Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.Gladstone und die irische Frage. Vom Parlament oder von England besitzt, welche alle irischen Nationalisten be¬ Gladstone ist ein Sanguiniker, und so werden ihm die beruhigenden An¬ Gladstone und die irische Frage. Vom Parlament oder von England besitzt, welche alle irischen Nationalisten be¬ Gladstone ist ein Sanguiniker, und so werden ihm die beruhigenden An¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0380" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197804"/> <fw type="header" place="top"> Gladstone und die irische Frage.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1118" prev="#ID_1117"> Vom Parlament oder von England besitzt, welche alle irischen Nationalisten be¬<lb/> anspruchen. Einer von den Führern der letztern sagte: „Irland sollte inner¬<lb/> halb seiner Küsten sein alleiniger Herr sein." Das ist es aber niemals ge¬<lb/> wesen, auch nicht in der Zeit von 1782 bis 1800. Die Beschlüsse des damaligen<lb/> irischen Parlaments erlangten nicht eher gesetzliche Giltigkeit, als bis sie die<lb/> königliche Zustimmung gefunden hatten, und mußten zweimal besiegelt sein, mit<lb/> dem großen Siegel von England und mit dem von Irland. Weder Kanada<lb/> noch Victoria, noch eine andre englische Kolonie ist alleinige Herrin innerhalb<lb/> ihrer Küsten und Grenzen. Kein Lvkalstatut derselben gilt, wenn es einer Par-<lb/> lcimcntsakte widerspricht. Alle Kolonialgerichtshöfe urteilen nach Reichsgcsetzen,<lb/> von allen kann an das Privh Council, das oberste Reichsgericht, appellirt werden.<lb/> Jedes Kolonialgesetz muß, bevor es in Kraft treten kann, zunächst vom Gouver¬<lb/> neur, den die Königin ernannt hat, dann von der Königin selbst durch Vermittlung<lb/> des Kolvnialministers gutgeheißen worden sein. Die irischen Nationalisten oder<lb/> Homcrnler haben sicher nicht die mindeste Neigung, diese streng untergeordnete<lb/> Stellung der überseeischen Besitzungen Großbritanniens für Irland anzunehmen.<lb/> Praktisch freilich erfreuen sich Kanada, Victoria und andre Kolonien eines be¬<lb/> trächtlichen Maßes von Unabhängigkeit, und die englischen Münster beschränken<lb/> ihre Einmischung so weit als irgend möglich, aber der Grund hiervon liegt auf<lb/> der Hand: es giebt in den Kolonien keine Fragen, welche die Ehre Englands<lb/> angehen, es giebt dort keine agrarischen Schwierigkeiten, keine Garnison von<lb/> Gutsherren, leine alten Wunden und Schmerzen von früherer Unterdrückung her.<lb/> In Kanada zwar gab es einst Stamm- und Glaubensstreitigkeiten zwischen<lb/> französischen Katholiken und englischen Protestanten, aber ehe England der Do¬<lb/> minion praktisch Autonomie gewährte, gab es den Bewohnern Niederkanadas<lb/> die Selbstregierung. Derselbe Grundsatz würde England nötigen, dem nord¬<lb/> östlichen Teile von Ulster, wo, wie dort in Niederkanada, die Protestanten und<lb/> Engländer überwiegen, dem übrigen Irland gegenüber eigne Rechte zu verleihen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1119" next="#ID_1120"> Gladstone ist ein Sanguiniker, und so werden ihm die beruhigenden An¬<lb/> sprachen, welche die Führer der Nativnalliga, Scxtvn und Dnvitts, in diesen<lb/> Tagen an das irische Volk richteten, Vertrauen eingeflößt haben. Er wird<lb/> meinen, die Mäßigung, welche die Parnelliten ihren Landsleuten predigten,<lb/> werde von ihnen selbst im Parlamente beobachtet werden. Thatsächlich aber<lb/> hat der Rat, den sie erteilten, eine andre Bedeutung. Sie baten die Jrlcinder,<lb/> von Gewaltthätigkeiten abzustehen, damit sie selbst einen weitern Vorwand<lb/> hätten, unbeugsam zu sein, damit sie sagen könnten, das irische Volk verhält<lb/> sich nur deshalb ruhig, weil es erwartet, seine gerechten Forderungen werden<lb/> zugestanden werden. Nehmt ihr ihm diesen Glauben, so werden wir, seine<lb/> Führer, es nicht mehr bändigen können. Die Sache ist in England nicht selten<lb/> schon vorgekommen und bei liberalen Regierungen immer von bestem Erfolge<lb/> gewesen. Die Parnelliten erinnern sich dessen, und so werden sie Gladstone</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0380]
Gladstone und die irische Frage.
