Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Krisis am Balkan und in England.

teil davon haben, wenn man sich verhindert sähe, ein ungerechtes Ziel zu er¬
strebe", den Frieden Europas zu gefährden und statt seines Zweckes schließlich
nichts zu erreichen als Niederlagen, Bankerott und Beschämung.

Wenn die leitenden griechischen Politiker sich dagegen verblendeten, so fußten
sie dabei auf zwei Voraussetzungen: sie glaubten, Europa werde nicht gestatten,
daß die Pforte Griechenland mit Krieg überziehe, und sie hofften auf einen
Umschwung in England, der Gladstone wieder ans Unter bringen werde.
Das letztere ist jetzt eingetreten: das .Kabinet Salisbury ist dem vereinigten
Ansturme der Liberalen und Homeruler erlegen. Der Anlaß zu seinem
Sturze war, nach dein ersten Blicke zu urteilen, ein geringfügiger. Die
jetzige Ministerkrisis in London ist nicht direkt durch die irische Frage, son¬
dern durch agrarische Wünsche herbeigeführt worden. Schon am 25. hatte
das Unterhaus sich lange mit dem Notstände der englischen Landwirtschaft be¬
schäftigt, aber das Amendement des Abgeordneten Barclay, den Ackerbauern
derartige Erleichterungen in den Pachlbedingnngcn zu gewähren, daß sie gegen¬
über der ungünstigen Lage der Dinge auszuhalten vermöchten, war mit 23 Stimmen
verworfen worden, und zwar hatten dabei mehrere Mitglieder der liberalen Partei
mit der Regierung gestimmt, welche gegen Barclays Antrag war. Ein ähnliches
Amendement des Abgeordneten Collings dagegen, welches wie ein leichtes Mi߬
trauensvotum gefaßt war, wurde am 26. mit einer Mehrheit von 79 Stimmen
vom Unterhause angenommen. In demselben wurde das letztere gebeten, sein
Bedauern auszusprechen, daß die Thronrede leine Maßregeln angekündigt habe
zur Erleichterung der Not der ackerbauenden Klassen "und vorzüglich um es
den ländlichen Tagelöhnern und andern in den Agrikulturdistrikten leichter zu
machen, sich auf billige Bedingungen in Betreff von Pachtgeld und Sicherheit
des zeitweiligen Besitzes ein kleines Gut oder eine Parzelle Land zu erwerben."
Die Worte klangen ziemlich unschuldig, enthielten aber einen Tadel der Regie¬
rung, der mit ihnen viel mehr beabsichtigt war als irgendwelcher Vorteil für
den kleinen Mann auf dem Lande. Mit andern Worten: das Amendement war
ein Parteikniff aus der Rüstkammer des Parlamentarismus. Die Abstimmung
war nichts weniger als ein Zufall. Gladstone, Meister in derartigen Manövern,
hatte sie herbeigeführt, um seinem Gegner Salisbury für die Zukunft das Spiel
zu verderben. Dieser hatte die Absicht, die irische Frage zum Probirstein für
die Festigkeit seiner Stellung als Premier zu machen. Unterlag er hier, so
konnte er bei der Bedeutung, welche die Einheit des britisch-irischen Gesamt¬
staates oder Reiches noch immer bei der Mehrheit der Engländer und Schotten
seit, entweder das Parlament auflösen und sofort für seine Partei aussichts-
dvlle Neuwahlen anordnen, oder mit dem Glänze des Mannes zurücktreten, der
jenen Einheitsgedanken verteidigt hatte und darüber als Märtyrer gefallen war,
was eine gute Empfehlung für spätere Wahlen gewesen wäre. Das mußte ab¬
gewendet, mindestens möglichst verdunkelt werden. Die Konservativen durften


Die Krisis am Balkan und in England.

teil davon haben, wenn man sich verhindert sähe, ein ungerechtes Ziel zu er¬
strebe», den Frieden Europas zu gefährden und statt seines Zweckes schließlich
nichts zu erreichen als Niederlagen, Bankerott und Beschämung.

