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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Heinrich Steinhausen.

den modernen Kultus der Kunst garnicht, der sie einerseits überschätzt, als
könnte von ihr (hätte man sie nur erst groß gezogen) eine erneuernde Wirkuug
auf das Leben ausgehen, und anderseits sie herabwürdigt zur Dienerin des
Luxus, zum Zeitvertreib für müßige und übersättigte Leute, zum Forschungs-
vbjekt gelehrter Geschmäckler; sondern von der Macht volkstümlicher und reli¬
giöser Ideen ward sie hervorgetrieben, in ihnen hafteten die Wurzeln ihrer
Kraft, und so erwuchs sie zu herrlichem Leben." Der "einsame Kunstfreund"
kommt zu dem Schluß: "Wie wenn man, statt Luxusbauten sür Bilder und
Skulpturen aufzuführen, umgekehrt auf Staatskosten die Maler und Bildhauer
für Gebäude arbeiten ließe, die in Dorf und Stadt überall vorhanden sind,
wenn auch nicht als Museen, sondern als Kirchen, Schulen, Rathäuser, Spielet
u. dergl., dann würden die Millionen, mit denen man jetzt die großen Städte,
besonders die Reich Hauptstadt zu wahren Paradiesvögeln mit immer neuen
Kunstschätzen schmückt, die Krähenkleider so vieler Städte und Dörfer im Lande
umher wenigstens mit einzelnen bunten Federn verzieren, die dann umso dank¬
barer und liebevoller betrachtet werden würden Wenn dabei auf jedes herzu¬
stellende Kunstwerk kaum so viele Groschen kämen, wie jetzt Kronen auf manche
für Museen und Galerien erworbne, so wäre das weder sür die Kunst und
die Künstler noch für die Volkstümlichkeit der Kunst voll Nachteil, sondern sür
diese sehr wünschenswert. Denn wie alle Künste nur in lebendigem Zusammen¬
wirken gedeihen, so lehrt Erfahrung und Geschichte, daß besonders die bildenden
entarten, wenn sie vereinzelt etwas bedeuten wollen. Leere Virtuosität, Lärmen
um nichts, Hinausgeraten über die Grenze ihres eigentlichen Gebietes sind ihr
Schicksal, Verfall ihr Ende. Keine staatliche Veranstaltung, keine äußere Unter-
stützung und Gunst der Welt wird es aufhalten."

Man wird zugeben, daß diese Bemerkungen sehr viel Wahres enthalten
und die Schwächen des heutigen Kunsttreibens scharf beleuchten; wir würden uns
ganz gewiß besser stehen, viel eher zu einer volkstümlichen Kunst gelangen, wenn
sie zur Teilnahme am Leben des Volkes und zum Dienste desselben in dieser
Weise herangezogen würde. Indes was mich an diesen Broschüren am meisten
für den Autor einnahm lind auch seiue übrigen Schriften zu lesen veranlaßte,
war die glückliche Form, in die er seine Herzenserleichterungcn eingekleidet hat.
Steinhausen bezeichnet sich nur als den Herausgeber derselben und giebt sie
als Briefe aus, die ein Einsender von einem ganz weltabgeschieden lebenden
Jugendfreunde empfangen haben will. Kilian unterschreibt sich dieser Freund.
Er lebt so abgeschlossen, daß die Briefe und Zeitungen ihm nnr einmal in der
Woche, übrigens zu seiner vollständigen Befriedigung so selten, von der Brot¬
austrägerin übermittelt werden; die nächste Station der Sekundärbahn in seiner
Provinz liegt stundenweit ab; auch der Personeupvstverlehr ist eingestellt, seitdem
die letzte Postkutsche mit einigen hohen Herrschaften umgeworfen hat. Man darf
vermuten, daß dieser Kilian, der mit seiner wohl auserlesenen Bibliothek leb-


Heinrich Steinhausen.

den modernen Kultus der Kunst garnicht, der sie einerseits überschätzt, als
könnte von ihr (hätte man sie nur erst groß gezogen) eine erneuernde Wirkuug
auf das Leben ausgehen, und anderseits sie herabwürdigt zur Dienerin des
Luxus, zum Zeitvertreib für müßige und übersättigte Leute, zum Forschungs-
vbjekt gelehrter Geschmäckler; sondern von der Macht volkstümlicher und reli¬
giöser Ideen ward sie hervorgetrieben, in ihnen hafteten die Wurzeln ihrer
Kraft, und so erwuchs sie zu herrlichem Leben." Der „einsame Kunstfreund"
kommt zu dem Schluß: „Wie wenn man, statt Luxusbauten sür Bilder und
Skulpturen aufzuführen, umgekehrt auf Staatskosten die Maler und Bildhauer
für Gebäude arbeiten ließe, die in Dorf und Stadt überall vorhanden sind,
wenn auch nicht als Museen, sondern als Kirchen, Schulen, Rathäuser, Spielet
u. dergl., dann würden die Millionen, mit denen man jetzt die großen Städte,
besonders die Reich Hauptstadt zu wahren Paradiesvögeln mit immer neuen
Kunstschätzen schmückt, die Krähenkleider so vieler Städte und Dörfer im Lande
umher wenigstens mit einzelnen bunten Federn verzieren, die dann umso dank¬
barer und liebevoller betrachtet werden würden Wenn dabei auf jedes herzu¬
stellende Kunstwerk kaum so viele Groschen kämen, wie jetzt Kronen auf manche
für Museen und Galerien erworbne, so wäre das weder sür die Kunst und
die Künstler noch für die Volkstümlichkeit der Kunst voll Nachteil, sondern sür
diese sehr wünschenswert. Denn wie alle Künste nur in lebendigem Zusammen¬
wirken gedeihen, so lehrt Erfahrung und Geschichte, daß besonders die bildenden
entarten, wenn sie vereinzelt etwas bedeuten wollen. Leere Virtuosität, Lärmen
um nichts, Hinausgeraten über die Grenze ihres eigentlichen Gebietes sind ihr
Schicksal, Verfall ihr Ende. Keine staatliche Veranstaltung, keine äußere Unter-
stützung und Gunst der Welt wird es aufhalten."

