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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Die Deutschen in Newyork.

jedem andern eine Freude gewesen wäre, es zu sehen, und dann, sobald die
Rede auf Deutschland kam: ein Kosmopolit, ein Verächter des Nationalitäts¬
prinzips; Vaterland: Unsinn; Gefühl der Zugehörigkeit zur Familie: nichts als
Gewöhnung; Nasse: Humbug! Man traute seinen Ohren nicht! Und wenn dann
die ganze Stufenleiter der Dialektik hinauf und herunter abgewandelt war, wurde
zuletzt der große Trumpf ausgespielt: es würden ihn keine zehn Pferde dazu
bringen, wieder in den deutschen "Unterthanenvcrein" einzutreten, und dabei
merkte der gute Maun nicht, daß er etwas viel schlimmeres geworden war: der
Unterthan einer fremden Nationalität,

Die deutsche Presse, welcher die Aufgabe zufiele, Wandel zu schaffen, versagt
hier. Wir sprechen dabei nicht von der Presse des Westens, die wir nicht genau genug
kennen, aber die Newyorker Presse zu lesen ist für einen Freund und Bekenner
des Deutschtums eine fortgesetzte Pein. Wir haben das angesehenste und am
besten redigirte Newyorker deutsche Blatt bereits im Frühjahr 1885 in diesen
Heften charalterisirt, und trotz der endlosen Reihe von Erwiederungen, die jener
kleine Aussatz hervorrief, halten wir unsre Vorwürfe in allem wesentlichen
aufrecht. Wir können hier unmöglich auf die plumpen Schimpfereien eingehen,
welche die gegnerische Polemik gezeitigt hat, und wollen nur Scherzes halber
unsern Lesern mitteilen, daß wir mit Entrüstung unter anderen auch "eine
Neptilie" genannt wurden, was in der Wortbildung wenigstens die "Unabhängigkeit"
des verehrlichen Blattes der unsrigen weit überlegen erscheinen läßt. Wir haben
aber gegen das Blatt den Vorwurf der Abhängigkeit garnicht einmal erhoben.
Wir sind nach wie vor der Überzeugung, daß es aus lautern und persönlichem
Egoismus die Interessen des großen Judcnscckels vertritt und die Interessen
des Deutschtums verleugnet, denn sein Besitzer und Leiter ist mehrfacher Millionär.
Daß er diese Millionen verdient hat durch ein deutsches, auf dem Boden des
Deutschtums entstandenes und gediehenes, von Deutschen gelesenes und bezahltes
Blatt, hindert nichts. Das Amcrikanertum ist die stets bereitstehende Ofenbank,
auf die sich Michel fauchend zurückzieht, sobald irgendeine nationale Anforderung
an ihn herantritt; sollte diese Zuflucht dem vornehmsten deutschen Organ in
Newyork verschlossen sein, weil es Pflichten hat? Man irrt sich: die Ofenbank
ist die nationale Pflicht des Deutschamerikaners. Von dort ans läßt sich die
Sache des Deutschtums ja so tapfer verhöhnen, lassen sich seine Interessen mit
solcher Schläfrigkeit vertreten, lassen sich die Rohheiten des Amerikaners so
lakaienhaft hinnehmen, lassen sich die Anforderungen an die Deutschen so niedrig
stellen und so wacker vergessen. Von dort her wurde uns ja auch zugeschrieen,
die Newyorker Staatszeitung sei ein "von Amerikanern für Amerikaner" ge¬
schriebenes Blatt, wir sollten das doch endlich wissen. Gesetzt, die Jrländer
hätten eine eigne Sprache, und das stimmführende irische Organ von Newyork
antwortete auf die Ermahnung, sich doch etwas besser über die Heimat zu
unterrichten, mit dein eben zitirten amerikanischen Refrain, Paddy würde dieses


Grenzboten I. IMö. S8
Die Deutschen in Newyork.

jedem andern eine Freude gewesen wäre, es zu sehen, und dann, sobald die
Rede auf Deutschland kam: ein Kosmopolit, ein Verächter des Nationalitäts¬
prinzips; Vaterland: Unsinn; Gefühl der Zugehörigkeit zur Familie: nichts als
Gewöhnung; Nasse: Humbug! Man traute seinen Ohren nicht! Und wenn dann
die ganze Stufenleiter der Dialektik hinauf und herunter abgewandelt war, wurde
zuletzt der große Trumpf ausgespielt: es würden ihn keine zehn Pferde dazu
bringen, wieder in den deutschen „Unterthanenvcrein" einzutreten, und dabei
merkte der gute Maun nicht, daß er etwas viel schlimmeres geworden war: der
Unterthan einer fremden Nationalität,