Wenn die leitenden griechischen Politiker sich dagegen verblendeten, so fußten
sie dabei auf zwei Voraussetzungen: sie glaubten, Europa werde nicht gestatten,
daß die Pforte Griechenland mit Krieg überziehe, und sie hofften auf einen
Umschwung in England, der Gladstone wieder ans Unter bringen werde.
Das letztere ist jetzt eingetreten: das .Kabinet Salisbury ist dem vereinigten
Ansturme der Liberalen und Homeruler erlegen. Der Anlaß zu seinem
Sturze war, nach dein ersten Blicke zu urteilen, ein geringfügiger. Die
jetzige Ministerkrisis in London ist nicht direkt durch die irische Frage, son¬
dern durch agrarische Wünsche herbeigeführt worden. Schon am 25. hatte
das Unterhaus sich lange mit dem Notstände der englischen Landwirtschaft be¬
schäftigt, aber das Amendement des Abgeordneten Barclay, den Ackerbauern
derartige Erleichterungen in den Pachlbedingnngcn zu gewähren, daß sie gegen¬
über der ungünstigen Lage der Dinge auszuhalten vermöchten, war mit 23 Stimmen
verworfen worden, und zwar hatten dabei mehrere Mitglieder der liberalen Partei
mit der Regierung gestimmt, welche gegen Barclays Antrag war. Ein ähnliches
Amendement des Abgeordneten Collings dagegen, welches wie ein leichtes Mi߬
trauensvotum gefaßt war, wurde am 26. mit einer Mehrheit von 79 Stimmen
vom Unterhause angenommen. In demselben wurde das letztere gebeten, sein
Bedauern auszusprechen, daß die Thronrede leine Maßregeln angekündigt habe
zur Erleichterung der Not der ackerbauenden Klassen „und vorzüglich um es
den ländlichen Tagelöhnern und andern in den Agrikulturdistrikten leichter zu
machen, sich auf billige Bedingungen in Betreff von Pachtgeld und Sicherheit
des zeitweiligen Besitzes ein kleines Gut oder eine Parzelle Land zu erwerben."
Die Worte klangen ziemlich unschuldig, enthielten aber einen Tadel der Regie¬
rung, der mit ihnen viel mehr beabsichtigt war als irgendwelcher Vorteil für
den kleinen Mann auf dem Lande. Mit andern Worten: das Amendement war
ein Parteikniff aus der Rüstkammer des Parlamentarismus. Die Abstimmung
war nichts weniger als ein Zufall. Gladstone, Meister in derartigen Manövern,
hatte sie herbeigeführt, um seinem Gegner Salisbury für die Zukunft das Spiel
zu verderben. Dieser hatte die Absicht, die irische Frage zum Probirstein für
die Festigkeit seiner Stellung als Premier zu machen. Unterlag er hier, so
konnte er bei der Bedeutung, welche die Einheit des britisch-irischen Gesamt¬
staates oder Reiches noch immer bei der Mehrheit der Engländer und Schotten
seit, entweder das Parlament auflösen und sofort für seine Partei aussichts-
dvlle Neuwahlen anordnen, oder mit dem Glänze des Mannes zurücktreten, der
jenen Einheitsgedanken verteidigt hatte und darüber als Märtyrer gefallen war,
was eine gute Empfehlung für spätere Wahlen gewesen wäre. Das mußte ab¬
gewendet, mindestens möglichst verdunkelt werden. Die Konservativen durften