Man wird zugeben, daß diese Bemerkungen sehr viel Wahres enthalten
und die Schwächen des heutigen Kunsttreibens scharf beleuchten; wir würden uns
ganz gewiß besser stehen, viel eher zu einer volkstümlichen Kunst gelangen, wenn
sie zur Teilnahme am Leben des Volkes und zum Dienste desselben in dieser
Weise herangezogen würde. Indes was mich an diesen Broschüren am meisten
für den Autor einnahm lind auch seiue übrigen Schriften zu lesen veranlaßte,
war die glückliche Form, in die er seine Herzenserleichterungcn eingekleidet hat.
Steinhausen bezeichnet sich nur als den Herausgeber derselben und giebt sie
als Briefe aus, die ein Einsender von einem ganz weltabgeschieden lebenden
Jugendfreunde empfangen haben will. Kilian unterschreibt sich dieser Freund.
Er lebt so abgeschlossen, daß die Briefe und Zeitungen ihm nnr einmal in der
Woche, übrigens zu seiner vollständigen Befriedigung so selten, von der Brot¬
austrägerin übermittelt werden; die nächste Station der Sekundärbahn in seiner
Provinz liegt stundenweit ab; auch der Personeupvstverlehr ist eingestellt, seitdem
die letzte Postkutsche mit einigen hohen Herrschaften umgeworfen hat. Man darf
vermuten, daß dieser Kilian, der mit seiner wohl auserlesenen Bibliothek leb-


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[0032] Heinrich Steinhausen. den modernen Kultus der Kunst garnicht, der sie einerseits überschätzt, als könnte von ihr (hätte man sie nur erst groß gezogen) eine erneuernde Wirkuug auf das Leben ausgehen, und anderseits sie herabwürdigt zur Dienerin des Luxus, zum Zeitvertreib für müßige und übersättigte Leute, zum Forschungs- vbjekt gelehrter Geschmäckler; sondern von der Macht volkstümlicher und reli¬ giöser Ideen ward sie hervorgetrieben, in ihnen hafteten die Wurzeln ihrer Kraft, und so erwuchs sie zu herrlichem Leben." Der „einsame Kunstfreund" kommt zu dem Schluß: „Wie wenn man, statt Luxusbauten sür Bilder und Skulpturen aufzuführen, umgekehrt auf Staatskosten die Maler und Bildhauer für Gebäude arbeiten ließe, die in Dorf und Stadt überall vorhanden sind, wenn auch nicht als Museen, sondern als Kirchen, Schulen, Rathäuser, Spielet u. dergl., dann würden die Millionen, mit denen man jetzt die großen Städte, besonders die Reich Hauptstadt zu wahren Paradiesvögeln mit immer neuen Kunstschätzen schmückt, die Krähenkleider so vieler Städte und Dörfer im Lande umher wenigstens mit einzelnen bunten Federn verzieren, die dann umso dank¬ barer und liebevoller betrachtet werden würden Wenn dabei auf jedes herzu¬ stellende Kunstwerk kaum so viele Groschen kämen, wie jetzt Kronen auf manche für Museen und Galerien erworbne, so wäre das weder sür die Kunst und die Künstler noch für die Volkstümlichkeit der Kunst voll Nachteil, sondern sür diese sehr wünschenswert. Denn wie alle Künste nur in lebendigem Zusammen¬ wirken gedeihen, so lehrt Erfahrung und Geschichte, daß besonders die bildenden entarten, wenn sie vereinzelt etwas bedeuten wollen. Leere Virtuosität, Lärmen um nichts, Hinausgeraten über die Grenze ihres eigentlichen Gebietes sind ihr Schicksal, Verfall ihr Ende. Keine staatliche Veranstaltung, keine äußere Unter- stützung und Gunst der Welt wird es aufhalten." Man wird zugeben, daß diese Bemerkungen sehr viel Wahres enthalten und die Schwächen des heutigen Kunsttreibens scharf beleuchten; wir würden uns ganz gewiß besser stehen, viel eher zu einer volkstümlichen Kunst gelangen, wenn sie zur Teilnahme am Leben des Volkes und zum Dienste desselben in dieser Weise herangezogen würde. Indes was mich an diesen Broschüren am meisten für den Autor einnahm lind auch seiue übrigen Schriften zu lesen veranlaßte, war die glückliche Form, in die er seine Herzenserleichterungcn eingekleidet hat. Steinhausen bezeichnet sich nur als den Herausgeber derselben und giebt sie als Briefe aus, die ein Einsender von einem ganz weltabgeschieden lebenden Jugendfreunde empfangen haben will. Kilian unterschreibt sich dieser Freund. Er lebt so abgeschlossen, daß die Briefe und Zeitungen ihm nnr einmal in der Woche, übrigens zu seiner vollständigen Befriedigung so selten, von der Brot¬ austrägerin übermittelt werden; die nächste Station der Sekundärbahn in seiner Provinz liegt stundenweit ab; auch der Personeupvstverlehr ist eingestellt, seitdem die letzte Postkutsche mit einigen hohen Herrschaften umgeworfen hat. Man darf vermuten, daß dieser Kilian, der mit seiner wohl auserlesenen Bibliothek leb-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/32>, abgerufen am 05.02.2025.