Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Ja, "gut Ding will Weile haben." Der Spruch eignet sich ganz besonders
für die Entwicklung unsers Bibliothekswesens. Langsam und unmerklich ist
dieselbe von statten gegangen trotz der nicht geringen Literatur, die das zurück¬
gebliebene Kind lebensfähig machen sollte. Männer wie Ebert, Mvlbech und
andre mehr haben über die notwendigen Eigenschaften und Kenntnisse des
Bibliothekars geschrieben und Anforderungen gestellt, welche der gewöhnliche
Sterbliche kaum erfüllen kann. Aber es ging ihren ^Bemühungen wie der
Bibliothekswissenschaft selbst, sie drangen nicht weit über den engen Kreis der
Fachgenossen hinaus, und ihr Hauptergebnis war wohl, daß die Bibliotheks-
beamteu zum Ersatz für die Verkennung, die sie von außen erfuhren, und für
die im Verhältnis zu den dort gestellten hohen Anforderungen wunderbar
geringe materielle Entschädigung ihrer wie eines Spiegelbildes sich erfreute"
und sich erbauten an dem Gedanken, mas sie doch für tüchtige Leute sein
müßten.

Vor allen waren die Universitätsbibliotheken rechte Stiefkinder, die hinter
den frisch aufblühenden und reichlich ausgestatteten Schwesteranstalten der hohen
Schulen mannichfache Zurücksetzung erfuhren. Das Beamteupersonal mit Aus¬
nahme der Subaltcrubecimteu bestand aus Dozenten, die ihre Mußestunden
gegen geringe Entschädigung den Arbeiten auf der Bibliothek widmeten. Nicht
wenig fiel es auf, als Anfang der vierziger Jahre zuerst in Leipzig der Versuch
gemacht wurde, einen nicht dem Professvrenstnnde angehörenden Mann, der die
Bibliothekslanfbcchn durchgemacht hatte, zum Leiter der Universitätsbibliothek
zu ernennen, und es dauerte geraume Zeit, bis auch an einzelnen andern
Bibliotheken dieser Schritt Nachahmung fand. Heute ist glücklicherweise die
Selbständigkeit des bibliothekarischen Berufes wohl allgemein anerkannt. Wir
verdanken dies nicht zum geringsten Teile dem Verdienste Anton Klettes und
seiner überzeugenden Schrift, welche diese Frage behandelt. Nachdem nun auch
von Hartwig und Schulz in dem Zentralblatt für Bibliothekswesen ein Organ
geschaffen worden ist, in welchem die Interessen des Standes in jeder wünschens¬
werten Weise vertreten werden, können die Bestrebungen zu weiterer Ausbildung
des Bibliothekswesens auf gute Erfolge hoffen.

Die bibliothekarische Thätigkeit ist keine rein gelehrte, der Gelehrte als
solcher ist also nicht x"?/ "5"^")^ imstande, eine Bibliothek ersprießlich zu ver¬
walten; anderseits ist sie so vielseitig und ausgedehnt, daß sie sich nicht zum
Nebenamte eignet. Daß mit der Gelehrsamkeit an und für sich schon der
Praktische Verstand gleichen Schritt halte, wird niemand behaupten wollen. Und
doch ist dieser für de" Vibliotheksbeamten ganz unentbehrlich, denn nirgends
rächt sich unpraktisches Arbeiten bitterer als in seinem Fache. Betrachten wir
den Bibliothekar als Beamten, so wird auch die Auffassung seines Berufes,
wie sie sich in früherer Zeit gebildet hatte, als noch der Gelehrte sein Vertreter
war, eine Abänderung erleiden.


Ja, „gut Ding will Weile haben." Der Spruch eignet sich ganz besonders
für die Entwicklung unsers Bibliothekswesens. Langsam und unmerklich ist
dieselbe von statten gegangen trotz der nicht geringen Literatur, die das zurück¬
gebliebene Kind lebensfähig machen sollte. Männer wie Ebert, Mvlbech und
andre mehr haben über die notwendigen Eigenschaften und Kenntnisse des
Bibliothekars geschrieben und Anforderungen gestellt, welche der gewöhnliche
Sterbliche kaum erfüllen kann. Aber es ging ihren ^Bemühungen wie der
Bibliothekswissenschaft selbst, sie drangen nicht weit über den engen Kreis der
Fachgenossen hinaus, und ihr Hauptergebnis war wohl, daß die Bibliotheks-
beamteu zum Ersatz für die Verkennung, die sie von außen erfuhren, und für
die im Verhältnis zu den dort gestellten hohen Anforderungen wunderbar
geringe materielle Entschädigung ihrer wie eines Spiegelbildes sich erfreute»
und sich erbauten an dem Gedanken, mas sie doch für tüchtige Leute sein
müßten.

