^tviAnnn» >!>, Imam'v ot 1'iUImncm» lag t'sux.

Die Konsuln, meine Herren, sind wir. Und wir werden unsre Schuldigkeit
thun. So lange die Kollegen Windthorst, Hänel und ich auf dem Wachtposten
stehen, darf ruhig gesungen werden: „Noch ist Polen (von 1772) nicht ver¬
loren!"




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[0482] schuldigen Knabe», der mit einem Stein in der Hand vor einer Spiegelscheibe steht, den Stein wegnehmen? das ist Gewaltthätigkeit, das ist Raub, das ist Eingriff in das Eigentum und die persönliche Freiheit, Er will vielleicht Mineralogie studiren, und Sie verhindern ihn daran, ein großer Gelehrter zu werden, eine Zierde der Menschheit. Sie sagen freilich, der böse Bube habe uns schon mehr als einmal die Fenster eingeworfen. Gut. ich leugne das nicht, und wenn er den Stein abermals schleudern und die Scheibe wirklich zertrümmern sollte, so werde auch ich für seine Bestrafung stimmen. Allein Sie können nicht wissen, ob er nicht auf dem Wege der Besserung ist, und Sie ihn durch das Mißtrauen in seine guten Absichten wieder irre machen. Also germcmisiren wir nicht, am wenigsten zwangsweise, sondern cissimiliren wir. Man hat gesagt, bei diesem Ausdrucke könne sich ein jeder denken, was ihm gefalle. Ganz recht, aber ist es deun nicht die höchste staatsmännische Weisheit, solche Ausdrücke zu wählen, mit denen sich alle Parteien zufrieden geben können? Ich z. B. denke mir die Sache so, wie sie sich in der Geschichte von einem Breslauer Judenknaben, die Ihnen Wohl bekannt sein wird, darstellt. Der jubelte in einem Grade, daß er sogar seinen Angehörigen unangenehm wurde, und um ihn zu heilen, schickte man ihn auf längere Zeit in ein Dorf im Riesengebirge. Und was war der Erfolg? Nach einem halben Jahre jubelte das ganze Dorf. Die höhere Kultur hatte gesiegt, der Knabe hatte die einfachen Gebirgsbewohner sich assimilirt. Ebenso assiunlircn die polnischen Geistlichen, Lehrer, Ärzte, Zeitungsschreiber sich die deutsche Bevölkerung in Posen, West¬ preußen und Oberschlesien, und das ist die einfachste Lösung der polnischen Frage in diesen Provinzen. Ich eile zum Schlüsse, indem ich mich vollständig der Ansicht des verehrten Abgeordneten Windthorst anschließe: Vulvaut, <.;0N8ulLs, no <mi<l <I<ze>rini«zue,i «gPiat r03xuvlie.ii. Das heißt auf Deutsch: Bewahrt das Feuer und das Licht, Damit der polnischen Republik kein Schade geschieht — oder auf Französisch: ^tviAnnn» >!>, Imam'v ot 1'iUImncm» lag t'sux. Die Konsuln, meine Herren, sind wir. Und wir werden unsre Schuldigkeit thun. So lange die Kollegen Windthorst, Hänel und ich auf dem Wachtposten stehen, darf ruhig gesungen werden: „Noch ist Polen (von 1772) nicht ver¬ loren!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/482>, abgerufen am 05.02.2025.