Vom Parlament oder von England besitzt, welche alle irischen Nationalisten be¬
anspruchen. Einer von den Führern der letztern sagte: „Irland sollte inner¬
halb seiner Küsten sein alleiniger Herr sein." Das ist es aber niemals ge¬
wesen, auch nicht in der Zeit von 1782 bis 1800. Die Beschlüsse des damaligen
irischen Parlaments erlangten nicht eher gesetzliche Giltigkeit, als bis sie die
königliche Zustimmung gefunden hatten, und mußten zweimal besiegelt sein, mit
dem großen Siegel von England und mit dem von Irland. Weder Kanada
noch Victoria, noch eine andre englische Kolonie ist alleinige Herrin innerhalb
ihrer Küsten und Grenzen. Kein Lvkalstatut derselben gilt, wenn es einer Par-
lcimcntsakte widerspricht. Alle Kolonialgerichtshöfe urteilen nach Reichsgcsetzen,
von allen kann an das Privh Council, das oberste Reichsgericht, appellirt werden.
Jedes Kolonialgesetz muß, bevor es in Kraft treten kann, zunächst vom Gouver¬
neur, den die Königin ernannt hat, dann von der Königin selbst durch Vermittlung
des Kolvnialministers gutgeheißen worden sein. Die irischen Nationalisten oder
Homcrnler haben sicher nicht die mindeste Neigung, diese streng untergeordnete
Stellung der überseeischen Besitzungen Großbritanniens für Irland anzunehmen.
Praktisch freilich erfreuen sich Kanada, Victoria und andre Kolonien eines be¬
trächtlichen Maßes von Unabhängigkeit, und die englischen Münster beschränken
ihre Einmischung so weit als irgend möglich, aber der Grund hiervon liegt auf
der Hand: es giebt in den Kolonien keine Fragen, welche die Ehre Englands
angehen, es giebt dort keine agrarischen Schwierigkeiten, keine Garnison von
Gutsherren, leine alten Wunden und Schmerzen von früherer Unterdrückung her.
In Kanada zwar gab es einst Stamm- und Glaubensstreitigkeiten zwischen
französischen Katholiken und englischen Protestanten, aber ehe England der Do¬
minion praktisch Autonomie gewährte, gab es den Bewohnern Niederkanadas
die Selbstregierung. Derselbe Grundsatz würde England nötigen, dem nord¬
östlichen Teile von Ulster, wo, wie dort in Niederkanada, die Protestanten und
Engländer überwiegen, dem übrigen Irland gegenüber eigne Rechte zu verleihen.
Gladstone ist ein Sanguiniker, und so werden ihm die beruhigenden An¬
sprachen, welche die Führer der Nativnalliga, Scxtvn und Dnvitts, in diesen
Tagen an das irische Volk richteten, Vertrauen eingeflößt haben. Er wird
meinen, die Mäßigung, welche die Parnelliten ihren Landsleuten predigten,
werde von ihnen selbst im Parlamente beobachtet werden. Thatsächlich aber
hat der Rat, den sie erteilten, eine andre Bedeutung. Sie baten die Jrlcinder,
von Gewaltthätigkeiten abzustehen, damit sie selbst einen weitern Vorwand
hätten, unbeugsam zu sein, damit sie sagen könnten, das irische Volk verhält
sich nur deshalb ruhig, weil es erwartet, seine gerechten Forderungen werden
zugestanden werden. Nehmt ihr ihm diesen Glauben, so werden wir, seine
Führer, es nicht mehr bändigen können. Die Sache ist in England nicht selten
schon vorgekommen und bei liberalen Regierungen immer von bestem Erfolge
gewesen. Die Parnelliten erinnern sich dessen, und so werden sie Gladstone
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