Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Anzengrnbers Tternstcinhof,

mit Prinzipieller Feindseligkeit gegen das Schöne und Erhebende, die Schilde¬
rung des Seelenzustandes des jungen Kaplaus nach der Beichte Helmes
(Bd. 2, S. 24 ff.) gehört im Gegenteil zum Schönsten, was uns in der natu-
ralistischen Erzählungskunst. und nicht nur in dieser, begegnet ist. Bei alledem
bleibt doch auch für Anzengruber wie für die ganze Schule verhängnisvoll, daß
ihr die Wahrheit des Lebens meist erst da beginnt, wo sie die Niedrigkeit und
die Eitelkeit der menschlichen Natur darstellen. Die Beobachtungen sind im ein¬
zelnen meist richtig, die Schlüsse, welche der Dichter ans ihnen zieht, würden
richtig sein, wenn ihnen nicht andre Beobachtungen gegenüberstünden. Doch be¬
zieht sich das mehr ans die Reflexionen, welche Auzengruber an seine Darstel¬
lung anknüpft, als auf die Darstellung im "Sterusteinhvf" selbst. Die Geschichte,
die er erzählt, und die Charakteristik der Hauptgestalten sind überzeugend, er
hätte es dabei bewenden lassen können. Dies umsomehr, als regelmäßig der
Vortrag und der Stil Anzengrnbers, welche im vollen freien Fluße der Er¬
zählung zwar nicht tadellos, aber fesselnd und lebendig sind, stark hcrabsüllen
und geschmacklos werden, wenn er Allgemeinheiten an seine Darstellung anknüpfen
will. Wenn er Bemerkungen zum besten giebt, die über den Rahmen der Er¬
zählung hinausgreifen, gelangt er zu Stilblüten wie die nachstehende- "Toni
hatte mittlerweile, was die Weiberleut anlangt, zugelernt -- der Soldatenstand
soll ja auch in der Beziehung eine gute Schule sein --, und wußte einen Unter¬
schied zu macheu zwischen den einen, die, schalkischen Krämern gleich, welche
Schlenderwaare feilbieten, ebenso gerne betrügen, als sie das Betrvgenwerden
leicht verwinden, und den andern, die, nicht lecker nach Unerlaubtem, sich-jeden
unlauter" Handel von vornherein verbieten und die schlagfertigsten unter ihnen
wohl auch dem zudringlichen Krämer als Abstandsgeld eine Münze verabfolgen,
die, unter Brüdern fünf Gulden wert, selbst vor Gericht nur Kursschwankungen
unterliegt und seit die Welt steht, noch nie mit falscher Präge vorgekommen ist,
trotzdem aber an öffentlichen .Kassen nicht an Zahlnngsstatt angenommen wird,
wogegen sich allerdings vorab die Steuereinnehmer höchlich verwahren würden.
Ob dem Sternsteinhofer Toni je unter der Hand einer oder der andern ehren¬
haften Schönen jene einseitige Schamröte aufgestiegen ist, welche nicht das Re¬
sultat eines physiologischen Prozesses, sondern das einer fremden Kmftänßernng
ist, davon hat er nichts verlauten lassen, wie denn solchen Vorkommnissen gegenüber
selbst die geschwätzigsten Männer sich strenger Diskretion zu befleißigen pflegen,"
Auch mit der Einschleppung gewisser unschönen und nachlässigen Dialektworte wie
"das Kind betreuen" (für treu behüten), "serbeln" (für kränkeln) u, s, w., die
nicht bloß im Munde der Bauern, sondern in der Erzählung Anzengrnbers selbst
vorkommen, kann man sich so wenig einverstanden erklären, als mit den oben
angedeuteten Geschmacklosigkeiten, Jedoch sind das alles Mängel, die uicht
schwer ins Gewicht fallen gegenüber den wirklichen Vorzügen dieses natura¬
listischen Romans, Es kommt eben darauf an, welchen Maßstab man an die


Anzengrnbers Tternstcinhof,

mit Prinzipieller Feindseligkeit gegen das Schöne und Erhebende, die Schilde¬
