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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Reniengütin-,

Nechtsverhültnisses bald ins Reine kommen werden, wenn es gelingt darzuthun,
daß das neue oder vielmehr reformirte Institut in Preußen notwendig sei und
sich einbürgern werde. Will man sich darüber klar werden, so muß man die
verschiednen Arten der Rentengüter, oder richtiger gesagt, die verschiednen Zwecke
auseinanderhalten, denen das Renteugut dienen soll.

Einen Zweck, welcher durch Herstellung von Rentengütern neben der
Stärkung des Bauernstandes und der innern Kolonisation erreicht werden kaun,
läßt die Denkschrift merkwürdigerweise außer Acht: nämlich die Vermehrung und
Hebung der seßhaften Arbeiterbevölkerung. Vermutlich ist das geschehen, weil
einmal der Staat praktisch hierfür kaum viel thun kann und wird, sodann weil
die Erreichung dieses Zweckes am wenigsten sicher, am meisten bestritten ist.
Da diese Seite der Frage jedoch im Landesölonomiekolleginm wie an andern
Stellen lebhast erörtert ist, so darf sie nicht übergangen werden. Der
Hauptcinwcmd, welcher gegen die Ansiedlung von Arbeitern dnrch Überlassung
von Renteugütern gemacht wird, ist der, daß sie dadurch an die Scholle ge¬
bunden würden, ihre Freiheit verlören und zu jedem Lohne arbeiten müßten,
welchen ihnen der benachbarte Gutsbesitzer biete. "Eine neue Art von Leib¬
eigenschaft," lautet das Schlagwort. Im Landesökonomiekvllegium wurde vom
Professor Miaskowski ans die hausindustrietreibenden schlesischen Weber hin¬
gewiesen, für die der Hausbesitz ein Fluch geworden sei, da er sie an Scholle
und Beruf binde. Der Hinweis ist wenig zutreffend. Dort herrscht ein Massen¬
elend, verursacht durch die Konkurrenz der Großindustrie. Hier kann es sich
nicht um Massenansiedlung, sondern nur um Ansiedlung eines verhältnismäßig
kleinen Teiles landwirtschaftlicher Arbeiter handeln, und gerade in der Land¬
wirtschaft ist das Bedürfnis von Menschenhänden noch am seeligsten. Der steigenden
Maschinenverwendung steht steigende Stärke des Betriebes gegenüber. Entscheidend
in der Frage ist jedoch, daß gerade die Klasse der grundbesitzenden landwirt¬
schaftlichen Arbeiter für diejenige gilt, welche sich moralisch und durch bessere
materielle Lage auszeichnet, und daß die Arbeiter selbst nach der Erlangung
solchen Besitzes streben. Welch ein Widerspruch, immer nach wirtschaftlicher
Freiheit zu verlangen, den Arbeiter aber zu "bevormunden," indem man ihm den
Erwerb eignen Grundbesitzes dnrch Abschaffung der Erbpacht oder Opposition
gegen Neutengüter erschwert. Man verführt dadurch zahlreiche Leute, in die
großen Städte oder ins Ausland auszuwandern, was ihnen bei ihrer Uner-
fahrenheit erst recht zum Fluche wird.

Der andre Einwand, über dessen Stichhaltigkeit nur die Erfahrung ent¬
scheiden kann, ist, daß in Deutschland kein Grundbesitzer kleine Rentengüter für
Arbeiter abtrennen würde, der Staat hier aber nichts thun könne. Letzteres ist
im allgemeinen richtig, ersteres aber mehr als zweifelhaft. In den dichter be>
polterten westlichen und mittlern preußischen Provinzen können sich die Arbeit¬
geber durch guten Lohn, durch den Bau gesunder Wohnungen u. s. w. in der


Reniengütin-,

Nechtsverhültnisses bald ins Reine kommen werden, wenn es gelingt darzuthun,
daß das neue oder vielmehr reformirte Institut in Preußen notwendig sei und
sich einbürgern werde. Will man sich darüber klar werden, so muß man die
verschiednen Arten der Rentengüter, oder richtiger gesagt, die verschiednen Zwecke
auseinanderhalten, denen das Renteugut dienen soll.

Einen Zweck, welcher durch Herstellung von Rentengütern neben der
Stärkung des Bauernstandes und der innern Kolonisation erreicht werden kaun,
läßt die Denkschrift merkwürdigerweise außer Acht: nämlich die Vermehrung und
Hebung der seßhaften Arbeiterbevölkerung. Vermutlich ist das geschehen, weil
einmal der Staat praktisch hierfür kaum viel thun kann und wird, sodann weil
die Erreichung dieses Zweckes am wenigsten sicher, am meisten bestritten ist.
Da diese Seite der Frage jedoch im Landesölonomiekolleginm wie an andern
Stellen lebhast erörtert ist, so darf sie nicht übergangen werden. Der
Hauptcinwcmd, welcher gegen die Ansiedlung von Arbeitern dnrch Überlassung
von Renteugütern gemacht wird, ist der, daß sie dadurch an die Scholle ge¬
bunden würden, ihre Freiheit verlören und zu jedem Lohne arbeiten müßten,
welchen ihnen der benachbarte Gutsbesitzer biete. „Eine neue Art von Leib¬
eigenschaft," lautet das Schlagwort. Im Landesökonomiekvllegium wurde vom
Professor Miaskowski ans die hausindustrietreibenden schlesischen Weber hin¬
gewiesen, für die der Hausbesitz ein Fluch geworden sei, da er sie an Scholle
und Beruf binde. Der Hinweis ist wenig zutreffend. Dort herrscht ein Massen¬
elend, verursacht durch die Konkurrenz der Großindustrie. Hier kann es sich
nicht um Massenansiedlung, sondern nur um Ansiedlung eines verhältnismäßig
kleinen Teiles landwirtschaftlicher Arbeiter handeln, und gerade in der Land¬
wirtschaft ist das Bedürfnis von Menschenhänden noch am seeligsten. Der steigenden
Maschinenverwendung steht steigende Stärke des Betriebes gegenüber. Entscheidend
in der Frage ist jedoch, daß gerade die Klasse der grundbesitzenden landwirt¬
schaftlichen Arbeiter für diejenige gilt, welche sich moralisch und durch bessere
materielle Lage auszeichnet, und daß die Arbeiter selbst nach der Erlangung
solchen Besitzes streben. Welch ein Widerspruch, immer nach wirtschaftlicher
Freiheit zu verlangen, den Arbeiter aber zu „bevormunden," indem man ihm den
Erwerb eignen Grundbesitzes dnrch Abschaffung der Erbpacht oder Opposition
gegen Neutengüter erschwert. Man verführt dadurch zahlreiche Leute, in die
großen Städte oder ins Ausland auszuwandern, was ihnen bei ihrer Uner-
fahrenheit erst recht zum Fluche wird.

