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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Ucniscrvawrion und Aiinstlorprolotaricit.

Reifezeugnis von Vorbildimgsanstalten wenig anfangen und wurden immer
wieder auf ihre eigne Entscheidung verwiesen sein. Bei dieser Entscheidung aber
dürften und sollten die allgemeinen Verhältnisse allerdings in Betracht kommen.
Die Entstehung eines Künstlcrvroletariats, das durch ungenügende Befähigung
und mangelhafte Leistungen an Gewinnung und Behauptung einer ehrenhaften
Lebensstellung gehindert wird, dabei aber fortgesetzt den wirklich Berufenen und
sachgemäß Strebenden die wildeste und verhängnisvollste Konkurrenz macht,
schließt wahrlich eine genügende Mahnung an die Direktionen und Lehrer unsrer
großen Musikschulen ein, in Zukunft dreifach strenger bei der Entscheidung der
Talentfrage zu verfahren.

Allerdings kann diese Mahnung nur an die Leitung einiger Konservatorien
ergehen, die mit Widerwillen und einer instinktiven Ahnung der Gefahren den
Weg der Anfüllung um jeden Preis, der alljährlich wachsenden Schülerzahl,
des unwürdigen Wetteifers in Außendingen betreten haben und im ganzen so
gestellt sind, daß sie die Qualität ihrer Zöglinge um der Quantität willen nicht
zu ignoriren brauchen. Sie muß notwendig verhallen bei den zahllosen "künst¬
lerischen" Bildungsstätten, welche auf die unzulängliche Begabung und die
Talentlosigkeit geradezu gegründet und berechnet sind, deren einziger Zweck es
ist, den Organisatoren eine Existenz zu verbürgen und dafür die künftige Existenz
von Hunderten mißleiteter armer Menschenkinder in Frage zu stellen. Indessen
würde ein Einhalt und Anhalt gewonnen werden, wenn auch nur die bessern
.Konservatorien sich auf ihre Pflicht besinnen wollten. Es würde dann ein ähn¬
liches Verhältnis eintreten, wie es z. B. zwischen den staatlichen technischen Hoch¬
schulen und den sogenannten wilden Techniken existirt, die überall im deutschen
Reiche wuchern. Das beteiligte Privatpublikum ist auch hier zum Teil noch
beschränkt und armselig genug, der Halb- und Viertelsbildung den Vorzug vor
der ganzen zu gebe", weil die halbe zwar nicht um die Hälfte, aber doch etwas
billiger zu haben ist als die ganze. Wie aber das Terrain der wilden Schulen
dieser Art mit jedem Jahre mehr eingeschränkt wird, die Zahl derer wächst,
welche die zuverlässige Bürgschaft gründlicher Studien, einer wohlbestandnen
Prüfung bei ihren Engagements zu haben wünschen, so müßte es mich einem
Dutzend der bestehenden Konservatorien und Musikschulen, die sich guter Lehr¬
kräfte, einer gewissen künstlerischen Tradition und sonstiger Begünstigungen er¬
freuen, leicht werden, sich über die ganze Zahl der andern hoch zu erheben.
So wie sie die Talentfrage ernsthaft und mit dem Gefühle stärkster Verant¬
wortung stellten und beantworteten, so wie sie eine Reduktion (und zwar eine
sehr bedeutende) ihrer Schüler- und Schülerinnenzahl als einen wahrhaften
Gewinn erachteten, alle bei ihnen vorsprechenden von zweifelhafter Befähigung
und ausgesprochnen Mangel an Talent rücksichtslos abwiesen (und wenn die¬
selben zehnmal im Konkurrenzkonservatorinm der gleichen oder der nächsten Stadt
Aufnahme fänden!), so wie sie ihre Ehre darein setzten, daß von ihnen nur


Ucniscrvawrion und Aiinstlorprolotaricit.

Reifezeugnis von Vorbildimgsanstalten wenig anfangen und wurden immer
wieder auf ihre eigne Entscheidung verwiesen sein. Bei dieser Entscheidung aber
dürften und sollten die allgemeinen Verhältnisse allerdings in Betracht kommen.
Die Entstehung eines Künstlcrvroletariats, das durch ungenügende Befähigung
und mangelhafte Leistungen an Gewinnung und Behauptung einer ehrenhaften
Lebensstellung gehindert wird, dabei aber fortgesetzt den wirklich Berufenen und
sachgemäß Strebenden die wildeste und verhängnisvollste Konkurrenz macht,
schließt wahrlich eine genügende Mahnung an die Direktionen und Lehrer unsrer
großen Musikschulen ein, in Zukunft dreifach strenger bei der Entscheidung der
Talentfrage zu verfahren.

Allerdings kann diese Mahnung nur an die Leitung einiger Konservatorien
ergehen, die mit Widerwillen und einer instinktiven Ahnung der Gefahren den
Weg der Anfüllung um jeden Preis, der alljährlich wachsenden Schülerzahl,
des unwürdigen Wetteifers in Außendingen betreten haben und im ganzen so
gestellt sind, daß sie die Qualität ihrer Zöglinge um der Quantität willen nicht
zu ignoriren brauchen. Sie muß notwendig verhallen bei den zahllosen „künst¬
lerischen" Bildungsstätten, welche auf die unzulängliche Begabung und die
Talentlosigkeit geradezu gegründet und berechnet sind, deren einziger Zweck es
ist, den Organisatoren eine Existenz zu verbürgen und dafür die künftige Existenz
von Hunderten mißleiteter armer Menschenkinder in Frage zu stellen. Indessen
würde ein Einhalt und Anhalt gewonnen werden, wenn auch nur die bessern
.Konservatorien sich auf ihre Pflicht besinnen wollten. Es würde dann ein ähn¬
liches Verhältnis eintreten, wie es z. B. zwischen den staatlichen technischen Hoch¬
schulen und den sogenannten wilden Techniken existirt, die überall im deutschen
Reiche wuchern. Das beteiligte Privatpublikum ist auch hier zum Teil noch
beschränkt und armselig genug, der Halb- und Viertelsbildung den Vorzug vor
der ganzen zu gebe», weil die halbe zwar nicht um die Hälfte, aber doch etwas
billiger zu haben ist als die ganze. Wie aber das Terrain der wilden Schulen
dieser Art mit jedem Jahre mehr eingeschränkt wird, die Zahl derer wächst,
welche die zuverlässige Bürgschaft gründlicher Studien, einer wohlbestandnen
Prüfung bei ihren Engagements zu haben wünschen, so müßte es mich einem
Dutzend der bestehenden Konservatorien und Musikschulen, die sich guter Lehr¬
kräfte, einer gewissen künstlerischen Tradition und sonstiger Begünstigungen er¬
freuen, leicht werden, sich über die ganze Zahl der andern hoch zu erheben.
So wie sie die Talentfrage ernsthaft und mit dem Gefühle stärkster Verant¬
wortung stellten und beantworteten, so wie sie eine Reduktion (und zwar eine
sehr bedeutende) ihrer Schüler- und Schülerinnenzahl als einen wahrhaften
Gewinn erachteten, alle bei ihnen vorsprechenden von zweifelhafter Befähigung
und ausgesprochnen Mangel an Talent rücksichtslos abwiesen (und wenn die¬
selben zehnmal im Konkurrenzkonservatorinm der gleichen oder der nächsten Stadt
Aufnahme fänden!), so wie sie ihre Ehre darein setzten, daß von ihnen nur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/43>, abgerufen am 05.02.2025.