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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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gicrung darauf gerichtet ist, die Volksfreiheit zu untergraben. Es ist ihre offen¬
kundige, ja ihre offen eiugesiaudue Absicht, durch das Monopol die Einnahmen
des Reiches mit den Ausgaben ins Gleichgewicht zu bringen, und was, wenn
das gelingen sollte, dann ans dem Parlamentarismus werden würde, das, meine
Herren, sagt sich jeder von Ihnen selbst. Somit nötigt uns der Selbsterhal¬
tungstrieb, jeden Vorschlag abzulehnen, welcher unsre Finanzen in Ordnung zu
bringen droht. Aber damit nicht genug! Auch solche Überschüsse erwartet man,
und würde man auch ohne Zweifel erzielen, daß in der verderblichen Sozial¬
reform energisch weitergegangen werden könnte. Gegen die Sozialreform sind
wir aber keineswegs nnr, weil sie mit unsrer Doktrin in Widerspruch steht;
nein, uns leitet ein höheres, ein ethisches Motiv. Diese sogenannte Reform
zielt bekanntlich darauf ab, jeder Arbeit einen entsprechenden Lohn zu sichern,
auch den untersten Schichten der Bevölkerung die Bedingungen eines menschen¬
würdigen Daseins zu gewähren, die jetzt mit ihrem Geschicke unzufriedum zu
befriedigen, falls sie überhaupt vernünftige Menschen sind. Dazu dürfen wir
nie und nimmer die Hand bieten. Denn was wäre die unausbleibliche Folge?
Die mit ihrem Loose zufriedner würden vertrauensvoll die Leitung der öffent¬
lichen Angelegenheiten denen überlassen, welchen sie jenen Zustand verdankten,
sie würden ihrem Gewerbe nachgehen oder ihren Kohl pflanzen, ohne darnach
zu fragen, was wir dazu sagen, sie würden uns sogar die Gelegenheit nehmen,
etwas zu sagen, weil sie keinen von uns wählen würden. Die verblendeten
Menschen sehen zwar gewöhnlich nicht ein, daß das größte Unglück, welches
ihnen begegnen kann, die Zufriedenheit ist. Wenn sie ihr Brot haben und es
in Sicherheit nud Ruhe verzehren können, so ist's ihnen einerlei, in welchen
Fristen gewählt und ob das Budget alljährlich oder für zwei Jahre beraten
wird. Und darauf spekulirt diese Regierung! Aber noch sind wir da, noch
wachen wir, um unserm armen, gemißhandelten Volke die heilsame Unzufrieden¬
heit zu erhalten.

Ziehen Sie weiter in Betracht, wie viele Bürger polnisch-jüdischer Natio¬
nalität sich mit voller Hingebung dem Berufe weihen, dem Volke den nötigen
Spiritus einzuflößen, und daß diesen das Handwerk gelegt oder doch erschwert
werden soll, so werden Sie nicht umhin können, diesen Gesetzentwurf als ein
schmähliches Attentat auf die besten, edelsten Kräfte der deutschen Nation zu
erkennen.

Indessen wollen wir von alledem absehen, damit nicht etwa von Übel¬
wollenden uns vorgeworfen werden könne, wir trieben Interessenpolitik. Ich
brauche nur ein Wort auszusprechen, um den Anschlag der Regierung in seiner
ganzen Schwärze zu enthüllen: auch die Schuapsfrciheit soll uns geraubt, das
Scheidewasser des armen Mannes soll verdrängt, der Fusel geächtet werden!
Dahin ist es in Deutschland gekommen! Meine Herren, ich muß es Beredteren
überlassen, zu schildern, mit glühenden Farben zu malen die tiefe Erniedrigung


gicrung darauf gerichtet ist, die Volksfreiheit zu untergraben. Es ist ihre offen¬
kundige, ja ihre offen eiugesiaudue Absicht, durch das Monopol die Einnahmen
des Reiches mit den Ausgaben ins Gleichgewicht zu bringen, und was, wenn
das gelingen sollte, dann ans dem Parlamentarismus werden würde, das, meine
Herren, sagt sich jeder von Ihnen selbst. Somit nötigt uns der Selbsterhal¬
tungstrieb, jeden Vorschlag abzulehnen, welcher unsre Finanzen in Ordnung zu
bringen droht. Aber damit nicht genug! Auch solche Überschüsse erwartet man,
und würde man auch ohne Zweifel erzielen, daß in der verderblichen Sozial¬
reform energisch weitergegangen werden könnte. Gegen die Sozialreform sind
wir aber keineswegs nnr, weil sie mit unsrer Doktrin in Widerspruch steht;
nein, uns leitet ein höheres, ein ethisches Motiv. Diese sogenannte Reform
zielt bekanntlich darauf ab, jeder Arbeit einen entsprechenden Lohn zu sichern,
auch den untersten Schichten der Bevölkerung die Bedingungen eines menschen¬
würdigen Daseins zu gewähren, die jetzt mit ihrem Geschicke unzufriedum zu
befriedigen, falls sie überhaupt vernünftige Menschen sind. Dazu dürfen wir
nie und nimmer die Hand bieten. Denn was wäre die unausbleibliche Folge?
Die mit ihrem Loose zufriedner würden vertrauensvoll die Leitung der öffent¬
lichen Angelegenheiten denen überlassen, welchen sie jenen Zustand verdankten,
sie würden ihrem Gewerbe nachgehen oder ihren Kohl pflanzen, ohne darnach
zu fragen, was wir dazu sagen, sie würden uns sogar die Gelegenheit nehmen,
etwas zu sagen, weil sie keinen von uns wählen würden. Die verblendeten
Menschen sehen zwar gewöhnlich nicht ein, daß das größte Unglück, welches
ihnen begegnen kann, die Zufriedenheit ist. Wenn sie ihr Brot haben und es
in Sicherheit nud Ruhe verzehren können, so ist's ihnen einerlei, in welchen
Fristen gewählt und ob das Budget alljährlich oder für zwei Jahre beraten
wird. Und darauf spekulirt diese Regierung! Aber noch sind wir da, noch
wachen wir, um unserm armen, gemißhandelten Volke die heilsame Unzufrieden¬
heit zu erhalten.

