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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Skizzen aus der Levante und Griechenland.

Ich habe mehreren Sitzungen beigewohnt, in welchen der damalige Minister¬
präsident Herr Trikupis sein Programm entwickelte. Den ersten Tag sprach er
vier volle Stunden ohne Unterbrechung, und der Schluß am zweiten Tage dauerte
noch nahezu drei. Noch mehr brauchte zu seiner Erwiederung der Führer der
Opposition, Herr Delyauuis. Das Parlament eines Grvßstaates pflegt dieselbe
Aufgabe in weniger Zeit zu lösen. Die Ncdefertigkeit und die Lust daran liegt im
Volkscharciktcr, und hat man eiumnl die Tribüne betreten, so giebt man sich ihr
mit breitem Behage" hin, der Ruf nach Schluß wird nie vernommen, man hat
eine wunderbare Geduld, alles anzuhören, wie viel davon auch nicht zur Sache
gehören mag. Ein vor einiger Zeit gestellter Antrag, vom Platze zu sprechen,
wurde mit großer Mehrheit abgelehnt, jeder will die Rednerbühne besteigen.
So begreift sich, wie die Sitzungsperioden oft ein halbes Jahr dauern, wozu
bei sachlicher Kürze ein Vierteljahr genügen würde. Die Abgeordneten wollen
ihren Gehalt, 1800 Franks, verdienen.

Zu wünschen wäre, daß die nächste Stiftung eines griechischen Nabvbs
den Neubau eines würdigen Parlamentshauscs beträfe. Das jetzige ist ein
mangelhaftes Flickwerk, mit engen Zugängen, schmalen und steilen Treppen,
finstern Korridoren, allzu dürftig und schmucklos inmitten der Marmvrpracht
und des Stulptureureichtums der benachbarten Gebäude. Der Saal selbst im
üblichen Halbrund erhält von den Seitenfenstcrn, welchen verschiedne Galerien
vorgebaut sind, ein höchst spärliches Licht und läßt in der Akustik viel zu wünschen
übrig. Mau verlangt keinen Luxus, aber eine etwas anständigere Ausstattung
und besonders eine sorgfältige Reinigung wäre denn doch an Platze. Es geht
manchmal wild und stürmisch zu, oben wie unter, und das souveräne Volk hat
die Gewohnheit der deutschen Studenten, mißliebige Redner auszutrommeln. Da
wirbelt ein Staub auf, daß man glaubt, auf der Avlusslraße zu sein, an deren
Ende noch hente der Turm der Winde steht, welche in dieser Stadt ihre klassische
Heimat haben. Staub ist infolgedessen eine der schlimmsten Plagen, man hat
zwar drei, vier Meter breite Marmvrtrottoirs, aber nicht eine einzige Straße
ist gepflastert, alle sind, und zwar mangelhaft, makadamisirt und zuweilen bei
der Wassernot nur schlecht gesprengt.

Im Sitzungssaale geht es mehr als ungenirt zu, man tritt mit dem Hute
ein, behält ihn nach Belieben auf, und obgleich nach dem Reglement verboten,
dampft doch die unvermeidliche Zigarette ans allen Winkeln hervor. Ein Zentrum,
eine Rechte und eine Linke nach unsern Begriffen giebt es nicht, man sitzt bunt
durcheinander und liebt es, den Platz zu wechseln. Da es mit dem Raume knapp
bestellt ist, so geht alles sehr eng zusammen, und zwischen dem PräPdenteubüreau
und der Ministerbank kann man nur mit Mühe passiren. Die Stenographen sind
wie die Heringe gepreßt und hocken zwischen den Beinen der Sekretäre, die kaum
ihren Stuhl umdrehen können. Die Dienerschaft trägt leine Livree, Huissiers
fehlen ganz, die Tribünen sind elende Holzgerüste, und die Journalisten müssen


Skizzen aus der Levante und Griechenland.

Ich habe mehreren Sitzungen beigewohnt, in welchen der damalige Minister¬
präsident Herr Trikupis sein Programm entwickelte. Den ersten Tag sprach er
vier volle Stunden ohne Unterbrechung, und der Schluß am zweiten Tage dauerte
noch nahezu drei. Noch mehr brauchte zu seiner Erwiederung der Führer der
Opposition, Herr Delyauuis. Das Parlament eines Grvßstaates pflegt dieselbe
Aufgabe in weniger Zeit zu lösen. Die Ncdefertigkeit und die Lust daran liegt im
Volkscharciktcr, und hat man eiumnl die Tribüne betreten, so giebt man sich ihr
mit breitem Behage» hin, der Ruf nach Schluß wird nie vernommen, man hat
eine wunderbare Geduld, alles anzuhören, wie viel davon auch nicht zur Sache
gehören mag. Ein vor einiger Zeit gestellter Antrag, vom Platze zu sprechen,
wurde mit großer Mehrheit abgelehnt, jeder will die Rednerbühne besteigen.
So begreift sich, wie die Sitzungsperioden oft ein halbes Jahr dauern, wozu
bei sachlicher Kürze ein Vierteljahr genügen würde. Die Abgeordneten wollen
ihren Gehalt, 1800 Franks, verdienen.