rung des Seelenzustandes des jungen Kaplaus nach der Beichte Helmes
(Bd. 2, S. 24 ff.) gehört im Gegenteil zum Schönsten, was uns in der natu-
ralistischen Erzählungskunst. und nicht nur in dieser, begegnet ist. Bei alledem
bleibt doch auch für Anzengruber wie für die ganze Schule verhängnisvoll, daß
ihr die Wahrheit des Lebens meist erst da beginnt, wo sie die Niedrigkeit und
die Eitelkeit der menschlichen Natur darstellen. Die Beobachtungen sind im ein¬
zelnen meist richtig, die Schlüsse, welche der Dichter ans ihnen zieht, würden
richtig sein, wenn ihnen nicht andre Beobachtungen gegenüberstünden. Doch be¬
zieht sich das mehr ans die Reflexionen, welche Auzengruber an seine Darstel¬
lung anknüpft, als auf die Darstellung im „Sterusteinhvf" selbst. Die Geschichte,
die er erzählt, und die Charakteristik der Hauptgestalten sind überzeugend, er
hätte es dabei bewenden lassen können. Dies umsomehr, als regelmäßig der
Vortrag und der Stil Anzengrnbers, welche im vollen freien Fluße der Er¬
zählung zwar nicht tadellos, aber fesselnd und lebendig sind, stark hcrabsüllen
und geschmacklos werden, wenn er Allgemeinheiten an seine Darstellung anknüpfen
will. Wenn er Bemerkungen zum besten giebt, die über den Rahmen der Er¬
zählung hinausgreifen, gelangt er zu Stilblüten wie die nachstehende- „Toni
hatte mittlerweile, was die Weiberleut anlangt, zugelernt — der Soldatenstand
soll ja auch in der Beziehung eine gute Schule sein —, und wußte einen Unter¬
schied zu macheu zwischen den einen, die, schalkischen Krämern gleich, welche
Schlenderwaare feilbieten, ebenso gerne betrügen, als sie das Betrvgenwerden
leicht verwinden, und den andern, die, nicht lecker nach Unerlaubtem, sich-jeden
unlauter» Handel von vornherein verbieten und die schlagfertigsten unter ihnen
wohl auch dem zudringlichen Krämer als Abstandsgeld eine Münze verabfolgen,
die, unter Brüdern fünf Gulden wert, selbst vor Gericht nur Kursschwankungen
unterliegt und seit die Welt steht, noch nie mit falscher Präge vorgekommen ist,
trotzdem aber an öffentlichen .Kassen nicht an Zahlnngsstatt angenommen wird,
wogegen sich allerdings vorab die Steuereinnehmer höchlich verwahren würden.
Ob dem Sternsteinhofer Toni je unter der Hand einer oder der andern ehren¬
haften Schönen jene einseitige Schamröte aufgestiegen ist, welche nicht das Re¬
sultat eines physiologischen Prozesses, sondern das einer fremden Kmftänßernng
ist, davon hat er nichts verlauten lassen, wie denn solchen Vorkommnissen gegenüber
selbst die geschwätzigsten Männer sich strenger Diskretion zu befleißigen pflegen,"
Auch mit der Einschleppung gewisser unschönen und nachlässigen Dialektworte wie
„das Kind betreuen" (für treu behüten), „serbeln" (für kränkeln) u, s, w., die
nicht bloß im Munde der Bauern, sondern in der Erzählung Anzengrnbers selbst
vorkommen, kann man sich so wenig einverstanden erklären, als mit den oben
angedeuteten Geschmacklosigkeiten, Jedoch sind das alles Mängel, die uicht
schwer ins Gewicht fallen gegenüber den wirklichen Vorzügen dieses natura¬
listischen Romans, Es kommt eben darauf an, welchen Maßstab man an die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0416" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197840"/>
          <fw type="header" place="top"> Anzengrnbers Tternstcinhof,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1218" prev="#ID_1217" next="#ID_1219"> mit Prinzipieller Feindseligkeit gegen das Schöne und Erhebende, die Schilde¬<lb/>
