Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.lernen lassen. Nicht jeder kann Meister werden im Sinne des Goethischen Wie wir einem Holzschnittwerke diesen Einblick in die Art der künstlerischen Bekanntlich wurde im vorigen Jahre eine größere Anzahl von japanischen Grenzboten I. 1"8"i. 47
lernen lassen. Nicht jeder kann Meister werden im Sinne des Goethischen Wie wir einem Holzschnittwerke diesen Einblick in die Art der künstlerischen Bekanntlich wurde im vorigen Jahre eine größere Anzahl von japanischen Grenzboten I. 1»8«i. 47
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0377" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197801"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1109" prev="#ID_1108"> lernen lassen. Nicht jeder kann Meister werden im Sinne des Goethischen<lb/> Spruches. Wir haben ja auch ans schriftstellerischen Gebiete gewandte Stilisten,<lb/> die nur fremde Gedanken aussprechen, wen» auch möglicherweise in viel besserer<lb/> Form, als in der sie dieselben vorgefunden haben. Und so wird jahrelanges<lb/> Über im Komponiren den nicht zum schöpferischen Künstler machen, dem die Er¬<lb/> findungsgabe versagt worden ist, wogegen es ihm möglicherweise Unzufrieden¬<lb/> heit einflößen wird mit derjenigen Stellung, für welche er den natürlichen<lb/> Beruf besitzt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1110"> Wie wir einem Holzschnittwerke diesen Einblick in die Art der künstlerischen<lb/> Produktion der Japaner verdanken, so haben wir durch diesen Zweig ihrer Li¬<lb/> teratur überhaupt erst eine richtige Vorstellung von ihrer Bedeutung als Kunst¬<lb/> volk gewonnen. Kunstgewerbliche Erzeugnisse ersten Ranges gelangen ja selten<lb/> bis zu uns, das Beste befindet sich in festen Händen im Lande selbst, und dort<lb/> scheint gegenwärtig das Sammeln alter Arbeiten ebenso eifrig wie bei uns als<lb/> Liebhaberei und Spekulation betrieben zu werden. Davon abgesehen, hat in<lb/> vielen Fällen der ausführende Künstler mit der Sprödigkeit des Materials,<lb/> den natürlichen Bedingungen der Technik oder den Launen und Zufälligkeiten<lb/> bei chemischen und physikalischen Prozessen zu kämpfen, kann er so oft garnicht<lb/> mit Sicherheit berechnen, wie Form und Färbung aus dem Schmelzofen zum<lb/> Vorschein kommen werden. Die Holzschneidekunst aber, noch in der uralten<lb/> Verbindung mit dem Buchdruck von Schrift- und Bilderplattcn, hat in tausend¬<lb/> jähriger Übung eine Höhe der Vollendung erreicht, zu welcher wir bei all<lb/> unsern technischen und mechanischen Fortschritten bewundernd emporblicken. Mit<lb/> so feiner Empfindung, in so inniger Anschmiegung folgt der japanische Form¬<lb/> schneider noch der Handschrift des Zeichners, daß nicht selten Zweifel aufge¬<lb/> taucht sind, ob wir wirklich Schnitte und nicht vielleicht Ätzungen vor uns<lb/> hätten, oder ob die Farben wirklich durch den Druck oder nicht etwa durch<lb/> Hand- oder Schablvuenmalerei aufgetragen seien, ob nicht z, B. bei dem Her¬<lb/> stellen farbiger Gründe, die sich allmählich verlaufen und von kleinen weißen<lb/> Flecken durchsetzt zu sein pflegen, ein Schwamm zu Hilfe genommen werde.<lb/> Diese Zweifel zu beseitigen, hatte man im verflossenen Jahre Gelegenheit.</p><lb/> <p xml:id="ID_1111" next="#ID_1112"> Bekanntlich wurde im vorigen Jahre eine größere Anzahl von japanischen<lb/> Arbeitern in der Welt herumgeführt, das sogenannte japanische Dorf, welches<lb/> zuerst in London, dann in Berlin, endlich in München gezeigt wurde. Dmi<lb/> mit gewerblichen Verrichtungen einigermaßen vertrauten bot sich da allerdings<lb/> nicht viel neues, während sich beobachten ließ, wie gering heutzutage im größern<lb/> Publikum eben jene Vertrautheit ist: gewisse Prozeduren, welche an jedem Orte<lb/> Europas genau ebenso vvrsichgehcn, z. B. das Formen eines Thongefäßes auf<lb/> der Drehscheibe, erregte sichtlich das größte Staunen der Zuschauer. Früher<lb/> lernte dergleichen jedes Kind kennen, aber je mehr „Weltstädte" wir erhalten,<lb/> desto schwieriger wird der natürliche Anschauungsunterricht, und dafür leisten</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. 1»8«i. 47</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0377]
lernen lassen. Nicht jeder kann Meister werden im Sinne des Goethischen
Spruches. Wir haben ja auch ans schriftstellerischen Gebiete gewandte Stilisten,
die nur fremde Gedanken aussprechen, wen» auch möglicherweise in viel besserer
Form, als in der sie dieselben vorgefunden haben. Und so wird jahrelanges
Über im Komponiren den nicht zum schöpferischen Künstler machen, dem die Er¬
findungsgabe versagt worden ist, wogegen es ihm möglicherweise Unzufrieden¬
heit einflößen wird mit derjenigen Stellung, für welche er den natürlichen
Beruf besitzt.
