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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Historische Romane.

Persönlich hat er ein mitleidiges Herz für das Elend der Unterthanen, wenn es
ihm gerade zufällig zu Gesichte kommt, oder wenn ihn eine Vorstellung des¬
selben augenblicklich heftig affizirt. In seiner Genußsucht aber findet er weder
Zeit, noch moralische Kraft genug, selbst die Dinge zu prüfen, und überlaßt die
ganze Regierung einem Ex-Jesuiten. Nur Geld soll stets in seiner Kasse sein!
Von einem deutschen Nationalgefühl ist keine Spur in ihm. Die ganze Welt
ist nur für ihn da, und er hat absolut alle feinere sittliche Empfindung ver¬
loren. Die Charakteristik dieses Kurfürsten ist jedenfalls das Beste in dem
Romane, denn es ist Zeusen gelungen, selbst eine gewisse Naivität in diesem
Egoisten zu veranschaulichen und es begreiflich zu machen, wie solch ein Fürst
zum Verräter am Vaterlande werden und mit dem Feinde den famosen Rhein¬
bund bilden konnte.

Am gewissenlosesten geht der Kurfürst natürlich mit den Frauen um. Jedem
andern Sterblichen nimmt er das Verbrechen der Mädchenverführung bitter übel;
ihm selbst aber ist es gleich dem Zeus erlaubt, jedes Weib zu schänden, denn
nach seiner Meinung ehrt und erhebt er sie durch seine Gnade. So hatte er
es einmal mit einer Hofdame, Mademoiselle Verouique, gemacht, und um sie zu
versorgen, hatte er den diabolischen Gedanken, einen jungen strebsamen Pfarrer
mit dem Mädchen zu verbinden, wobei er offenbar garnicht ahnte, wie furchtbar
er dem unbescholtenen Ehrenmanne damit mitspielte. Denn gar bald gingen dem
in seine schöne junge Frau verliebten Pastor Bibcrmann die Augen ans, als
sie nach kaum zweimonatlicher Ehe von einem kräftigen Mädchen entbunden
wurde; nun erst merkte er, weshalb der Kurfürst ihn mit ganz unverhofften
Gnadenbeweisen überschüttete, und er war zum Unglück seiner jungen Frau uicht
der Manu darnach, den Schimpf zu ertragen. Er lief aus dem Hause, Vcro-
nique wurde wahnsinnig, worauf der Kurfürst sie versorgen ließ, das neugeborne
Mädchen wurde unter dem Namen Verena Schwanfeld nach Philippsburg zu
eiuer armen Frau in die Pflege gegeben. In diesem betrognen Pastor zeichnet
Imsen jene Schicht des deutschen Volkes, welche mit Jubel die französische
Revolution zu begrüßen Ursache hatte, da sie, wie die Millionen jenseits des
Rheins, unter demselben Drucke zu leiden hatte. Dem Pastor gegenüber steht
ein alter braver deutscher Neichsfreihcrr, souveräner Herr auf einem Gebiete
von keiner halben Quadratmeile. Auch er ist unzufrieden mit dem deutschen
Regiment, haßt bitterlich den Franzosenkultus; aber er bleibt national treu
und stellt das Vaterland über jede andre Rücksicht.

Verena Schwanfeld lernen wir als kaum den Kinderschuhen entwachsenes
Mädchen in Gesellschaft des Arnulf Weudemar, eines gleichfalls elternlosen
Burschen, in den Ruinen Philippsburgs kennen, und am Schicksale dieser beiden
Geschöpfe spinnt sich der Roman ab. Wendcmar ist gleichfalls ein Bastard,
und zwar ein Sohn des Fürstbischofs von Speier, eines in verbitterter Ein¬
samkeit dahinlebenden alten Geizhalses, dem die Skepsis des Jahrhunderts jeden


Grenzbvtenl. 1836 29
Historische Romane.

Persönlich hat er ein mitleidiges Herz für das Elend der Unterthanen, wenn es
ihm gerade zufällig zu Gesichte kommt, oder wenn ihn eine Vorstellung des¬
selben augenblicklich heftig affizirt. In seiner Genußsucht aber findet er weder
Zeit, noch moralische Kraft genug, selbst die Dinge zu prüfen, und überlaßt die
ganze Regierung einem Ex-Jesuiten. Nur Geld soll stets in seiner Kasse sein!
Von einem deutschen Nationalgefühl ist keine Spur in ihm. Die ganze Welt
ist nur für ihn da, und er hat absolut alle feinere sittliche Empfindung ver¬
loren. Die Charakteristik dieses Kurfürsten ist jedenfalls das Beste in dem
Romane, denn es ist Zeusen gelungen, selbst eine gewisse Naivität in diesem
Egoisten zu veranschaulichen und es begreiflich zu machen, wie solch ein Fürst
zum Verräter am Vaterlande werden und mit dem Feinde den famosen Rhein¬
bund bilden konnte.

