Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Levi" Schückings Lobenserinneruttgeii.

allen zu mache", mit denen ich je näher bekannt geworden bin. Er war glücks¬
unfähig. Es lag nicht in seinem Charakter, zufrieden zu sein. Hütte das Leben ihn
auf eine Höhe gestellt wie Papst Leo X., er würde sich geärgert haben über
die Anmaßung seiner Kardinäle, über die Grobheit Michelangelos und über den
Lebenswandel Rafaels. Er ging völlig auf in den literarischen Interessen, in
der Literatur, dahinter trat nach und nach auch seine politische Teilnahme völlig
zurück. In der Weise, wie er sich mit dieser Misere herumschlug, lug ein Zug
von Kleinlichkeit, während sein Hauptjammer doch der war, daß durch unsre
Literatur nicht mehr ein großer Zug gehe." Im Gegensatz zu diesem allzu-
moderncn Schriftsteller (der einer gewissen Generation der Allcrmodernsten
gegenüber freilich schon antiquirt erscheint) tritt uns aus Schückings Charakteristik
el" so wunderliches Original wie der "Rheinische Antiquarius" entgegen. Der
Verfasser der "Lebenserinnerungen" spricht sich mit gutem Recht das Verdienst
zu, auf das ebengenannte wertvolle Memoiren- und Sammelwerk die öffentliche
Aufmerksamkeit zuerst und mit Erfolg gelenkt zu haben. Bei der Charakteristik
des alten Herrn "in seinen gelben Nanking-Svmmerbeinkleideru, mit den Schuhen
und weiße" Strümpfe" nicht viel eleganter als etwa ein pensionirter Magister
aussehend -- aber redend, sich ausdrückend so gewühlt wie ein Marquis vom
Hofe Ludwigs XIV." entschlüpft dem sonst milden Schücking eine bittere Anklage,
indem er äußert: "Er ist eines der zahlreichen Beispiele von der empörenden
Gleichgiltigkeit und Vernachlässigung, welche das offizielle Deutschland für das
literarische Verdienst und die fruchtreichste Geistesarbeit hat, wenn diese nicht
in der akademischen Bahn wirkt, wenn ein bevorzugter Geist sich nicht in der
langen Queue nachschiebt, die in den geschlossenen Schranken der Zunft sich zu
den Ehren, Vorteilen und Auszeichnungen drängt." Wer möchte leugne", daß
etwas, daß viel von diesem Tadel noch heute volle Berechtigung hat!

Die Schlußkapitel der unvollendet gebliebner Schückingschen Selbstbiographie
geben unter andern interessante Skizzen aus dem Paris Ludwig Philipps und
dein Rom der ersten Jahre Pius des Neunten. Der Verfasser ging 1847 nach
der ewigen Stadt, um seiner "Kölnischen Zeitung" ans dem Mittelpunkte der
Ereignisse Bericht zu erstatten. Er hatte das Glück, in Rom mit einer ganzen
Reihe von bedeutenden Persönlichkeiten bekannt zu werden und ein unvergeßliches
Stück Leben auf klassischem Boden zu leben. Mit Schücking zugleich waren
Wilibald Alexis. Friedrich Bodenstedt und Gustav zu Putlitz in Rom; indem
man die letztern Namen nennt, tritt man aus der Reihe der vielen, die vor
dem Verfasser der "Lebenserinnerungen" geschieden sind, wieder in die Reihe
der Lebenden herüber.

Es ist Schücking leider nicht vergönnt gewesen, sein Buch zu Ende zu
führen und über die Jahrzehnte seit dem Sturme von 1348 (deren er nur
hie und da vorgreifend gedacht) in der gleich fesselnden und gleich ansprnchs
losen Weise zu berichten, wie über die Zeit bis zur achtundvierziger Revolution.