Wie wir einem Holzschnittwerke diesen Einblick in die Art der künstlerischen
Produktion der Japaner verdanken, so haben wir durch diesen Zweig ihrer Li¬
teratur überhaupt erst eine richtige Vorstellung von ihrer Bedeutung als Kunst¬
volk gewonnen. Kunstgewerbliche Erzeugnisse ersten Ranges gelangen ja selten
bis zu uns, das Beste befindet sich in festen Händen im Lande selbst, und dort
scheint gegenwärtig das Sammeln alter Arbeiten ebenso eifrig wie bei uns als
Liebhaberei und Spekulation betrieben zu werden. Davon abgesehen, hat in
vielen Fällen der ausführende Künstler mit der Sprödigkeit des Materials,
den natürlichen Bedingungen der Technik oder den Launen und Zufälligkeiten
bei chemischen und physikalischen Prozessen zu kämpfen, kann er so oft garnicht
mit Sicherheit berechnen, wie Form und Färbung aus dem Schmelzofen zum
Vorschein kommen werden. Die Holzschneidekunst aber, noch in der uralten
Verbindung mit dem Buchdruck von Schrift- und Bilderplattcn, hat in tausend¬
jähriger Übung eine Höhe der Vollendung erreicht, zu welcher wir bei all
unsern technischen und mechanischen Fortschritten bewundernd emporblicken. Mit
so feiner Empfindung, in so inniger Anschmiegung folgt der japanische Form¬
schneider noch der Handschrift des Zeichners, daß nicht selten Zweifel aufge¬
taucht sind, ob wir wirklich Schnitte und nicht vielleicht Ätzungen vor uns
hätten, oder ob die Farben wirklich durch den Druck oder nicht etwa durch
Hand- oder Schablvuenmalerei aufgetragen seien, ob nicht z, B. bei dem Her¬
stellen farbiger Gründe, die sich allmählich verlaufen und von kleinen weißen
Flecken durchsetzt zu sein pflegen, ein Schwamm zu Hilfe genommen werde.
Diese Zweifel zu beseitigen, hatte man im verflossenen Jahre Gelegenheit.
Bekanntlich wurde im vorigen Jahre eine größere Anzahl von japanischen
Arbeitern in der Welt herumgeführt, das sogenannte japanische Dorf, welches
zuerst in London, dann in Berlin, endlich in München gezeigt wurde. Dmi
mit gewerblichen Verrichtungen einigermaßen vertrauten bot sich da allerdings
nicht viel neues, während sich beobachten ließ, wie gering heutzutage im größern
Publikum eben jene Vertrautheit ist: gewisse Prozeduren, welche an jedem Orte
Europas genau ebenso vvrsichgehcn, z. B. das Formen eines Thongefäßes auf
der Drehscheibe, erregte sichtlich das größte Staunen der Zuschauer. Früher
lernte dergleichen jedes Kind kennen, aber je mehr „Weltstädte" wir erhalten,
desto schwieriger wird der natürliche Anschauungsunterricht, und dafür leisten
Grenzboten I. 1»8«i. 47
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |