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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Das Jubiläuni des Kaisers.

befindet sich in der Notwendigkeit, den Staatshaushalt ohne die in der Ver¬
fassung vorausgesetzte Unterlage führen zu müssen. Sie ist sich der Verant¬
wortlichkeit in vollem Maße bewußt, die ihr aus diesen beklagenswerten Zustande
erwächst, sie ist aber ebenso der Pflichten eingedenk, welche ihr gegen das Land
obliegen, und findet darin die Ermächtigung, bis zur gesetzlichen Feststellung des
Etats die Ausgabe" zu bestreikn, welche zur Erhaltung der bestehenden Staats¬
einrichtungen und zur Förderung der Landeswohlfahrt notwendig sind, indem sie
die Zuversicht hegt, daß dieselben seiner Zeit die nachträgliche Genehmigung er¬
halten werden. Sie ist von der Überzeugung durchdrungen, daß eine gedeihliche
Entwicklung unsrer Verfassungsverhältnisse nur dann erfolgen kann, wenn jede
der gesetzlichen Gewalten ihre Befugnisse mit derjenigen Selbstbeschränkung
ausübt, welche durch die Achtung der gegenüberstehenden Rechte und durch das
verfassungsmäßige Erfordernis der freien Übereinstimmung der Krone und eines
jeden der beiden Häuser des Landtages geboten ist."

Die Mehrheit des Abgeordnetenhauses ließ sich davon nicht überzeugen,
sie erkannte nur das Recht der einen von den drei Gewalten, ihr Recht an, sie
glaubte damit dem Könige andre Minister aufzwinge" zu können, und versuchte
zu dem Zwecke die Regierung in ihrer Politik nach Möglichkeit zu hindern.
Aber der König hielt, so sehr der Konflikt mit seinen Folgen für die Stimmung
eines großen Teiles der Bevölkerung sein Herz traf, fest an seinem Rechte und
seinen Räten, den Verteidigern dieses Rechtes, und für die preußische Politik,
für den Sieg der deutschen Idee, für welche die Opposition in ihrer blinden
Rechthaberei nur Worte hatte, gegen welche sie sogar Beschlüsse faßte, war dies
ein Glück. Die Festigkeit des Königs und seines ersten Ministers in diesem
Streite haben Preußen und mit ihm Deutschland groß gemacht. Der von der
Opposition erstrebte Parlamentarismus Hütte, wenn es ihm gelungen wäre, die
Oberhand zu gewinnen, das Gegenteil herbeigeführt. Hätte König Wilhelm
1860 bis 1866 sich gezwungen gesehen, seinen Wille" dem der Majorität des
Abgeordnetenhauses unterzuordnen und mit Ministern aus der Mitte dieser
Majorität zu regieren, so wäre die Umbildung der Armee unterblieben; denn
diese liberale Mehrheit begriff die Notwendigkeit derselben für die Verwirklichung
der deutschen Einigung nicht. Eine zweite Folge des zur Geltung gelangten
Parlamentarismus wäre gewesen, daß der König durch seine Regierung die
polnischen Rebellen von 1863 im Sinne jener Majorität ermutigt und unter¬
stützt und sich dadurch Rußland entfremdet hätte, dessen Wohlwollen Preußen
für seine Pläne in Deutschland dringend bedürfte. Endlich würde man 1864
in der Schleswig-holsteinischen Angelegenheit sich, wie das Abgeordnetenhaus
wollte, in die Dienste des Bundestages begeben und eine Bundesexekution mit
preußischen Mitteln vollzogen haben; die gemeinsame Operation mit Osterreich
wäre unterlassen worden, und Preußen wäre ohne diese der Maßregelung durch
die übrigen Großmächte verfalle", die Herzogtümer würden dann unter dänischer


Das Jubiläuni des Kaisers.

befindet sich in der Notwendigkeit, den Staatshaushalt ohne die in der Ver¬
fassung vorausgesetzte Unterlage führen zu müssen. Sie ist sich der Verant¬
wortlichkeit in vollem Maße bewußt, die ihr aus diesen beklagenswerten Zustande
erwächst, sie ist aber ebenso der Pflichten eingedenk, welche ihr gegen das Land
obliegen, und findet darin die Ermächtigung, bis zur gesetzlichen Feststellung des
Etats die Ausgabe» zu bestreikn, welche zur Erhaltung der bestehenden Staats¬
einrichtungen und zur Förderung der Landeswohlfahrt notwendig sind, indem sie
die Zuversicht hegt, daß dieselben seiner Zeit die nachträgliche Genehmigung er¬
halten werden. Sie ist von der Überzeugung durchdrungen, daß eine gedeihliche
Entwicklung unsrer Verfassungsverhältnisse nur dann erfolgen kann, wenn jede
der gesetzlichen Gewalten ihre Befugnisse mit derjenigen Selbstbeschränkung
ausübt, welche durch die Achtung der gegenüberstehenden Rechte und durch das
verfassungsmäßige Erfordernis der freien Übereinstimmung der Krone und eines
jeden der beiden Häuser des Landtages geboten ist."