Am gewissenlosesten geht der Kurfürst natürlich mit den Frauen um. Jedem
andern Sterblichen nimmt er das Verbrechen der Mädchenverführung bitter übel;
ihm selbst aber ist es gleich dem Zeus erlaubt, jedes Weib zu schänden, denn
nach seiner Meinung ehrt und erhebt er sie durch seine Gnade. So hatte er
es einmal mit einer Hofdame, Mademoiselle Verouique, gemacht, und um sie zu
versorgen, hatte er den diabolischen Gedanken, einen jungen strebsamen Pfarrer
mit dem Mädchen zu verbinden, wobei er offenbar garnicht ahnte, wie furchtbar
er dem unbescholtenen Ehrenmanne damit mitspielte. Denn gar bald gingen dem
in seine schöne junge Frau verliebten Pastor Bibcrmann die Augen ans, als
sie nach kaum zweimonatlicher Ehe von einem kräftigen Mädchen entbunden
wurde; nun erst merkte er, weshalb der Kurfürst ihn mit ganz unverhofften
Gnadenbeweisen überschüttete, und er war zum Unglück seiner jungen Frau uicht
der Manu darnach, den Schimpf zu ertragen. Er lief aus dem Hause, Vcro-
nique wurde wahnsinnig, worauf der Kurfürst sie versorgen ließ, das neugeborne
Mädchen wurde unter dem Namen Verena Schwanfeld nach Philippsburg zu
eiuer armen Frau in die Pflege gegeben. In diesem betrognen Pastor zeichnet
Imsen jene Schicht des deutschen Volkes, welche mit Jubel die französische
Revolution zu begrüßen Ursache hatte, da sie, wie die Millionen jenseits des
Rheins, unter demselben Drucke zu leiden hatte. Dem Pastor gegenüber steht
ein alter braver deutscher Neichsfreihcrr, souveräner Herr auf einem Gebiete
von keiner halben Quadratmeile. Auch er ist unzufrieden mit dem deutschen
Regiment, haßt bitterlich den Franzosenkultus; aber er bleibt national treu
und stellt das Vaterland über jede andre Rücksicht.

Verena Schwanfeld lernen wir als kaum den Kinderschuhen entwachsenes
Mädchen in Gesellschaft des Arnulf Weudemar, eines gleichfalls elternlosen
Burschen, in den Ruinen Philippsburgs kennen, und am Schicksale dieser beiden
Geschöpfe spinnt sich der Roman ab. Wendcmar ist gleichfalls ein Bastard,
und zwar ein Sohn des Fürstbischofs von Speier, eines in verbitterter Ein¬
samkeit dahinlebenden alten Geizhalses, dem die Skepsis des Jahrhunderts jeden


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[0233] Historische Romane. Persönlich hat er ein mitleidiges Herz für das Elend der Unterthanen, wenn es ihm gerade zufällig zu Gesichte kommt, oder wenn ihn eine Vorstellung des¬ selben augenblicklich heftig affizirt. In seiner Genußsucht aber findet er weder Zeit, noch moralische Kraft genug, selbst die Dinge zu prüfen, und überlaßt die ganze Regierung einem Ex-Jesuiten. Nur Geld soll stets in seiner Kasse sein! Von einem deutschen Nationalgefühl ist keine Spur in ihm. Die ganze Welt ist nur für ihn da, und er hat absolut alle feinere sittliche Empfindung ver¬ loren. Die Charakteristik dieses Kurfürsten ist jedenfalls das Beste in dem Romane, denn es ist Zeusen gelungen, selbst eine gewisse Naivität in diesem Egoisten zu veranschaulichen und es begreiflich zu machen, wie solch ein Fürst zum Verräter am Vaterlande werden und mit dem Feinde den famosen Rhein¬ bund bilden konnte. Am gewissenlosesten geht der Kurfürst natürlich mit den Frauen um. Jedem andern Sterblichen nimmt er das Verbrechen der Mädchenverführung bitter übel; ihm selbst aber ist es gleich dem Zeus erlaubt, jedes Weib zu schänden, denn nach seiner Meinung ehrt und erhebt er sie durch seine Gnade. So hatte er es einmal mit einer Hofdame, Mademoiselle Verouique, gemacht, und um sie zu versorgen, hatte er den diabolischen Gedanken, einen jungen strebsamen Pfarrer mit dem Mädchen zu verbinden, wobei er offenbar garnicht ahnte, wie furchtbar er dem unbescholtenen Ehrenmanne damit mitspielte. Denn gar bald gingen dem in seine schöne junge Frau verliebten Pastor Bibcrmann die Augen ans, als sie nach kaum zweimonatlicher Ehe von einem kräftigen Mädchen entbunden wurde; nun erst merkte er, weshalb der Kurfürst ihn mit ganz unverhofften Gnadenbeweisen überschüttete, und er war zum Unglück seiner jungen Frau uicht der Manu darnach, den Schimpf zu ertragen. Er lief aus dem Hause, Vcro- nique wurde wahnsinnig, worauf der Kurfürst sie versorgen ließ, das neugeborne Mädchen wurde unter dem Namen Verena Schwanfeld nach Philippsburg zu eiuer armen Frau in die Pflege gegeben. In diesem betrognen Pastor zeichnet Imsen jene Schicht des deutschen Volkes, welche mit Jubel die französische Revolution zu begrüßen Ursache hatte, da sie, wie die Millionen jenseits des Rheins, unter demselben Drucke zu leiden hatte. Dem Pastor gegenüber steht ein alter braver deutscher Neichsfreihcrr, souveräner Herr auf einem Gebiete von keiner halben Quadratmeile. Auch er ist unzufrieden mit dem deutschen Regiment, haßt bitterlich den Franzosenkultus; aber er bleibt national treu und stellt das Vaterland über jede andre Rücksicht. Verena Schwanfeld lernen wir als kaum den Kinderschuhen entwachsenes Mädchen in Gesellschaft des Arnulf Weudemar, eines gleichfalls elternlosen Burschen, in den Ruinen Philippsburgs kennen, und am Schicksale dieser beiden Geschöpfe spinnt sich der Roman ab. Wendcmar ist gleichfalls ein Bastard, und zwar ein Sohn des Fürstbischofs von Speier, eines in verbitterter Ein¬ samkeit dahinlebenden alten Geizhalses, dem die Skepsis des Jahrhunderts jeden Grenzbvtenl. 1836 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/233>, abgerufen am 05.02.2025.