Der andre Einwand, über dessen Stichhaltigkeit nur die Erfahrung ent¬
scheiden kann, ist, daß in Deutschland kein Grundbesitzer kleine Rentengüter für
Arbeiter abtrennen würde, der Staat hier aber nichts thun könne. Letzteres ist
im allgemeinen richtig, ersteres aber mehr als zweifelhaft. In den dichter be>
polterten westlichen und mittlern preußischen Provinzen können sich die Arbeit¬
geber durch guten Lohn, durch den Bau gesunder Wohnungen u. s. w. in der


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[0403] Reniengütin-, Nechtsverhültnisses bald ins Reine kommen werden, wenn es gelingt darzuthun, daß das neue oder vielmehr reformirte Institut in Preußen notwendig sei und sich einbürgern werde. Will man sich darüber klar werden, so muß man die verschiednen Arten der Rentengüter, oder richtiger gesagt, die verschiednen Zwecke auseinanderhalten, denen das Renteugut dienen soll. Einen Zweck, welcher durch Herstellung von Rentengütern neben der Stärkung des Bauernstandes und der innern Kolonisation erreicht werden kaun, läßt die Denkschrift merkwürdigerweise außer Acht: nämlich die Vermehrung und Hebung der seßhaften Arbeiterbevölkerung. Vermutlich ist das geschehen, weil einmal der Staat praktisch hierfür kaum viel thun kann und wird, sodann weil die Erreichung dieses Zweckes am wenigsten sicher, am meisten bestritten ist. Da diese Seite der Frage jedoch im Landesölonomiekolleginm wie an andern Stellen lebhast erörtert ist, so darf sie nicht übergangen werden. Der Hauptcinwcmd, welcher gegen die Ansiedlung von Arbeitern dnrch Überlassung von Renteugütern gemacht wird, ist der, daß sie dadurch an die Scholle ge¬ bunden würden, ihre Freiheit verlören und zu jedem Lohne arbeiten müßten, welchen ihnen der benachbarte Gutsbesitzer biete. „Eine neue Art von Leib¬ eigenschaft," lautet das Schlagwort. Im Landesökonomiekvllegium wurde vom Professor Miaskowski ans die hausindustrietreibenden schlesischen Weber hin¬ gewiesen, für die der Hausbesitz ein Fluch geworden sei, da er sie an Scholle und Beruf binde. Der Hinweis ist wenig zutreffend. Dort herrscht ein Massen¬ elend, verursacht durch die Konkurrenz der Großindustrie. Hier kann es sich nicht um Massenansiedlung, sondern nur um Ansiedlung eines verhältnismäßig kleinen Teiles landwirtschaftlicher Arbeiter handeln, und gerade in der Land¬ wirtschaft ist das Bedürfnis von Menschenhänden noch am seeligsten. Der steigenden Maschinenverwendung steht steigende Stärke des Betriebes gegenüber. Entscheidend in der Frage ist jedoch, daß gerade die Klasse der grundbesitzenden landwirt¬ schaftlichen Arbeiter für diejenige gilt, welche sich moralisch und durch bessere materielle Lage auszeichnet, und daß die Arbeiter selbst nach der Erlangung solchen Besitzes streben. Welch ein Widerspruch, immer nach wirtschaftlicher Freiheit zu verlangen, den Arbeiter aber zu „bevormunden," indem man ihm den Erwerb eignen Grundbesitzes dnrch Abschaffung der Erbpacht oder Opposition gegen Neutengüter erschwert. Man verführt dadurch zahlreiche Leute, in die großen Städte oder ins Ausland auszuwandern, was ihnen bei ihrer Uner- fahrenheit erst recht zum Fluche wird. Der andre Einwand, über dessen Stichhaltigkeit nur die Erfahrung ent¬ scheiden kann, ist, daß in Deutschland kein Grundbesitzer kleine Rentengüter für Arbeiter abtrennen würde, der Staat hier aber nichts thun könne. Letzteres ist im allgemeinen richtig, ersteres aber mehr als zweifelhaft. In den dichter be> polterten westlichen und mittlern preußischen Provinzen können sich die Arbeit¬ geber durch guten Lohn, durch den Bau gesunder Wohnungen u. s. w. in der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/403>, abgerufen am 05.02.2025.