Grenzboten I. 1886. 3S
Levi» Schückings Lobenserinneruttgeii.

allen zu mache», mit denen ich je näher bekannt geworden bin. Er war glücks¬
unfähig. Es lag nicht in seinem Charakter, zufrieden zu sein. Hütte das Leben ihn
auf eine Höhe gestellt wie Papst Leo X., er würde sich geärgert haben über
die Anmaßung seiner Kardinäle, über die Grobheit Michelangelos und über den
Lebenswandel Rafaels. Er ging völlig auf in den literarischen Interessen, in
der Literatur, dahinter trat nach und nach auch seine politische Teilnahme völlig
zurück. In der Weise, wie er sich mit dieser Misere herumschlug, lug ein Zug
von Kleinlichkeit, während sein Hauptjammer doch der war, daß durch unsre
Literatur nicht mehr ein großer Zug gehe." Im Gegensatz zu diesem allzu-
moderncn Schriftsteller (der einer gewissen Generation der Allcrmodernsten
gegenüber freilich schon antiquirt erscheint) tritt uns aus Schückings Charakteristik
el» so wunderliches Original wie der „Rheinische Antiquarius" entgegen. Der
Verfasser der „Lebenserinnerungen" spricht sich mit gutem Recht das Verdienst
zu, auf das ebengenannte wertvolle Memoiren- und Sammelwerk die öffentliche
Aufmerksamkeit zuerst und mit Erfolg gelenkt zu haben. Bei der Charakteristik
des alten Herrn „in seinen gelben Nanking-Svmmerbeinkleideru, mit den Schuhen
und weiße» Strümpfe» nicht viel eleganter als etwa ein pensionirter Magister
aussehend — aber redend, sich ausdrückend so gewühlt wie ein Marquis vom
Hofe Ludwigs XIV." entschlüpft dem sonst milden Schücking eine bittere Anklage,
indem er äußert: „Er ist eines der zahlreichen Beispiele von der empörenden
Gleichgiltigkeit und Vernachlässigung, welche das offizielle Deutschland für das
literarische Verdienst und die fruchtreichste Geistesarbeit hat, wenn diese nicht
in der akademischen Bahn wirkt, wenn ein bevorzugter Geist sich nicht in der
langen Queue nachschiebt, die in den geschlossenen Schranken der Zunft sich zu
den Ehren, Vorteilen und Auszeichnungen drängt." Wer möchte leugne», daß
etwas, daß viel von diesem Tadel noch heute volle Berechtigung hat!

Die Schlußkapitel der unvollendet gebliebner Schückingschen Selbstbiographie
geben unter andern interessante Skizzen aus dem Paris Ludwig Philipps und
dein Rom der ersten Jahre Pius des Neunten. Der Verfasser ging 1847 nach
der ewigen Stadt, um seiner „Kölnischen Zeitung" ans dem Mittelpunkte der
Ereignisse Bericht zu erstatten. Er hatte das Glück, in Rom mit einer ganzen
Reihe von bedeutenden Persönlichkeiten bekannt zu werden und ein unvergeßliches
Stück Leben auf klassischem Boden zu leben. Mit Schücking zugleich waren
Wilibald Alexis. Friedrich Bodenstedt und Gustav zu Putlitz in Rom; indem
man die letztern Namen nennt, tritt man aus der Reihe der vielen, die vor
dem Verfasser der „Lebenserinnerungen" geschieden sind, wieder in die Reihe
der Lebenden herüber.

Es ist Schücking leider nicht vergönnt gewesen, sein Buch zu Ende zu
führen und über die Jahrzehnte seit dem Sturme von 1348 (deren er nur
hie und da vorgreifend gedacht) in der gleich fesselnden und gleich ansprnchs
losen Weise zu berichten, wie über die Zeit bis zur achtundvierziger Revolution.