Zu wünschen wäre, daß die nächste Stiftung eines griechischen Nabvbs
den Neubau eines würdigen Parlamentshauscs beträfe. Das jetzige ist ein
mangelhaftes Flickwerk, mit engen Zugängen, schmalen und steilen Treppen,
finstern Korridoren, allzu dürftig und schmucklos inmitten der Marmvrpracht
und des Stulptureureichtums der benachbarten Gebäude. Der Saal selbst im
üblichen Halbrund erhält von den Seitenfenstcrn, welchen verschiedne Galerien
vorgebaut sind, ein höchst spärliches Licht und läßt in der Akustik viel zu wünschen
übrig. Mau verlangt keinen Luxus, aber eine etwas anständigere Ausstattung
und besonders eine sorgfältige Reinigung wäre denn doch an Platze. Es geht
manchmal wild und stürmisch zu, oben wie unter, und das souveräne Volk hat
die Gewohnheit der deutschen Studenten, mißliebige Redner auszutrommeln. Da
wirbelt ein Staub auf, daß man glaubt, auf der Avlusslraße zu sein, an deren
Ende noch hente der Turm der Winde steht, welche in dieser Stadt ihre klassische
Heimat haben. Staub ist infolgedessen eine der schlimmsten Plagen, man hat
zwar drei, vier Meter breite Marmvrtrottoirs, aber nicht eine einzige Straße
ist gepflastert, alle sind, und zwar mangelhaft, makadamisirt und zuweilen bei
der Wassernot nur schlecht gesprengt.

Im Sitzungssaale geht es mehr als ungenirt zu, man tritt mit dem Hute
ein, behält ihn nach Belieben auf, und obgleich nach dem Reglement verboten,
dampft doch die unvermeidliche Zigarette ans allen Winkeln hervor. Ein Zentrum,
eine Rechte und eine Linke nach unsern Begriffen giebt es nicht, man sitzt bunt
durcheinander und liebt es, den Platz zu wechseln. Da es mit dem Raume knapp
bestellt ist, so geht alles sehr eng zusammen, und zwischen dem PräPdenteubüreau
und der Ministerbank kann man nur mit Mühe passiren. Die Stenographen sind
wie die Heringe gepreßt und hocken zwischen den Beinen der Sekretäre, die kaum
ihren Stuhl umdrehen können. Die Dienerschaft trägt leine Livree, Huissiers
fehlen ganz, die Tribünen sind elende Holzgerüste, und die Journalisten müssen


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[0323] Skizzen aus der Levante und Griechenland. Ich habe mehreren Sitzungen beigewohnt, in welchen der damalige Minister¬ präsident Herr Trikupis sein Programm entwickelte. Den ersten Tag sprach er vier volle Stunden ohne Unterbrechung, und der Schluß am zweiten Tage dauerte noch nahezu drei. Noch mehr brauchte zu seiner Erwiederung der Führer der Opposition, Herr Delyauuis. Das Parlament eines Grvßstaates pflegt dieselbe Aufgabe in weniger Zeit zu lösen. Die Ncdefertigkeit und die Lust daran liegt im Volkscharciktcr, und hat man eiumnl die Tribüne betreten, so giebt man sich ihr mit breitem Behage» hin, der Ruf nach Schluß wird nie vernommen, man hat eine wunderbare Geduld, alles anzuhören, wie viel davon auch nicht zur Sache gehören mag. Ein vor einiger Zeit gestellter Antrag, vom Platze zu sprechen, wurde mit großer Mehrheit abgelehnt, jeder will die Rednerbühne besteigen. So begreift sich, wie die Sitzungsperioden oft ein halbes Jahr dauern, wozu bei sachlicher Kürze ein Vierteljahr genügen würde. Die Abgeordneten wollen ihren Gehalt, 1800 Franks, verdienen. Zu wünschen wäre, daß die nächste Stiftung eines griechischen Nabvbs den Neubau eines würdigen Parlamentshauscs beträfe. Das jetzige ist ein mangelhaftes Flickwerk, mit engen Zugängen, schmalen und steilen Treppen, finstern Korridoren, allzu dürftig und schmucklos inmitten der Marmvrpracht und des Stulptureureichtums der benachbarten Gebäude. Der Saal selbst im üblichen Halbrund erhält von den Seitenfenstcrn, welchen verschiedne Galerien vorgebaut sind, ein höchst spärliches Licht und läßt in der Akustik viel zu wünschen übrig. Mau verlangt keinen Luxus, aber eine etwas anständigere Ausstattung und besonders eine sorgfältige Reinigung wäre denn doch an Platze. Es geht manchmal wild und stürmisch zu, oben wie unter, und das souveräne Volk hat die Gewohnheit der deutschen Studenten, mißliebige Redner auszutrommeln. Da wirbelt ein Staub auf, daß man glaubt, auf der Avlusslraße zu sein, an deren Ende noch hente der Turm der Winde steht, welche in dieser Stadt ihre klassische Heimat haben. Staub ist infolgedessen eine der schlimmsten Plagen, man hat zwar drei, vier Meter breite Marmvrtrottoirs, aber nicht eine einzige Straße ist gepflastert, alle sind, und zwar mangelhaft, makadamisirt und zuweilen bei der Wassernot nur schlecht gesprengt. Im Sitzungssaale geht es mehr als ungenirt zu, man tritt mit dem Hute ein, behält ihn nach Belieben auf, und obgleich nach dem Reglement verboten, dampft doch die unvermeidliche Zigarette ans allen Winkeln hervor. Ein Zentrum, eine Rechte und eine Linke nach unsern Begriffen giebt es nicht, man sitzt bunt durcheinander und liebt es, den Platz zu wechseln. Da es mit dem Raume knapp bestellt ist, so geht alles sehr eng zusammen, und zwischen dem PräPdenteubüreau und der Ministerbank kann man nur mit Mühe passiren. Die Stenographen sind wie die Heringe gepreßt und hocken zwischen den Beinen der Sekretäre, die kaum ihren Stuhl umdrehen können. Die Dienerschaft trägt leine Livree, Huissiers fehlen ganz, die Tribünen sind elende Holzgerüste, und die Journalisten müssen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/323>, abgerufen am 05.02.2025.