Die Mehrheit des Abgeordnetenhauses ließ sich davon nicht überzeugen,
sie erkannte nur das Recht der einen von den drei Gewalten, ihr Recht an, sie
glaubte damit dem Könige andre Minister aufzwinge» zu können, und versuchte
zu dem Zwecke die Regierung in ihrer Politik nach Möglichkeit zu hindern.
Aber der König hielt, so sehr der Konflikt mit seinen Folgen für die Stimmung
eines großen Teiles der Bevölkerung sein Herz traf, fest an seinem Rechte und
seinen Räten, den Verteidigern dieses Rechtes, und für die preußische Politik,
für den Sieg der deutschen Idee, für welche die Opposition in ihrer blinden
Rechthaberei nur Worte hatte, gegen welche sie sogar Beschlüsse faßte, war dies
ein Glück. Die Festigkeit des Königs und seines ersten Ministers in diesem
Streite haben Preußen und mit ihm Deutschland groß gemacht. Der von der
Opposition erstrebte Parlamentarismus Hütte, wenn es ihm gelungen wäre, die
Oberhand zu gewinnen, das Gegenteil herbeigeführt. Hätte König Wilhelm
1860 bis 1866 sich gezwungen gesehen, seinen Wille» dem der Majorität des
Abgeordnetenhauses unterzuordnen und mit Ministern aus der Mitte dieser
Majorität zu regieren, so wäre die Umbildung der Armee unterblieben; denn
diese liberale Mehrheit begriff die Notwendigkeit derselben für die Verwirklichung
der deutschen Einigung nicht. Eine zweite Folge des zur Geltung gelangten
Parlamentarismus wäre gewesen, daß der König durch seine Regierung die
polnischen Rebellen von 1863 im Sinne jener Majorität ermutigt und unter¬
stützt und sich dadurch Rußland entfremdet hätte, dessen Wohlwollen Preußen
für seine Pläne in Deutschland dringend bedürfte. Endlich würde man 1864
in der Schleswig-holsteinischen Angelegenheit sich, wie das Abgeordnetenhaus
wollte, in die Dienste des Bundestages begeben und eine Bundesexekution mit
preußischen Mitteln vollzogen haben; die gemeinsame Operation mit Osterreich
wäre unterlassen worden, und Preußen wäre ohne diese der Maßregelung durch
die übrigen Großmächte verfalle», die Herzogtümer würden dann unter dänischer


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[0014] Das Jubiläuni des Kaisers. befindet sich in der Notwendigkeit, den Staatshaushalt ohne die in der Ver¬ fassung vorausgesetzte Unterlage führen zu müssen. Sie ist sich der Verant¬ wortlichkeit in vollem Maße bewußt, die ihr aus diesen beklagenswerten Zustande erwächst, sie ist aber ebenso der Pflichten eingedenk, welche ihr gegen das Land obliegen, und findet darin die Ermächtigung, bis zur gesetzlichen Feststellung des Etats die Ausgabe» zu bestreikn, welche zur Erhaltung der bestehenden Staats¬ einrichtungen und zur Förderung der Landeswohlfahrt notwendig sind, indem sie die Zuversicht hegt, daß dieselben seiner Zeit die nachträgliche Genehmigung er¬ halten werden. Sie ist von der Überzeugung durchdrungen, daß eine gedeihliche Entwicklung unsrer Verfassungsverhältnisse nur dann erfolgen kann, wenn jede der gesetzlichen Gewalten ihre Befugnisse mit derjenigen Selbstbeschränkung ausübt, welche durch die Achtung der gegenüberstehenden Rechte und durch das verfassungsmäßige Erfordernis der freien Übereinstimmung der Krone und eines jeden der beiden Häuser des Landtages geboten ist." Die Mehrheit des Abgeordnetenhauses ließ sich davon nicht überzeugen, sie erkannte nur das Recht der einen von den drei Gewalten, ihr Recht an, sie glaubte damit dem Könige andre Minister aufzwinge» zu können, und versuchte zu dem Zwecke die Regierung in ihrer Politik nach Möglichkeit zu hindern. Aber der König hielt, so sehr der Konflikt mit seinen Folgen für die Stimmung eines großen Teiles der Bevölkerung sein Herz traf, fest an seinem Rechte und seinen Räten, den Verteidigern dieses Rechtes, und für die preußische Politik, für den Sieg der deutschen Idee, für welche die Opposition in ihrer blinden Rechthaberei nur Worte hatte, gegen welche sie sogar Beschlüsse faßte, war dies ein Glück. Die Festigkeit des Königs und seines ersten Ministers in diesem Streite haben Preußen und mit ihm Deutschland groß gemacht. Der von der Opposition erstrebte Parlamentarismus Hütte, wenn es ihm gelungen wäre, die Oberhand zu gewinnen, das Gegenteil herbeigeführt. Hätte König Wilhelm 1860 bis 1866 sich gezwungen gesehen, seinen Wille» dem der Majorität des Abgeordnetenhauses unterzuordnen und mit Ministern aus der Mitte dieser Majorität zu regieren, so wäre die Umbildung der Armee unterblieben; denn diese liberale Mehrheit begriff die Notwendigkeit derselben für die Verwirklichung der deutschen Einigung nicht. Eine zweite Folge des zur Geltung gelangten Parlamentarismus wäre gewesen, daß der König durch seine Regierung die polnischen Rebellen von 1863 im Sinne jener Majorität ermutigt und unter¬ stützt und sich dadurch Rußland entfremdet hätte, dessen Wohlwollen Preußen für seine Pläne in Deutschland dringend bedürfte. Endlich würde man 1864 in der Schleswig-holsteinischen Angelegenheit sich, wie das Abgeordnetenhaus wollte, in die Dienste des Bundestages begeben und eine Bundesexekution mit preußischen Mitteln vollzogen haben; die gemeinsame Operation mit Osterreich wäre unterlassen worden, und Preußen wäre ohne diese der Maßregelung durch die übrigen Großmächte verfalle», die Herzogtümer würden dann unter dänischer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/14>, abgerufen am 05.02.2025.