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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Das Recht der Polen in Posen.

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Meit länger als drei Jahrzehnten geht durch die polnische Presse
und durch die rhetorischen Leistungen unsrer polnischen Parlamen¬
tarier eine Behauptung und, damit verbunden, eine Klage, die,
so gründlich und schlagend sie wiederholt schon widerlegt worden
ist, immer von neuem wieder laut wird und auch bei der
letzten großen Polendcbattc im Reichstage nicht ausblieb. Die Wortführer
der Polen in der Provinz Posen sagen direkt oder geben zu verstehe", daß die
letztern dem preußischen Staate gegenüber besondre Rechte besäßen, die sich auf
internationale Abmachungen und auf Ansprachen der Krone gründeten, und die
trotzdem nie geachtet wordeu seien. Nach der Wiener Schlußakte vom 9. und
15. Juni 1815, uach dem Vesitznahmcpatent und der Proklamation vom 15. Mai
desselben Jahres bestehe zwischen dein "Großherzogtume" Posen und der Krone
Preußen eine bloße Personalunion, und außerdem seien den Angehörigen des
erster" bestimmte Verheißungen erteilt worden, welche die Erhaltung ihres Volks-
tums und ihrer Sprache, ihrer Religion und Kirche betrafen, ihnen Zutritt zu
den Staatsämtern, einen polnischen Statthalter u. dergl. in. verbürgten, aber
allesamt unerfüllt geblieben seien. Betrachten wir diese Behauptungen beim
Lichte der Wahrheit, so ist auf sie zunächst zu erwiedern, daß der König von
Preußen das Stück des ehemaligen polnischen Reiches, das ihm 1815 zuge¬
sprochen wurde, in ehrlichem Streite erworben hatte, bei dem ihm das Recht
des Siegers über Empörer und das des Eroberers gleichmäßig zur Seite stand.
Nie waren die Polen geringer geachtet als damals, und nie besaßen sie weniger
Rechte vor Europa, nie standen ihnen dessen Staatsmänner weniger sympathisch
gegenüber. "Sie deklamiren Dramen über ihr Unglück, sagte der russische Mi¬
nister Pozzo ti Borgo, und doch ist ihr Loos kein andres, als was alle Völker,


Grenzboten I. 188ö. 5L


Das Recht der Polen in Posen.

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Meit länger als drei Jahrzehnten geht durch die polnische Presse
und durch die rhetorischen Leistungen unsrer polnischen Parlamen¬
tarier eine Behauptung und, damit verbunden, eine Klage, die,
so gründlich und schlagend sie wiederholt schon widerlegt worden
ist, immer von neuem wieder laut wird und auch bei der
letzten großen Polendcbattc im Reichstage nicht ausblieb. Die Wortführer
der Polen in der Provinz Posen sagen direkt oder geben zu verstehe», daß die
letztern dem preußischen Staate gegenüber besondre Rechte besäßen, die sich auf
internationale Abmachungen und auf Ansprachen der Krone gründeten, und die
trotzdem nie geachtet wordeu seien. Nach der Wiener Schlußakte vom 9. und
15. Juni 1815, uach dem Vesitznahmcpatent und der Proklamation vom 15. Mai
desselben Jahres bestehe zwischen dein „Großherzogtume" Posen und der Krone
Preußen eine bloße Personalunion, und außerdem seien den Angehörigen des
erster» bestimmte Verheißungen erteilt worden, welche die Erhaltung ihres Volks-
tums und ihrer Sprache, ihrer Religion und Kirche betrafen, ihnen Zutritt zu
den Staatsämtern, einen polnischen Statthalter u. dergl. in. verbürgten, aber
allesamt unerfüllt geblieben seien. Betrachten wir diese Behauptungen beim
Lichte der Wahrheit, so ist auf sie zunächst zu erwiedern, daß der König von
Preußen das Stück des ehemaligen polnischen Reiches, das ihm 1815 zuge¬
sprochen wurde, in ehrlichem Streite erworben hatte, bei dem ihm das Recht
des Siegers über Empörer und das des Eroberers gleichmäßig zur Seite stand.
Nie waren die Polen geringer geachtet als damals, und nie besaßen sie weniger
Rechte vor Europa, nie standen ihnen dessen Staatsmänner weniger sympathisch
gegenüber. „Sie deklamiren Dramen über ihr Unglück, sagte der russische Mi¬
nister Pozzo ti Borgo, und doch ist ihr Loos kein andres, als was alle Völker,


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[0441] [Abbildung] Das Recht der Polen in Posen. MW?^i, ? > Meit länger als drei Jahrzehnten geht durch die polnische Presse und durch die rhetorischen Leistungen unsrer polnischen Parlamen¬ tarier eine Behauptung und, damit verbunden, eine Klage, die, so gründlich und schlagend sie wiederholt schon widerlegt worden ist, immer von neuem wieder laut wird und auch bei der letzten großen Polendcbattc im Reichstage nicht ausblieb. Die Wortführer der Polen in der Provinz Posen sagen direkt oder geben zu verstehe», daß die letztern dem preußischen Staate gegenüber besondre Rechte besäßen, die sich auf internationale Abmachungen und auf Ansprachen der Krone gründeten, und die trotzdem nie geachtet wordeu seien. Nach der Wiener Schlußakte vom 9. und 15. Juni 1815, uach dem Vesitznahmcpatent und der Proklamation vom 15. Mai desselben Jahres bestehe zwischen dein „Großherzogtume" Posen und der Krone Preußen eine bloße Personalunion, und außerdem seien den Angehörigen des erster» bestimmte Verheißungen erteilt worden, welche die Erhaltung ihres Volks- tums und ihrer Sprache, ihrer Religion und Kirche betrafen, ihnen Zutritt zu den Staatsämtern, einen polnischen Statthalter u. dergl. in. verbürgten, aber allesamt unerfüllt geblieben seien. Betrachten wir diese Behauptungen beim Lichte der Wahrheit, so ist auf sie zunächst zu erwiedern, daß der König von Preußen das Stück des ehemaligen polnischen Reiches, das ihm 1815 zuge¬ sprochen wurde, in ehrlichem Streite erworben hatte, bei dem ihm das Recht des Siegers über Empörer und das des Eroberers gleichmäßig zur Seite stand. Nie waren die Polen geringer geachtet als damals, und nie besaßen sie weniger Rechte vor Europa, nie standen ihnen dessen Staatsmänner weniger sympathisch gegenüber. „Sie deklamiren Dramen über ihr Unglück, sagte der russische Mi¬ nister Pozzo ti Borgo, und doch ist ihr Loos kein andres, als was alle Völker, Grenzboten I. 188ö. 5L

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/441>, abgerufen am 05.02.2025.