Vor allen waren die Universitätsbibliotheken rechte Stiefkinder, die hinter
den frisch aufblühenden und reichlich ausgestatteten Schwesteranstalten der hohen
Schulen mannichfache Zurücksetzung erfuhren. Das Beamteupersonal mit Aus¬
nahme der Subaltcrubecimteu bestand aus Dozenten, die ihre Mußestunden
gegen geringe Entschädigung den Arbeiten auf der Bibliothek widmeten. Nicht
wenig fiel es auf, als Anfang der vierziger Jahre zuerst in Leipzig der Versuch
gemacht wurde, einen nicht dem Professvrenstnnde angehörenden Mann, der die
Bibliothekslanfbcchn durchgemacht hatte, zum Leiter der Universitätsbibliothek
zu ernennen, und es dauerte geraume Zeit, bis auch an einzelnen andern
Bibliotheken dieser Schritt Nachahmung fand. Heute ist glücklicherweise die
Selbständigkeit des bibliothekarischen Berufes wohl allgemein anerkannt. Wir
verdanken dies nicht zum geringsten Teile dem Verdienste Anton Klettes und
seiner überzeugenden Schrift, welche diese Frage behandelt. Nachdem nun auch
von Hartwig und Schulz in dem Zentralblatt für Bibliothekswesen ein Organ
geschaffen worden ist, in welchem die Interessen des Standes in jeder wünschens¬
werten Weise vertreten werden, können die Bestrebungen zu weiterer Ausbildung
des Bibliothekswesens auf gute Erfolge hoffen.

