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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Lamoens.

Augenblick später begann Camoens zu lesen, die Flotte des Vasco da Gama
glitt ans den prächtig wogenden Oktaven seines Gesanges den Inseln an Afrikas
Ostküste entgegen. Nur wenige Minuten senkte sich Camoens' Ange ans die
Blätter, die er in seiner Hand hielt, dann erhob er sein Haupt und sprach in
freiem Erguß, Die Bilder und Verse seines Gedichtes lebten in seiner Seele
um auf, und die sichtliche Spannung, die beifälligen Blicke, mit welchen die
glänzende Versammlung seinem Vortrag lauschte, beschwingten seinen Ton und
liehen seinen Zügen einen Ausdruck feierlicher und stolzer Ruhe, In seiner
Seele wogten jetzt die großen Erinnerungen, die sein Gedicht erfüllten, und die
eignen Erinnerungen an die jüngste Vergangenheit traumhaft ineinander; mit
dem Strande von Melinde, an welchem Gamas Heldenschar gastliche Aufnahme
findet, tauchten dem Dichter die Monde empor, wo er selbst um diesen: Strande
gelagert, sehnsüchtig über das Meer geblickt und einen Tag wie diesen herbei¬
gesehnt hatte. So oft er jetzt in dem Kreise um sich sah und sein Blick auf
das leise vorgeneigte Haupt der jungen Gräfin Catarina fiel, beseligte ihn die
Gewißheit, daß die Stunde ihm mehr bringe, als er im Traume jemals ge¬
fordert und gehofft habe. Immer deutlicher fühlte er, daß er die Teilnahme
der Hörer gewinne; selbst König Sebastians unruhige, in die Ferne blickende
Augen, hefteten sich, von den Bildern gefesselt, welche Camoens' Dichtung
heraufbeschwor, fester auf den Dichter, Daß der Prior von Belem gleichgültig
hinter dem Sessel des Königs stand und mit kalter, gelangweilter Miene auf
die Lauschenden sah, nahm vielleicht nur Manuel Barreto wahr. Seine Freund¬
schaft für den Dichter unterschied selbst in den entzückten Gesichtern der Ver¬
sammelten scharf den wirklichen Anteil, den sie nahmen, und die höfische Gewohnheit,
zu bewundern, was der König bewunderte. Doch waren so viele Mienen freudig
erhellt, die stolzen, schönen Züge der jüngern Edelleute so lebendig bewegt, in
den Augen älterer Frauen blitzte mehr als einmal, wenn auf Camoens' Lippen
verschollene Namen wieder auflebten, ein Strahl liebender Erinnerung auf, die
jüngern letzte" sich so unbefangen an dem Wohllaute der Verse, daß Barreto
es doch nicht bereuen konnte, dem Dichter die Pforte dieses Saales er¬
schlossen zu haben. Mit Rührung erinnerte auch er sich, in wie andern Um¬
gebungen er vor Jahren in Macao und Goa die ersten Gesäuge der Lusiaden
vernommen hatte, und erquickte sich an der Vollkommenheit, die Camoens in¬
zwischen seinem Werke gegeben. Als der Vortragende schloß, ging unwillkürlich
ein Flüstern des Beifalls durch den glänzende" Kreis, und dann erst wandten
sich die Blicke zu König Sebastian, welcher sich von seinem Sitze erhoben hatte
und mit einer jugendliche" Aufwallung, die selteu geung bei ihm war, Camoens
zu sich heranwinkte: Komm zu mir, Luis Camoens! Du bist in Wahrheit der
Dichter meines Landes und Volkes, so laß mich für Portugal danke"! Unsre
Thaten, vergangne und -- gefällt es Gott -- künftige, werden in deinem Werke
leben! Ich heiße dich noch einmal im Vaterlande und an meinem Hofe willkommen!


Lamoens.