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0333" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197757"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Krisis am Balkan und in England.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_974" prev="#ID_973"> teil davon haben, wenn man sich verhindert sähe, ein ungerechtes Ziel zu er¬<lb/>
strebe», den Frieden Europas zu gefährden und statt seines Zweckes schließlich<lb/>
nichts zu erreichen als Niederlagen, Bankerott und Beschämung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_975" next="#ID_976"> Wenn die leitenden griechischen Politiker sich dagegen verblendeten, so fußten<lb/>
sie dabei auf zwei Voraussetzungen: sie glaubten, Europa werde nicht gestatten,<lb/>
daß die Pforte Griechenland mit Krieg überziehe, und sie hofften auf einen<lb/>
Umschwung in England, der Gladstone wieder ans Unter bringen werde.<lb/>
Das letztere ist jetzt eingetreten: das .Kabinet Salisbury ist dem vereinigten<lb/>
Ansturme der Liberalen und Homeruler erlegen. Der Anlaß zu seinem<lb/>
Sturze war, nach dein ersten Blicke zu urteilen, ein geringfügiger. Die<lb/>
jetzige Ministerkrisis in London ist nicht direkt durch die irische Frage, son¬<lb/>
dern durch agrarische Wünsche herbeigeführt worden. Schon am 25. hatte<lb/>
das Unterhaus sich lange mit dem Notstände der englischen Landwirtschaft be¬<lb/>
schäftigt, aber das Amendement des Abgeordneten Barclay, den Ackerbauern<lb/>
derartige Erleichterungen in den Pachlbedingnngcn zu gewähren, daß sie gegen¬<lb/>
über der ungünstigen Lage der Dinge auszuhalten vermöchten, war mit 23 Stimmen<lb/>
verworfen worden, und zwar hatten dabei mehrere Mitglieder der liberalen Partei<lb/>
mit der Regierung gestimmt, welche gegen Barclays Antrag war. Ein ähnliches<lb/>
Amendement des Abgeordneten Collings dagegen, welches wie ein leichtes Mi߬<lb/>
trauensvotum gefaßt war, wurde am 26. mit einer Mehrheit von 79 Stimmen<lb/>
vom Unterhause angenommen. In demselben wurde das letztere gebeten, sein<lb/>
Bedauern auszusprechen, daß die Thronrede leine Maßregeln angekündigt habe<lb/>
zur Erleichterung der Not der ackerbauenden Klassen &#x201E;und vorzüglich um es<lb/>
den ländlichen Tagelöhnern und andern in den Agrikulturdistrikten leichter zu<lb/>
machen, sich auf billige Bedingungen in Betreff von Pachtgeld und Sicherheit<lb/>
des zeitweiligen Besitzes ein kleines Gut oder eine Parzelle Land zu erwerben."<lb/>
Die Worte klangen ziemlich unschuldig, enthielten aber einen Tadel der Regie¬<lb/>
rung, der mit ihnen viel mehr beabsichtigt war als irgendwelcher Vorteil für<lb/>
den kleinen Mann auf dem Lande. Mit andern Worten: das Amendement war<lb/>
ein Parteikniff aus der Rüstkammer des Parlamentarismus. Die Abstimmung<lb/>
war nichts weniger als ein Zufall. Gladstone, Meister in derartigen Manövern,<lb/>
hatte sie herbeigeführt, um seinem Gegner Salisbury für die Zukunft das Spiel<lb/>
zu verderben. Dieser hatte die Absicht, die irische Frage zum Probirstein für<lb/>
die Festigkeit seiner Stellung als Premier zu machen. Unterlag er hier, so<lb/>
konnte er bei der Bedeutung, welche die Einheit des britisch-irischen Gesamt¬<lb/>
staates oder Reiches noch immer bei der Mehrheit der Engländer und Schotten<lb/>
seit, entweder das Parlament auflösen und sofort für seine Partei aussichts-<lb/>
dvlle Neuwahlen anordnen, oder mit dem Glänze des Mannes zurücktreten, der<lb/>
jenen Einheitsgedanken verteidigt hatte und darüber als Märtyrer gefallen war,<lb/>