rung des Seelenzustandes des jungen Kaplaus nach der Beichte Helmes<lb/>
(Bd. 2, S. 24 ff.) gehört im Gegenteil zum Schönsten, was uns in der natu-<lb/>
ralistischen Erzählungskunst. und nicht nur in dieser, begegnet ist. Bei alledem<lb/>
bleibt doch auch für Anzengruber wie für die ganze Schule verhängnisvoll, daß<lb/>
ihr die Wahrheit des Lebens meist erst da beginnt, wo sie die Niedrigkeit und<lb/>
die Eitelkeit der menschlichen Natur darstellen. Die Beobachtungen sind im ein¬<lb/>
zelnen meist richtig, die Schlüsse, welche der Dichter ans ihnen zieht, würden<lb/>
richtig sein, wenn ihnen nicht andre Beobachtungen gegenüberstünden. Doch be¬<lb/>
zieht sich das mehr ans die Reflexionen, welche Auzengruber an seine Darstel¬<lb/>
lung anknüpft, als auf die Darstellung im &#x201E;Sterusteinhvf" selbst. Die Geschichte,<lb/>
die er erzählt, und die Charakteristik der Hauptgestalten sind überzeugend, er<lb/>
hätte es dabei bewenden lassen können. Dies umsomehr, als regelmäßig der<lb/>
Vortrag und der Stil Anzengrnbers, welche im vollen freien Fluße der Er¬<lb/>
zählung zwar nicht tadellos, aber fesselnd und lebendig sind, stark hcrabsüllen<lb/>
und geschmacklos werden, wenn er Allgemeinheiten an seine Darstellung anknüpfen<lb/>
will. Wenn er Bemerkungen zum besten giebt, die über den Rahmen der Er¬<lb/>
zählung hinausgreifen, gelangt er zu Stilblüten wie die nachstehende- &#x201E;Toni<lb/>
hatte mittlerweile, was die Weiberleut anlangt, zugelernt &#x2014; der Soldatenstand<lb/>
soll ja auch in der Beziehung eine gute Schule sein &#x2014;, und wußte einen Unter¬<lb/>
schied zu macheu zwischen den einen, die, schalkischen Krämern gleich, welche<lb/>
Schlenderwaare feilbieten, ebenso gerne betrügen, als sie das Betrvgenwerden<lb/>
leicht verwinden, und den andern, die, nicht lecker nach Unerlaubtem, sich-jeden<lb/>
unlauter» Handel von vornherein verbieten und die schlagfertigsten unter ihnen<lb/>
wohl auch dem zudringlichen Krämer als Abstandsgeld eine Münze verabfolgen,<lb/>
die, unter Brüdern fünf Gulden wert, selbst vor Gericht nur Kursschwankungen<lb/>
unterliegt und seit die Welt steht, noch nie mit falscher Präge vorgekommen ist,<lb/>
trotzdem aber an öffentlichen .Kassen nicht an Zahlnngsstatt angenommen wird,<lb/>
wogegen sich allerdings vorab die Steuereinnehmer höchlich verwahren würden.<lb/>
Ob dem Sternsteinhofer Toni je unter der Hand einer oder der andern ehren¬<lb/>
haften Schönen jene einseitige Schamröte aufgestiegen ist, welche nicht das Re¬<lb/>
sultat eines physiologischen Prozesses, sondern das einer fremden Kmftänßernng<lb/>
ist, davon hat er nichts verlauten lassen, wie denn solchen Vorkommnissen gegenüber<lb/>
selbst die geschwätzigsten Männer sich strenger Diskretion zu befleißigen pflegen,"<lb/>
Auch mit der Einschleppung gewisser unschönen und nachlässigen Dialektworte wie<lb/>
&#x201E;das Kind betreuen" (für treu behüten), &#x201E;serbeln" (für kränkeln) u, s, w., die<lb/>
nicht bloß im Munde der Bauern, sondern in der Erzählung Anzengrnbers selbst<lb/>
vorkommen, kann man sich so wenig einverstanden erklären, als mit den oben<lb/>
angedeuteten Geschmacklosigkeiten, Jedoch sind das alles Mängel, die uicht<lb/>
schwer ins Gewicht fallen gegenüber den wirklichen Vorzügen dieses natura¬<lb/>