Die bibliothekarische Thätigkeit ist keine rein gelehrte, der Gelehrte als
solcher ist also nicht x«?/ «5«^»)^ imstande, eine Bibliothek ersprießlich zu ver¬
walten; anderseits ist sie so vielseitig und ausgedehnt, daß sie sich nicht zum
Nebenamte eignet. Daß mit der Gelehrsamkeit an und für sich schon der
Praktische Verstand gleichen Schritt halte, wird niemand behaupten wollen. Und
doch ist dieser für de» Vibliotheksbeamten ganz unentbehrlich, denn nirgends
rächt sich unpraktisches Arbeiten bitterer als in seinem Fache. Betrachten wir
den Bibliothekar als Beamten, so wird auch die Auffassung seines Berufes,
wie sie sich in früherer Zeit gebildet hatte, als noch der Gelehrte sein Vertreter
war, eine Abänderung erleiden.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0271" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197695"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_803"> Ja, &#x201E;gut Ding will Weile haben." Der Spruch eignet sich ganz besonders<lb/>
für die Entwicklung unsers Bibliothekswesens. Langsam und unmerklich ist<lb/>
dieselbe von statten gegangen trotz der nicht geringen Literatur, die das zurück¬<lb/>
gebliebene Kind lebensfähig machen sollte. Männer wie Ebert, Mvlbech und<lb/>
andre mehr haben über die notwendigen Eigenschaften und Kenntnisse des<lb/>
Bibliothekars geschrieben und Anforderungen gestellt, welche der gewöhnliche<lb/>
Sterbliche kaum erfüllen kann. Aber es ging ihren ^Bemühungen wie der<lb/>
Bibliothekswissenschaft selbst, sie drangen nicht weit über den engen Kreis der<lb/>
Fachgenossen hinaus, und ihr Hauptergebnis war wohl, daß die Bibliotheks-<lb/>
beamteu zum Ersatz für die Verkennung, die sie von außen erfuhren, und für<lb/>
die im Verhältnis zu den dort gestellten hohen Anforderungen wunderbar<lb/>
geringe materielle Entschädigung ihrer wie eines Spiegelbildes sich erfreute»<lb/>
und sich erbauten an dem Gedanken, mas sie doch für tüchtige Leute sein<lb/>
müßten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_804"> Vor allen waren die Universitätsbibliotheken rechte Stiefkinder, die hinter<lb/>
den frisch aufblühenden und reichlich ausgestatteten Schwesteranstalten der hohen<lb/>
Schulen mannichfache Zurücksetzung erfuhren. Das Beamteupersonal mit Aus¬<lb/>
nahme der Subaltcrubecimteu bestand aus Dozenten, die ihre Mußestunden<lb/>
gegen geringe Entschädigung den Arbeiten auf der Bibliothek widmeten. Nicht<lb/>
wenig fiel es auf, als Anfang der vierziger Jahre zuerst in Leipzig der Versuch<lb/>
gemacht wurde, einen nicht dem Professvrenstnnde angehörenden Mann, der die<lb/>
Bibliothekslanfbcchn durchgemacht hatte, zum Leiter der Universitätsbibliothek<lb/>
zu ernennen, und es dauerte geraume Zeit, bis auch an einzelnen andern<lb/>
Bibliotheken dieser Schritt Nachahmung fand. Heute ist glücklicherweise die<lb/>
Selbständigkeit des bibliothekarischen Berufes wohl allgemein anerkannt. Wir<lb/>
verdanken dies nicht zum geringsten Teile dem Verdienste Anton Klettes und<lb/>
seiner überzeugenden Schrift, welche diese Frage behandelt. Nachdem nun auch<lb/>
von Hartwig und Schulz in dem Zentralblatt für Bibliothekswesen ein Organ<lb/>
geschaffen worden ist, in welchem die Interessen des Standes in jeder wünschens¬<lb/>
werten Weise vertreten werden, können die Bestrebungen zu weiterer Ausbildung<lb/>
des Bibliothekswesens auf gute Erfolge hoffen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_805"> Die bibliothekarische Thätigkeit ist keine rein gelehrte, der Gelehrte als<lb/>
solcher ist also nicht x«?/ «5«^»)^ imstande, eine Bibliothek ersprießlich zu ver¬<lb/>
walten; anderseits ist sie so vielseitig und ausgedehnt, daß sie sich nicht zum<lb/>
Nebenamte eignet. Daß mit der Gelehrsamkeit an und für sich schon der<lb/>
Praktische Verstand gleichen Schritt halte, wird niemand behaupten wollen. Und<lb/>
doch ist dieser für de» Vibliotheksbeamten ganz unentbehrlich, denn nirgends<lb/>
rächt sich unpraktisches Arbeiten bitterer als in seinem Fache. Betrachten wir<lb/>
den Bibliothekar als Beamten, so wird auch die Auffassung seines Berufes,<lb/>
wie sie sich in früherer Zeit gebildet hatte, als noch der Gelehrte sein Vertreter<lb/>
war, eine Abänderung erleiden.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0271] Ja, „gut Ding will Weile haben." Der Spruch eignet sich ganz besonders für die Entwicklung unsers Bibliothekswesens. Langsam und unmerklich ist dieselbe von statten gegangen trotz der nicht geringen Literatur, die das zurück¬ gebliebene Kind lebensfähig machen sollte. Männer wie Ebert, Mvlbech und andre mehr haben über die notwendigen Eigenschaften und Kenntnisse des Bibliothekars geschrieben und Anforderungen gestellt, welche der gewöhnliche Sterbliche kaum erfüllen kann. Aber es ging ihren ^Bemühungen wie der Bibliothekswissenschaft selbst, sie drangen nicht weit über den engen Kreis der Fachgenossen hinaus, und ihr Hauptergebnis war wohl, daß die Bibliotheks- beamteu zum Ersatz für die Verkennung, die sie von außen erfuhren, und für die im Verhältnis zu den dort gestellten hohen Anforderungen wunderbar geringe materielle Entschädigung ihrer wie eines Spiegelbildes sich erfreute» und sich erbauten an dem Gedanken, mas sie doch für tüchtige Leute sein müßten. Vor allen waren die Universitätsbibliotheken rechte Stiefkinder, die hinter den frisch aufblühenden und reichlich ausgestatteten Schwesteranstalten der hohen Schulen mannichfache Zurücksetzung erfuhren. Das Beamteupersonal mit Aus¬ nahme der Subaltcrubecimteu bestand aus Dozenten, die ihre Mußestunden gegen geringe Entschädigung den Arbeiten auf der Bibliothek widmeten. Nicht wenig fiel es auf, als Anfang der vierziger Jahre zuerst in Leipzig der Versuch gemacht wurde, einen nicht dem Professvrenstnnde angehörenden Mann, der die Bibliothekslanfbcchn durchgemacht hatte, zum Leiter der Universitätsbibliothek zu ernennen, und es dauerte geraume Zeit, bis auch an einzelnen andern Bibliotheken dieser Schritt Nachahmung fand. Heute ist glücklicherweise die Selbständigkeit des bibliothekarischen Berufes wohl allgemein anerkannt. Wir verdanken dies nicht zum geringsten Teile dem Verdienste Anton Klettes und seiner überzeugenden Schrift, welche diese Frage behandelt. Nachdem nun auch von Hartwig und Schulz in dem Zentralblatt für Bibliothekswesen ein Organ geschaffen worden ist, in welchem die Interessen des Standes in jeder wünschens¬ werten Weise vertreten werden, können die Bestrebungen zu weiterer Ausbildung des Bibliothekswesens auf gute Erfolge hoffen. Die bibliothekarische Thätigkeit ist keine rein gelehrte, der Gelehrte als solcher ist also nicht x«?/ «5«^»)^ imstande, eine Bibliothek ersprießlich zu ver¬ walten; anderseits ist sie so vielseitig und ausgedehnt, daß sie sich nicht zum Nebenamte eignet. Daß mit der Gelehrsamkeit an und für sich schon der Praktische Verstand gleichen Schritt halte, wird niemand behaupten wollen. Und doch ist dieser für de» Vibliotheksbeamten ganz unentbehrlich, denn nirgends rächt sich unpraktisches Arbeiten bitterer als in seinem Fache. Betrachten wir den Bibliothekar als Beamten, so wird auch die Auffassung seines Berufes, wie sie sich in früherer Zeit gebildet hatte, als noch der Gelehrte sein Vertreter war, eine Abänderung erleiden.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/271
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/271>, abgerufen am 05.02.2025.