Augenblick später begann Camoens zu lesen, die Flotte des Vasco da Gama
glitt ans den prächtig wogenden Oktaven seines Gesanges den Inseln an Afrikas
Ostküste entgegen. Nur wenige Minuten senkte sich Camoens' Ange ans die
Blätter, die er in seiner Hand hielt, dann erhob er sein Haupt und sprach in
freiem Erguß, Die Bilder und Verse seines Gedichtes lebten in seiner Seele
um auf, und die sichtliche Spannung, die beifälligen Blicke, mit welchen die
glänzende Versammlung seinem Vortrag lauschte, beschwingten seinen Ton und
liehen seinen Zügen einen Ausdruck feierlicher und stolzer Ruhe, In seiner
Seele wogten jetzt die großen Erinnerungen, die sein Gedicht erfüllten, und die
eignen Erinnerungen an die jüngste Vergangenheit traumhaft ineinander; mit
dem Strande von Melinde, an welchem Gamas Heldenschar gastliche Aufnahme
findet, tauchten dem Dichter die Monde empor, wo er selbst um diesen: Strande
gelagert, sehnsüchtig über das Meer geblickt und einen Tag wie diesen herbei¬
gesehnt hatte. So oft er jetzt in dem Kreise um sich sah und sein Blick auf
das leise vorgeneigte Haupt der jungen Gräfin Catarina fiel, beseligte ihn die
Gewißheit, daß die Stunde ihm mehr bringe, als er im Traume jemals ge¬
fordert und gehofft habe. Immer deutlicher fühlte er, daß er die Teilnahme
der Hörer gewinne; selbst König Sebastians unruhige, in die Ferne blickende
Augen, hefteten sich, von den Bildern gefesselt, welche Camoens' Dichtung
heraufbeschwor, fester auf den Dichter, Daß der Prior von Belem gleichgültig
hinter dem Sessel des Königs stand und mit kalter, gelangweilter Miene auf
die Lauschenden sah, nahm vielleicht nur Manuel Barreto wahr. Seine Freund¬
schaft für den Dichter unterschied selbst in den entzückten Gesichtern der Ver¬
sammelten scharf den wirklichen Anteil, den sie nahmen, und die höfische Gewohnheit,
zu bewundern, was der König bewunderte. Doch waren so viele Mienen freudig
erhellt, die stolzen, schönen Züge der jüngern Edelleute so lebendig bewegt, in
den Augen älterer Frauen blitzte mehr als einmal, wenn auf Camoens' Lippen
verschollene Namen wieder auflebten, ein Strahl liebender Erinnerung auf, die
jüngern letzte» sich so unbefangen an dem Wohllaute der Verse, daß Barreto
es doch nicht bereuen konnte, dem Dichter die Pforte dieses Saales er¬
schlossen zu haben. Mit Rührung erinnerte auch er sich, in wie andern Um¬
gebungen er vor Jahren in Macao und Goa die ersten Gesäuge der Lusiaden
vernommen hatte, und erquickte sich an der Vollkommenheit, die Camoens in¬
zwischen seinem Werke gegeben. Als der Vortragende schloß, ging unwillkürlich
ein Flüstern des Beifalls durch den glänzende» Kreis, und dann erst wandten
sich die Blicke zu König Sebastian, welcher sich von seinem Sitze erhoben hatte
und mit einer jugendliche» Aufwallung, die selteu geung bei ihm war, Camoens
zu sich heranwinkte: Komm zu mir, Luis Camoens! Du bist in Wahrheit der
Dichter meines Landes und Volkes, so laß mich für Portugal danke»! Unsre
Thaten, vergangne und — gefällt es Gott — künftige, werden in deinem Werke
leben! Ich heiße dich noch einmal im Vaterlande und an meinem Hofe willkommen!


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[0340] Lamoens. Augenblick später begann Camoens zu lesen, die Flotte des Vasco da Gama glitt ans den prächtig wogenden Oktaven seines Gesanges den Inseln an Afrikas Ostküste entgegen. Nur wenige Minuten senkte sich Camoens' Ange ans die Blätter, die er in seiner Hand hielt, dann erhob er sein Haupt und sprach in freiem Erguß, Die Bilder und Verse seines Gedichtes lebten in seiner Seele um auf, und die sichtliche Spannung, die beifälligen Blicke, mit welchen die glänzende Versammlung seinem Vortrag lauschte, beschwingten seinen Ton und liehen seinen Zügen einen Ausdruck feierlicher und stolzer Ruhe, In seiner Seele wogten jetzt die großen Erinnerungen, die sein Gedicht erfüllten, und die eignen Erinnerungen an die jüngste Vergangenheit traumhaft ineinander; mit dem Strande von Melinde, an welchem Gamas Heldenschar gastliche Aufnahme findet, tauchten dem Dichter die Monde empor, wo er selbst um diesen: Strande gelagert, sehnsüchtig über das Meer geblickt und einen Tag wie diesen herbei¬ gesehnt hatte. So oft er jetzt in dem Kreise um sich sah und sein Blick auf das leise vorgeneigte Haupt der jungen Gräfin Catarina fiel, beseligte ihn die Gewißheit, daß die Stunde ihm mehr bringe, als er im Traume jemals ge¬ fordert und gehofft habe. Immer deutlicher fühlte er, daß er die Teilnahme der Hörer gewinne; selbst König Sebastians unruhige, in die Ferne blickende Augen, hefteten sich, von den Bildern gefesselt, welche Camoens' Dichtung heraufbeschwor, fester auf den Dichter, Daß der Prior von Belem gleichgültig hinter dem Sessel des Königs stand und mit kalter, gelangweilter Miene auf die Lauschenden sah, nahm vielleicht nur Manuel Barreto wahr. Seine Freund¬ schaft für den Dichter unterschied selbst in den entzückten Gesichtern der Ver¬ sammelten scharf den wirklichen Anteil, den sie nahmen, und die höfische Gewohnheit, zu bewundern, was der König bewunderte. Doch waren so viele Mienen freudig erhellt, die stolzen, schönen Züge der jüngern Edelleute so lebendig bewegt, in den Augen älterer Frauen blitzte mehr als einmal, wenn auf Camoens' Lippen verschollene Namen wieder auflebten, ein Strahl liebender Erinnerung auf, die jüngern letzte» sich so unbefangen an dem Wohllaute der Verse, daß Barreto es doch nicht bereuen konnte, dem Dichter die Pforte dieses Saales er¬ schlossen zu haben. Mit Rührung erinnerte auch er sich, in wie andern Um¬ gebungen er vor Jahren in Macao und Goa die ersten Gesäuge der Lusiaden vernommen hatte, und erquickte sich an der Vollkommenheit, die Camoens in¬ zwischen seinem Werke gegeben. Als der Vortragende schloß, ging unwillkürlich ein Flüstern des Beifalls durch den glänzende» Kreis, und dann erst wandten sich die Blicke zu König Sebastian, welcher sich von seinem Sitze erhoben hatte und mit einer jugendliche» Aufwallung, die selteu geung bei ihm war, Camoens zu sich heranwinkte: Komm zu mir, Luis Camoens! Du bist in Wahrheit der Dichter meines Landes und Volkes, so laß mich für Portugal danke»! Unsre Thaten, vergangne und — gefällt es Gott — künftige, werden in deinem Werke leben! Ich heiße dich noch einmal im Vaterlande und an meinem Hofe willkommen!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/340>, abgerufen am 05.02.2025.