Ziehen Sie weiter in Betracht, wie viele Bürger polnisch-jüdischer Natio¬
nalität sich mit voller Hingebung dem Berufe weihen, dem Volke den nötigen
Spiritus einzuflößen, und daß diesen das Handwerk gelegt oder doch erschwert
werden soll, so werden Sie nicht umhin können, diesen Gesetzentwurf als ein
schmähliches Attentat auf die besten, edelsten Kräfte der deutschen Nation zu
erkennen.

Indessen wollen wir von alledem absehen, damit nicht etwa von Übel¬
wollenden uns vorgeworfen werden könne, wir trieben Interessenpolitik. Ich
brauche nur ein Wort auszusprechen, um den Anschlag der Regierung in seiner
ganzen Schwärze zu enthüllen: auch die Schuapsfrciheit soll uns geraubt, das
Scheidewasser des armen Mannes soll verdrängt, der Fusel geächtet werden!
Dahin ist es in Deutschland gekommen! Meine Herren, ich muß es Beredteren
überlassen, zu schildern, mit glühenden Farben zu malen die tiefe Erniedrigung


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[0187] gicrung darauf gerichtet ist, die Volksfreiheit zu untergraben. Es ist ihre offen¬ kundige, ja ihre offen eiugesiaudue Absicht, durch das Monopol die Einnahmen des Reiches mit den Ausgaben ins Gleichgewicht zu bringen, und was, wenn das gelingen sollte, dann ans dem Parlamentarismus werden würde, das, meine Herren, sagt sich jeder von Ihnen selbst. Somit nötigt uns der Selbsterhal¬ tungstrieb, jeden Vorschlag abzulehnen, welcher unsre Finanzen in Ordnung zu bringen droht. Aber damit nicht genug! Auch solche Überschüsse erwartet man, und würde man auch ohne Zweifel erzielen, daß in der verderblichen Sozial¬ reform energisch weitergegangen werden könnte. Gegen die Sozialreform sind wir aber keineswegs nnr, weil sie mit unsrer Doktrin in Widerspruch steht; nein, uns leitet ein höheres, ein ethisches Motiv. Diese sogenannte Reform zielt bekanntlich darauf ab, jeder Arbeit einen entsprechenden Lohn zu sichern, auch den untersten Schichten der Bevölkerung die Bedingungen eines menschen¬ würdigen Daseins zu gewähren, die jetzt mit ihrem Geschicke unzufriedum zu befriedigen, falls sie überhaupt vernünftige Menschen sind. Dazu dürfen wir nie und nimmer die Hand bieten. Denn was wäre die unausbleibliche Folge? Die mit ihrem Loose zufriedner würden vertrauensvoll die Leitung der öffent¬ lichen Angelegenheiten denen überlassen, welchen sie jenen Zustand verdankten, sie würden ihrem Gewerbe nachgehen oder ihren Kohl pflanzen, ohne darnach zu fragen, was wir dazu sagen, sie würden uns sogar die Gelegenheit nehmen, etwas zu sagen, weil sie keinen von uns wählen würden. Die verblendeten Menschen sehen zwar gewöhnlich nicht ein, daß das größte Unglück, welches ihnen begegnen kann, die Zufriedenheit ist. Wenn sie ihr Brot haben und es in Sicherheit nud Ruhe verzehren können, so ist's ihnen einerlei, in welchen Fristen gewählt und ob das Budget alljährlich oder für zwei Jahre beraten wird. Und darauf spekulirt diese Regierung! Aber noch sind wir da, noch wachen wir, um unserm armen, gemißhandelten Volke die heilsame Unzufrieden¬ heit zu erhalten. Ziehen Sie weiter in Betracht, wie viele Bürger polnisch-jüdischer Natio¬ nalität sich mit voller Hingebung dem Berufe weihen, dem Volke den nötigen Spiritus einzuflößen, und daß diesen das Handwerk gelegt oder doch erschwert werden soll, so werden Sie nicht umhin können, diesen Gesetzentwurf als ein schmähliches Attentat auf die besten, edelsten Kräfte der deutschen Nation zu erkennen. Indessen wollen wir von alledem absehen, damit nicht etwa von Übel¬ wollenden uns vorgeworfen werden könne, wir trieben Interessenpolitik. Ich brauche nur ein Wort auszusprechen, um den Anschlag der Regierung in seiner ganzen Schwärze zu enthüllen: auch die Schuapsfrciheit soll uns geraubt, das Scheidewasser des armen Mannes soll verdrängt, der Fusel geächtet werden! Dahin ist es in Deutschland gekommen! Meine Herren, ich muß es Beredteren überlassen, zu schildern, mit glühenden Farben zu malen die tiefe Erniedrigung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/187>, abgerufen am 05.02.2025.