was eine gute Empfehlung für spätere Wahlen gewesen wäre. Das mußte ab¬<lb/>
gewendet, mindestens möglichst verdunkelt werden.  Die Konservativen durften</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0333] Die Krisis am Balkan und in England. teil davon haben, wenn man sich verhindert sähe, ein ungerechtes Ziel zu er¬ strebe», den Frieden Europas zu gefährden und statt seines Zweckes schließlich nichts zu erreichen als Niederlagen, Bankerott und Beschämung. Wenn die leitenden griechischen Politiker sich dagegen verblendeten, so fußten sie dabei auf zwei Voraussetzungen: sie glaubten, Europa werde nicht gestatten, daß die Pforte Griechenland mit Krieg überziehe, und sie hofften auf einen Umschwung in England, der Gladstone wieder ans Unter bringen werde. Das letztere ist jetzt eingetreten: das .Kabinet Salisbury ist dem vereinigten Ansturme der Liberalen und Homeruler erlegen. Der Anlaß zu seinem Sturze war, nach dein ersten Blicke zu urteilen, ein geringfügiger. Die jetzige Ministerkrisis in London ist nicht direkt durch die irische Frage, son¬ dern durch agrarische Wünsche herbeigeführt worden. Schon am 25. hatte das Unterhaus sich lange mit dem Notstände der englischen Landwirtschaft be¬ schäftigt, aber das Amendement des Abgeordneten Barclay, den Ackerbauern derartige Erleichterungen in den Pachlbedingnngcn zu gewähren, daß sie gegen¬ über der ungünstigen Lage der Dinge auszuhalten vermöchten, war mit 23 Stimmen verworfen worden, und zwar hatten dabei mehrere Mitglieder der liberalen Partei mit der Regierung gestimmt, welche gegen Barclays Antrag war. Ein ähnliches Amendement des Abgeordneten Collings dagegen, welches wie ein leichtes Mi߬ trauensvotum gefaßt war, wurde am 26. mit einer Mehrheit von 79 Stimmen vom Unterhause angenommen. In demselben wurde das letztere gebeten, sein Bedauern auszusprechen, daß die Thronrede leine Maßregeln angekündigt habe zur Erleichterung der Not der ackerbauenden Klassen „und vorzüglich um es den ländlichen Tagelöhnern und andern in den Agrikulturdistrikten leichter zu machen, sich auf billige Bedingungen in Betreff von Pachtgeld und Sicherheit des zeitweiligen Besitzes ein kleines Gut oder eine Parzelle Land zu erwerben." Die Worte klangen ziemlich unschuldig, enthielten aber einen Tadel der Regie¬ rung, der mit ihnen viel mehr beabsichtigt war als irgendwelcher Vorteil für den kleinen Mann auf dem Lande. Mit andern Worten: das Amendement war ein Parteikniff aus der Rüstkammer des Parlamentarismus. Die Abstimmung war nichts weniger als ein Zufall. Gladstone, Meister in derartigen Manövern, hatte sie herbeigeführt, um seinem Gegner Salisbury für die Zukunft das Spiel zu verderben. Dieser hatte die Absicht, die irische Frage zum Probirstein für die Festigkeit seiner Stellung als Premier zu machen. Unterlag er hier, so konnte er bei der Bedeutung, welche die Einheit des britisch-irischen Gesamt¬ staates oder Reiches noch immer bei der Mehrheit der Engländer und Schotten seit, entweder das Parlament auflösen und sofort für seine Partei aussichts- dvlle Neuwahlen anordnen, oder mit dem Glänze des Mannes zurücktreten, der jenen Einheitsgedanken verteidigt hatte und darüber als Märtyrer gefallen war, was eine gute Empfehlung für spätere Wahlen gewesen wäre. Das mußte ab¬ gewendet, mindestens möglichst verdunkelt werden. Die Konservativen durften

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/333
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/333>, abgerufen am 05.02.2025.