Die deutsche Presse, welcher die Aufgabe zufiele, Wandel zu schaffen, versagt
hier. Wir sprechen dabei nicht von der Presse des Westens, die wir nicht genau genug
kennen, aber die Newyorker Presse zu lesen ist für einen Freund und Bekenner
des Deutschtums eine fortgesetzte Pein. Wir haben das angesehenste und am
besten redigirte Newyorker deutsche Blatt bereits im Frühjahr 1885 in diesen
Heften charalterisirt, und trotz der endlosen Reihe von Erwiederungen, die jener
kleine Aussatz hervorrief, halten wir unsre Vorwürfe in allem wesentlichen
aufrecht. Wir können hier unmöglich auf die plumpen Schimpfereien eingehen,
welche die gegnerische Polemik gezeitigt hat, und wollen nur Scherzes halber
unsern Lesern mitteilen, daß wir mit Entrüstung unter anderen auch „eine
Neptilie" genannt wurden, was in der Wortbildung wenigstens die „Unabhängigkeit"
des verehrlichen Blattes der unsrigen weit überlegen erscheinen läßt. Wir haben
aber gegen das Blatt den Vorwurf der Abhängigkeit garnicht einmal erhoben.
Wir sind nach wie vor der Überzeugung, daß es aus lautern und persönlichem
Egoismus die Interessen des großen Judcnscckels vertritt und die Interessen
des Deutschtums verleugnet, denn sein Besitzer und Leiter ist mehrfacher Millionär.
Daß er diese Millionen verdient hat durch ein deutsches, auf dem Boden des
Deutschtums entstandenes und gediehenes, von Deutschen gelesenes und bezahltes
Blatt, hindert nichts. Das Amcrikanertum ist die stets bereitstehende Ofenbank,
auf die sich Michel fauchend zurückzieht, sobald irgendeine nationale Anforderung
an ihn herantritt; sollte diese Zuflucht dem vornehmsten deutschen Organ in
Newyork verschlossen sein, weil es Pflichten hat? Man irrt sich: die Ofenbank
ist die nationale Pflicht des Deutschamerikaners. Von dort ans läßt sich die
Sache des Deutschtums ja so tapfer verhöhnen, lassen sich seine Interessen mit
solcher Schläfrigkeit vertreten, lassen sich die Rohheiten des Amerikaners so
lakaienhaft hinnehmen, lassen sich die Anforderungen an die Deutschen so niedrig
stellen und so wacker vergessen. Von dort her wurde uns ja auch zugeschrieen,
die Newyorker Staatszeitung sei ein „von Amerikanern für Amerikaner" ge¬
schriebenes Blatt, wir sollten das doch endlich wissen. Gesetzt, die Jrländer
hätten eine eigne Sprache, und das stimmführende irische Organ von Newyork
antwortete auf die Ermahnung, sich doch etwas besser über die Heimat zu
unterrichten, mit dein eben zitirten amerikanischen Refrain, Paddy würde dieses


Grenzboten I. IMö. S8
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[0465] Die Deutschen in Newyork. jedem andern eine Freude gewesen wäre, es zu sehen, und dann, sobald die Rede auf Deutschland kam: ein Kosmopolit, ein Verächter des Nationalitäts¬ prinzips; Vaterland: Unsinn; Gefühl der Zugehörigkeit zur Familie: nichts als Gewöhnung; Nasse: Humbug! Man traute seinen Ohren nicht! Und wenn dann die ganze Stufenleiter der Dialektik hinauf und herunter abgewandelt war, wurde zuletzt der große Trumpf ausgespielt: es würden ihn keine zehn Pferde dazu bringen, wieder in den deutschen „Unterthanenvcrein" einzutreten, und dabei merkte der gute Maun nicht, daß er etwas viel schlimmeres geworden war: der Unterthan einer fremden Nationalität, Die deutsche Presse, welcher die Aufgabe zufiele, Wandel zu schaffen, versagt hier. Wir sprechen dabei nicht von der Presse des Westens, die wir nicht genau genug kennen, aber die Newyorker Presse zu lesen ist für einen Freund und Bekenner des Deutschtums eine fortgesetzte Pein. Wir haben das angesehenste und am besten redigirte Newyorker deutsche Blatt bereits im Frühjahr 1885 in diesen Heften charalterisirt, und trotz der endlosen Reihe von Erwiederungen, die jener kleine Aussatz hervorrief, halten wir unsre Vorwürfe in allem wesentlichen aufrecht. Wir können hier unmöglich auf die plumpen Schimpfereien eingehen, welche die gegnerische Polemik gezeitigt hat, und wollen nur Scherzes halber unsern Lesern mitteilen, daß wir mit Entrüstung unter anderen auch „eine Neptilie" genannt wurden, was in der Wortbildung wenigstens die „Unabhängigkeit" des verehrlichen Blattes der unsrigen weit überlegen erscheinen läßt. Wir haben aber gegen das Blatt den Vorwurf der Abhängigkeit garnicht einmal erhoben. Wir sind nach wie vor der Überzeugung, daß es aus lautern und persönlichem Egoismus die Interessen des großen Judcnscckels vertritt und die Interessen des Deutschtums verleugnet, denn sein Besitzer und Leiter ist mehrfacher Millionär. Daß er diese Millionen verdient hat durch ein deutsches, auf dem Boden des Deutschtums entstandenes und gediehenes, von Deutschen gelesenes und bezahltes Blatt, hindert nichts. Das Amcrikanertum ist die stets bereitstehende Ofenbank, auf die sich Michel fauchend zurückzieht, sobald irgendeine nationale Anforderung an ihn herantritt; sollte diese Zuflucht dem vornehmsten deutschen Organ in Newyork verschlossen sein, weil es Pflichten hat? Man irrt sich: die Ofenbank ist die nationale Pflicht des Deutschamerikaners. Von dort ans läßt sich die Sache des Deutschtums ja so tapfer verhöhnen, lassen sich seine Interessen mit solcher Schläfrigkeit vertreten, lassen sich die Rohheiten des Amerikaners so lakaienhaft hinnehmen, lassen sich die Anforderungen an die Deutschen so niedrig stellen und so wacker vergessen. Von dort her wurde uns ja auch zugeschrieen, die Newyorker Staatszeitung sei ein „von Amerikanern für Amerikaner" ge¬ schriebenes Blatt, wir sollten das doch endlich wissen. Gesetzt, die Jrländer hätten eine eigne Sprache, und das stimmführende irische Organ von Newyork antwortete auf die Ermahnung, sich doch etwas besser über die Heimat zu unterrichten, mit dein eben zitirten amerikanischen Refrain, Paddy würde dieses Grenzboten I. IMö. S8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/465>, abgerufen am 05.02.2025.