Grenzboten I. 1886. 3S
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0281" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197705"/>
          <fw type="header" place="top"> Levi» Schückings Lobenserinneruttgeii.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_825" prev="#ID_824"> allen zu mache», mit denen ich je näher bekannt geworden bin. Er war glücks¬<lb/>
unfähig. Es lag nicht in seinem Charakter, zufrieden zu sein. Hütte das Leben ihn<lb/>
auf eine Höhe gestellt wie Papst Leo X., er würde sich geärgert haben über<lb/>
die Anmaßung seiner Kardinäle, über die Grobheit Michelangelos und über den<lb/>
Lebenswandel Rafaels. Er ging völlig auf in den literarischen Interessen, in<lb/>
der Literatur, dahinter trat nach und nach auch seine politische Teilnahme völlig<lb/>
zurück. In der Weise, wie er sich mit dieser Misere herumschlug, lug ein Zug<lb/>
von Kleinlichkeit, während sein Hauptjammer doch der war, daß durch unsre<lb/>
Literatur nicht mehr ein großer Zug gehe." Im Gegensatz zu diesem allzu-<lb/>
moderncn Schriftsteller (der einer gewissen Generation der Allcrmodernsten<lb/>
gegenüber freilich schon antiquirt erscheint) tritt uns aus Schückings Charakteristik<lb/>
el» so wunderliches Original wie der &#x201E;Rheinische Antiquarius" entgegen. Der<lb/>
Verfasser der &#x201E;Lebenserinnerungen" spricht sich mit gutem Recht das Verdienst<lb/>
zu, auf das ebengenannte wertvolle Memoiren- und Sammelwerk die öffentliche<lb/>
Aufmerksamkeit zuerst und mit Erfolg gelenkt zu haben. Bei der Charakteristik<lb/>
des alten Herrn &#x201E;in seinen gelben Nanking-Svmmerbeinkleideru, mit den Schuhen<lb/>
und weiße» Strümpfe» nicht viel eleganter als etwa ein pensionirter Magister<lb/>
aussehend &#x2014; aber redend, sich ausdrückend so gewühlt wie ein Marquis vom<lb/>
Hofe Ludwigs XIV." entschlüpft dem sonst milden Schücking eine bittere Anklage,<lb/>
indem er äußert: &#x201E;Er ist eines der zahlreichen Beispiele von der empörenden<lb/>
Gleichgiltigkeit und Vernachlässigung, welche das offizielle Deutschland für das<lb/>
literarische Verdienst und die fruchtreichste Geistesarbeit hat, wenn diese nicht<lb/>
in der akademischen Bahn wirkt, wenn ein bevorzugter Geist sich nicht in der<lb/>
langen Queue nachschiebt, die in den geschlossenen Schranken der Zunft sich zu<lb/>
den Ehren, Vorteilen und Auszeichnungen drängt." Wer möchte leugne», daß<lb/>
etwas, daß viel von diesem Tadel noch heute volle Berechtigung hat!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_826"> Die Schlußkapitel der unvollendet gebliebner Schückingschen Selbstbiographie<lb/>
geben unter andern interessante Skizzen aus dem Paris Ludwig Philipps und<lb/>
dein Rom der ersten Jahre Pius des Neunten. Der Verfasser ging 1847 nach<lb/>
der ewigen Stadt, um seiner &#x201E;Kölnischen Zeitung" ans dem Mittelpunkte der<lb/>
Ereignisse Bericht zu erstatten. Er hatte das Glück, in Rom mit einer ganzen<lb/>
Reihe von bedeutenden Persönlichkeiten bekannt zu werden und ein unvergeßliches<lb/>
Stück Leben auf klassischem Boden zu leben. Mit Schücking zugleich waren<lb/>
Wilibald Alexis. Friedrich Bodenstedt und Gustav zu Putlitz in Rom; indem<lb/>
man die letztern Namen nennt, tritt man aus der Reihe der vielen, die vor<lb/>
dem Verfasser der &#x201E;Lebenserinnerungen" geschieden sind, wieder in die Reihe<lb/>
der Lebenden herüber.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_827" next="#ID_828"> Es ist Schücking leider nicht vergönnt gewesen, sein Buch zu Ende zu<lb/>
führen und über die Jahrzehnte seit dem Sturme von 1348 (deren er nur<lb/>
