Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.Literatur. Lüsternheit knabenhafter Leser spekulirt. Man vergleiche die nun auch deutsch aus¬ Concerte, Componisten und Virtuosen der letzten fünfzehn Jahre. 1870--1885. flieh: 1884j. Kritiken von Eduard Hanslick. Berlin, Allgemeiner Verein für Deutsche Literatur, 1886. Diese Wiener Konzertberichte aus der Feder eines der bedeutendsten, vielleicht Ein besondrer Vorzug der Hanslickschen Kritiken ist ihre meisterhafte stilistische Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig. Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig. -- Druck vou Carl Marquart in Leipzig. Literatur. Lüsternheit knabenhafter Leser spekulirt. Man vergleiche die nun auch deutsch aus¬ Concerte, Componisten und Virtuosen der letzten fünfzehn Jahre. 1870—1885. flieh: 1884j. Kritiken von Eduard Hanslick. Berlin, Allgemeiner Verein für Deutsche Literatur, 1886. Diese Wiener Konzertberichte aus der Feder eines der bedeutendsten, vielleicht Ein besondrer Vorzug der Hanslickschen Kritiken ist ihre meisterhafte stilistische Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig. Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig. — Druck vou Carl Marquart in Leipzig. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0200" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197624"/> <fw type="header" place="top"> Literatur.</fw><lb/> <p xml:id="ID_607" prev="#ID_606"> Lüsternheit knabenhafter Leser spekulirt. Man vergleiche die nun auch deutsch aus¬<lb/> gegebene Novelle Leo Tolstois „Die Kosaken" mit diesem Machwerk und wird<lb/> finden, wie ein edles Talent die Sinnlichkeit, bei allem Realismus der Darstellung,<lb/> keusch zu schildern weiß, während in „Daredjcm" nur ein blasirter Roue für seines¬<lb/> gleichen das Wort führt.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Concerte, Componisten und Virtuosen der letzten fünfzehn Jahre. 1870—1885.<lb/> flieh: 1884j. Kritiken von Eduard Hanslick. Berlin, Allgemeiner Verein für Deutsche<lb/> Literatur, 1886.</head><lb/> <p xml:id="ID_608"> Diese Wiener Konzertberichte aus der Feder eines der bedeutendsten, vielleicht<lb/> des bedeutendsten Musikschriftstellers unsrer Tage verdienen es in vollem Maße,<lb/> daß sie durch ihre Vereinigung zu einem Buche über die flüchtige Wirkuug, die sie<lb/> bei ihrem ersten Erscheinen in der Wiener Tagespresse geübt haben, hinausgehoben<lb/> werden; sie verdienen es, von jedem wahren Musikfreunde im Zusammenhange<lb/> gelesen zu werden, und, was das Beste ist, sie werden das noch nach Jahrzehnten<lb/> verdienen. Nicht nnr daß Hanslick in diesen Kritiken eine Fülle feiner und treffender<lb/> Bemerkungen über ältere Meister und ihre Werke niedergelegt hat, nicht nur daß<lb/> er sich geistvoll über eine Anzahl großer, witzig, oft sarkastisch über eine Anzahl<lb/> kleiner Virtuosen unsrer Zeit ausspricht; was uns das Buch besouders wert macht,<lb/> ist der nahezu vollständige kritische Ueberblick, den es über die hervorragenderen<lb/> musikalischen Produktionen der letzten fünfzehn Jahre gewährt. Sein Standpunkt<lb/> und sein Maßstab ist dabei in jeder Beziehung der unsrige. Mag er die hohe,<lb/> echte Künstlerschaft von Meistern wie Volkmann und Brahms ins rechte Licht stellen,<lb/> mag er schonungslos die hohle Schcingröße zerstören, zu der durch deu Beifall<lb/> einer vou Partei- und Cliquenreklame irregeleitete» urteilsloscu Masse Erscheinungen<lb/> wie Wagner und Liszt — Liszt als Komponist — aufgebauscht worden sind, mag<lb/> er alle die schreibseligen un imnorum gentium wie Hiller, Bruch, Raff, Rubin-<lb/> stein u. a. in ihrem wahren Werte zeigen, es ist nicht eine Zeile in seinen Ur¬<lb/> teilen, die wir nicht von Herzen und mit vollster Ueberzeugung unterschrieben.<lb/> Hanslick ist ein völlig unabhängiger, über alles Cliquenwesen erhabner, allen tunst-<lb/> fremden Einflüssen unzugänglicher Kritiker. Wie froh könnten wir in Leipzig sein,<lb/> wenn wir unter dem ewig wechselnden Rezensententroß unsrer Tagespresse auch uur<lb/> einen halben oder viertel Hanslick hätten! Dann wäre uns wohl auch eine so<lb/> nichtsnutzige Komödie wie die Gründung eines Lisztvereins (!) und die Ankündigung<lb/> von fünf (!) Lisztkonzerten, die wir in den letzten Tagen in Leipzig erlebt haben,<lb/> erspart geblieben; dann würde das musikalische Geschreibsel unsrer Tagespresse sich<lb/> nicht fort und fort in so beleidigenden Widerspruch zu deu Urteilen befinden,<lb/> die in den wahrhaft musikalisch gebildeten Kreisen von Mund zu Munde gehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_609"> Ein besondrer Vorzug der Hanslickschen Kritiken ist ihre meisterhafte stilistische<lb/> Fassung. Hanslick versteht es wie wenige über Musik zu schreiben, ein musikalisches<lb/> Werk zu charakterisiren und die Wirkuug desselben zu schildern, der Ausdruck steht<lb/> ihm in wunderbarer Weise zu Gebote; nicht ein Wort erinnert an den gemeinen<lb/> Phrasenvvrrat, den unsre gewerbsmäßigen Dutzendrezenseuteu mit der Zeit auf¬<lb/> gesammelt haben, und er schreibt überdies — und zwar, wie man ihm wohl<lb/> anmerkt, mit vollem künstlerischen Bewußtsein — ein vortreffliches Deutsch, dessen<lb/> Genuß höchstens dnrch gelegentliche Austriacismen (wie den Gebrauch von „neuer¬<lb/> dings" im Sinne von „abermals," „von neuem," „aufs neue" u. ahnt.), die uns<lb/> Norddeutschen nun einmal gegen den Strich gehen, ein wenig beeinträchtigt wird.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note type="byline"> Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.<lb/> Verlag von Fr. Will). 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Literatur.