listischen Romans,  Es kommt eben darauf an, welchen Maßstab man an die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0416] Anzengrnbers Tternstcinhof, mit Prinzipieller Feindseligkeit gegen das Schöne und Erhebende, die Schilde¬ rung des Seelenzustandes des jungen Kaplaus nach der Beichte Helmes (Bd. 2, S. 24 ff.) gehört im Gegenteil zum Schönsten, was uns in der natu- ralistischen Erzählungskunst. und nicht nur in dieser, begegnet ist. Bei alledem bleibt doch auch für Anzengruber wie für die ganze Schule verhängnisvoll, daß ihr die Wahrheit des Lebens meist erst da beginnt, wo sie die Niedrigkeit und die Eitelkeit der menschlichen Natur darstellen. Die Beobachtungen sind im ein¬ zelnen meist richtig, die Schlüsse, welche der Dichter ans ihnen zieht, würden richtig sein, wenn ihnen nicht andre Beobachtungen gegenüberstünden. Doch be¬ zieht sich das mehr ans die Reflexionen, welche Auzengruber an seine Darstel¬ lung anknüpft, als auf die Darstellung im „Sterusteinhvf" selbst. Die Geschichte, die er erzählt, und die Charakteristik der Hauptgestalten sind überzeugend, er hätte es dabei bewenden lassen können. Dies umsomehr, als regelmäßig der Vortrag und der Stil Anzengrnbers, welche im vollen freien Fluße der Er¬ zählung zwar nicht tadellos, aber fesselnd und lebendig sind, stark hcrabsüllen und geschmacklos werden, wenn er Allgemeinheiten an seine Darstellung anknüpfen will. Wenn er Bemerkungen zum besten giebt, die über den Rahmen der Er¬ zählung hinausgreifen, gelangt er zu Stilblüten wie die nachstehende- „Toni hatte mittlerweile, was die Weiberleut anlangt, zugelernt — der Soldatenstand soll ja auch in der Beziehung eine gute Schule sein —, und wußte einen Unter¬ schied zu macheu zwischen den einen, die, schalkischen Krämern gleich, welche Schlenderwaare feilbieten, ebenso gerne betrügen, als sie das Betrvgenwerden leicht verwinden, und den andern, die, nicht lecker nach Unerlaubtem, sich-jeden unlauter» Handel von vornherein verbieten und die schlagfertigsten unter ihnen wohl auch dem zudringlichen Krämer als Abstandsgeld eine Münze verabfolgen, die, unter Brüdern fünf Gulden wert, selbst vor Gericht nur Kursschwankungen unterliegt und seit die Welt steht, noch nie mit falscher Präge vorgekommen ist, trotzdem aber an öffentlichen .Kassen nicht an Zahlnngsstatt angenommen wird, wogegen sich allerdings vorab die Steuereinnehmer höchlich verwahren würden. Ob dem Sternsteinhofer Toni je unter der Hand einer oder der andern ehren¬ haften Schönen jene einseitige Schamröte aufgestiegen ist, welche nicht das Re¬ sultat eines physiologischen Prozesses, sondern das einer fremden Kmftänßernng ist, davon hat er nichts verlauten lassen, wie denn solchen Vorkommnissen gegenüber selbst die geschwätzigsten Männer sich strenger Diskretion zu befleißigen pflegen," Auch mit der Einschleppung gewisser unschönen und nachlässigen Dialektworte wie „das Kind betreuen" (für treu behüten), „serbeln" (für kränkeln) u, s, w., die nicht bloß im Munde der Bauern, sondern in der Erzählung Anzengrnbers selbst vorkommen, kann man sich so wenig einverstanden erklären, als mit den oben angedeuteten Geschmacklosigkeiten, Jedoch sind das alles Mängel, die uicht schwer ins Gewicht fallen gegenüber den wirklichen Vorzügen dieses natura¬ listischen Romans, Es kommt eben darauf an, welchen Maßstab man an die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/416
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/416>, abgerufen am 05.02.2025.