hie und da vorgreifend gedacht) in der gleich fesselnden und gleich ansprnchs<lb/>
losen Weise zu berichten, wie über die Zeit bis zur achtundvierziger Revolution.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. 1886. 3S</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0281] Levi» Schückings Lobenserinneruttgeii. allen zu mache», mit denen ich je näher bekannt geworden bin. Er war glücks¬ unfähig. Es lag nicht in seinem Charakter, zufrieden zu sein. Hütte das Leben ihn auf eine Höhe gestellt wie Papst Leo X., er würde sich geärgert haben über die Anmaßung seiner Kardinäle, über die Grobheit Michelangelos und über den Lebenswandel Rafaels. Er ging völlig auf in den literarischen Interessen, in der Literatur, dahinter trat nach und nach auch seine politische Teilnahme völlig zurück. In der Weise, wie er sich mit dieser Misere herumschlug, lug ein Zug von Kleinlichkeit, während sein Hauptjammer doch der war, daß durch unsre Literatur nicht mehr ein großer Zug gehe." Im Gegensatz zu diesem allzu- moderncn Schriftsteller (der einer gewissen Generation der Allcrmodernsten gegenüber freilich schon antiquirt erscheint) tritt uns aus Schückings Charakteristik el» so wunderliches Original wie der „Rheinische Antiquarius" entgegen. Der Verfasser der „Lebenserinnerungen" spricht sich mit gutem Recht das Verdienst zu, auf das ebengenannte wertvolle Memoiren- und Sammelwerk die öffentliche Aufmerksamkeit zuerst und mit Erfolg gelenkt zu haben. Bei der Charakteristik des alten Herrn „in seinen gelben Nanking-Svmmerbeinkleideru, mit den Schuhen und weiße» Strümpfe» nicht viel eleganter als etwa ein pensionirter Magister aussehend — aber redend, sich ausdrückend so gewühlt wie ein Marquis vom Hofe Ludwigs XIV." entschlüpft dem sonst milden Schücking eine bittere Anklage, indem er äußert: „Er ist eines der zahlreichen Beispiele von der empörenden Gleichgiltigkeit und Vernachlässigung, welche das offizielle Deutschland für das literarische Verdienst und die fruchtreichste Geistesarbeit hat, wenn diese nicht in der akademischen Bahn wirkt, wenn ein bevorzugter Geist sich nicht in der langen Queue nachschiebt, die in den geschlossenen Schranken der Zunft sich zu den Ehren, Vorteilen und Auszeichnungen drängt." Wer möchte leugne», daß etwas, daß viel von diesem Tadel noch heute volle Berechtigung hat! Die Schlußkapitel der unvollendet gebliebner Schückingschen Selbstbiographie geben unter andern interessante Skizzen aus dem Paris Ludwig Philipps und dein Rom der ersten Jahre Pius des Neunten. Der Verfasser ging 1847 nach der ewigen Stadt, um seiner „Kölnischen Zeitung" ans dem Mittelpunkte der Ereignisse Bericht zu erstatten. Er hatte das Glück, in Rom mit einer ganzen Reihe von bedeutenden Persönlichkeiten bekannt zu werden und ein unvergeßliches Stück Leben auf klassischem Boden zu leben. Mit Schücking zugleich waren Wilibald Alexis. Friedrich Bodenstedt und Gustav zu Putlitz in Rom; indem man die letztern Namen nennt, tritt man aus der Reihe der vielen, die vor dem Verfasser der „Lebenserinnerungen" geschieden sind, wieder in die Reihe der Lebenden herüber. Es ist Schücking leider nicht vergönnt gewesen, sein Buch zu Ende zu führen und über die Jahrzehnte seit dem Sturme von 1348 (deren er nur hie und da vorgreifend gedacht) in der gleich fesselnden und gleich ansprnchs losen Weise zu berichten, wie über die Zeit bis zur achtundvierziger Revolution. Grenzboten I. 1886. 3S

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/281
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/281>, abgerufen am 05.02.2025.