Lüsternheit knabenhafter Leser spekulirt. Man vergleiche die nun auch deutsch aus¬
gegebene Novelle Leo Tolstois „Die Kosaken" mit diesem Machwerk und wird
finden, wie ein edles Talent die Sinnlichkeit, bei allem Realismus der Darstellung,
keusch zu schildern weiß, während in „Daredjcm" nur ein blasirter Roue für seines¬
gleichen das Wort führt.
Concerte, Componisten und Virtuosen der letzten fünfzehn Jahre. 1870—1885.
flieh: 1884j. Kritiken von Eduard Hanslick. Berlin, Allgemeiner Verein für Deutsche
Literatur, 1886.
Diese Wiener Konzertberichte aus der Feder eines der bedeutendsten, vielleicht
des bedeutendsten Musikschriftstellers unsrer Tage verdienen es in vollem Maße,
daß sie durch ihre Vereinigung zu einem Buche über die flüchtige Wirkuug, die sie
bei ihrem ersten Erscheinen in der Wiener Tagespresse geübt haben, hinausgehoben
werden; sie verdienen es, von jedem wahren Musikfreunde im Zusammenhange
gelesen zu werden, und, was das Beste ist, sie werden das noch nach Jahrzehnten
verdienen. Nicht nnr daß Hanslick in diesen Kritiken eine Fülle feiner und treffender
Bemerkungen über ältere Meister und ihre Werke niedergelegt hat, nicht nur daß
er sich geistvoll über eine Anzahl großer, witzig, oft sarkastisch über eine Anzahl
kleiner Virtuosen unsrer Zeit ausspricht; was uns das Buch besouders wert macht,
ist der nahezu vollständige kritische Ueberblick, den es über die hervorragenderen
musikalischen Produktionen der letzten fünfzehn Jahre gewährt. Sein Standpunkt
und sein Maßstab ist dabei in jeder Beziehung der unsrige. Mag er die hohe,
echte Künstlerschaft von Meistern wie Volkmann und Brahms ins rechte Licht stellen,
mag er schonungslos die hohle Schcingröße zerstören, zu der durch deu Beifall
einer vou Partei- und Cliquenreklame irregeleitete» urteilsloscu Masse Erscheinungen
wie Wagner und Liszt — Liszt als Komponist — aufgebauscht worden sind, mag
er alle die schreibseligen un imnorum gentium wie Hiller, Bruch, Raff, Rubin-
stein u. a. in ihrem wahren Werte zeigen, es ist nicht eine Zeile in seinen Ur¬
teilen, die wir nicht von Herzen und mit vollster Ueberzeugung unterschrieben.
Hanslick ist ein völlig unabhängiger, über alles Cliquenwesen erhabner, allen tunst-
fremden Einflüssen unzugänglicher Kritiker. Wie froh könnten wir in Leipzig sein,
wenn wir unter dem ewig wechselnden Rezensententroß unsrer Tagespresse auch uur
einen halben oder viertel Hanslick hätten! Dann wäre uns wohl auch eine so
nichtsnutzige Komödie wie die Gründung eines Lisztvereins (!) und die Ankündigung
von fünf (!) Lisztkonzerten, die wir in den letzten Tagen in Leipzig erlebt haben,
erspart geblieben; dann würde das musikalische Geschreibsel unsrer Tagespresse sich
nicht fort und fort in so beleidigenden Widerspruch zu deu Urteilen befinden,
die in den wahrhaft musikalisch gebildeten Kreisen von Mund zu Munde gehen.
Ein besondrer Vorzug der Hanslickschen Kritiken ist ihre meisterhafte stilistische
Fassung. Hanslick versteht es wie wenige über Musik zu schreiben, ein musikalisches
Werk zu charakterisiren und die Wirkuug desselben zu schildern, der Ausdruck steht
ihm in wunderbarer Weise zu Gebote; nicht ein Wort erinnert an den gemeinen
Phrasenvvrrat, den unsre gewerbsmäßigen Dutzendrezenseuteu mit der Zeit auf¬
gesammelt haben, und er schreibt überdies — und zwar, wie man ihm wohl
anmerkt, mit vollem künstlerischen Bewußtsein — ein vortreffliches Deutsch, dessen
Genuß höchstens dnrch gelegentliche Austriacismen (wie den Gebrauch von „neuer¬
dings" im Sinne von „abermals," „von neuem," „aufs neue" u. ahnt.), die uns
Norddeutschen nun einmal gegen den Strich gehen, ein wenig beeinträchtigt wird.
Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig. — Druck vou Carl Marquart in Leipzig.
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