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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Wenn man einen Levantiner fragt, was er für ein Landsmann sei, so hört
man oft die Antwort, er sei "Katholik/' In dieser konfessionellen Beschränkung
und Beschränktheit drückt sich der einseitige und engherzige Standpunkt der
ganzen Spezies sprechend aus, Sie ersetzt durch Bigotterie, was ihr an
Patriotismus abgeht, die Frauen natürlich obenan, aber auch die Männer sind
nichts weniger als frei davon. Der Einfluß der Priester in den Familien
dürfte nirgends mächtiger sein, ich kenne dies aus eigner Erfahrung, Als ich
mich vor neunundzwanzig Jahren in Smyrna verheiratete, war der Erzbischof
durch leine Mittel und Wege dahin zu bringen, anch nur durch passive Assistenz
seine Zustimmung zu einer gemischten Ehe zu geben. Es bestand damals noch
keine Ziviltrauung, und so blieb keine andre Wahl, als sich mit der Einsegnung
durch den protestantischen Geistlichen zu begnügen. Die Braut wurde extom-
munizirt, und es hat Jahre gekostet und große Anstrengungen der darob
höchst bekümmerten Verwandten, bis der Bann gelöst wurde. Jetzt kommt man
etwas leichter darüber weg, weil nach allgemeiner Einführung der Zivilehe der
Klerus fürchtet, es könne bei allzuweit getriebener Intoleranz der Segen der
Kirche ganz beiseite gesetzt werden.

Die römisch-katholische Kirche steht in der Levante unter dem politischen
Schutze Österreichs und Frankreichs. Besonders letzteres hat die Suprematie
so ziemlich in den Händen, von den meisten Kirchen wehen die blaurotweißen
Flaggen, wogegen das schwarzgelb oder das Weißrotgrün, in das es sich jetzt durch
Ungarns Zutritt verwandelt hat, sehr zurücktritt. Italien als politische Macht
gilt für die Kirche so gut wie nicht und gegenwärtig umso weniger, als der Vatikan
in der Fremde gegen den Anspruch des Quiriuals mit mehr Erfolg operirt
als im eignen Hause. Er hat kaum irgendwo eifrigere Bekenner und Partei¬
gänger als die levantiner Katholiken, und es ist eine bemerkenswerte, nicht hinläng¬
lich gewürdigte Tatsache, wie dasselbe Frankreich, welches bei sich so streng und
rücksichtslos gegen den Klerus auftritt, alle Orden aufgelöst und vom öffent¬
lichen Unterricht ausgeschlossen hat, dieselben im Orient systematisch unter¬
stützt und zur Propaganda, wenn auch uicht für die republikanische Staats¬
form, so doch für seine nationalen und politischen Zwecke und Absichten benutzt.
Bis zum Krimkrieg war Italienisch die herrschende Sprache längs der ganzen
nördlichen und östlichen Küste des Mittelmeeres, jetzt ist es dnrch Französisch
verdrängt. Es giebt nur wenige und zwar höchst mangelhaft bestellte italienische
Schulen, wogegen die ?rvrö8 ig'Q0Mirt,in8 und die Lozm'8 Ah Lion überall reich
dotirte und vollständig eingerichtete Anstalten begründet und so die Erziehung
der männlichen und weiblichen Jugend an sich gerissen haben. Die liberalen
oder gar radikalen Grundsätze der heutigen Machthaber werden da allerdings
uicht gelehrt, umsomehr aber von monarchisch-klerikale!? Gesinnungen durch¬
drungene Sympathien für Frankreich als die katholische Schntzmacht genährt und
die gesamte katholische Bevölkerung der Levante daran gewöhnt, von dort all ihr


Grenzboten I. 1836. 17

Wenn man einen Levantiner fragt, was er für ein Landsmann sei, so hört
man oft die Antwort, er sei „Katholik/' In dieser konfessionellen Beschränkung
und Beschränktheit drückt sich der einseitige und engherzige Standpunkt der
ganzen Spezies sprechend aus, Sie ersetzt durch Bigotterie, was ihr an
Patriotismus abgeht, die Frauen natürlich obenan, aber auch die Männer sind
nichts weniger als frei davon. Der Einfluß der Priester in den Familien
dürfte nirgends mächtiger sein, ich kenne dies aus eigner Erfahrung, Als ich
mich vor neunundzwanzig Jahren in Smyrna verheiratete, war der Erzbischof
durch leine Mittel und Wege dahin zu bringen, anch nur durch passive Assistenz
seine Zustimmung zu einer gemischten Ehe zu geben. Es bestand damals noch
keine Ziviltrauung, und so blieb keine andre Wahl, als sich mit der Einsegnung
durch den protestantischen Geistlichen zu begnügen. Die Braut wurde extom-
munizirt, und es hat Jahre gekostet und große Anstrengungen der darob
höchst bekümmerten Verwandten, bis der Bann gelöst wurde. Jetzt kommt man
etwas leichter darüber weg, weil nach allgemeiner Einführung der Zivilehe der
Klerus fürchtet, es könne bei allzuweit getriebener Intoleranz der Segen der
Kirche ganz beiseite gesetzt werden.

Die römisch-katholische Kirche steht in der Levante unter dem politischen
Schutze Österreichs und Frankreichs. Besonders letzteres hat die Suprematie
so ziemlich in den Händen, von den meisten Kirchen wehen die blaurotweißen
Flaggen, wogegen das schwarzgelb oder das Weißrotgrün, in das es sich jetzt durch
Ungarns Zutritt verwandelt hat, sehr zurücktritt. Italien als politische Macht
gilt für die Kirche so gut wie nicht und gegenwärtig umso weniger, als der Vatikan
in der Fremde gegen den Anspruch des Quiriuals mit mehr Erfolg operirt
als im eignen Hause. Er hat kaum irgendwo eifrigere Bekenner und Partei¬
gänger als die levantiner Katholiken, und es ist eine bemerkenswerte, nicht hinläng¬
lich gewürdigte Tatsache, wie dasselbe Frankreich, welches bei sich so streng und
rücksichtslos gegen den Klerus auftritt, alle Orden aufgelöst und vom öffent¬
lichen Unterricht ausgeschlossen hat, dieselben im Orient systematisch unter¬
stützt und zur Propaganda, wenn auch uicht für die republikanische Staats¬
form, so doch für seine nationalen und politischen Zwecke und Absichten benutzt.
Bis zum Krimkrieg war Italienisch die herrschende Sprache längs der ganzen
nördlichen und östlichen Küste des Mittelmeeres, jetzt ist es dnrch Französisch
verdrängt. Es giebt nur wenige und zwar höchst mangelhaft bestellte italienische
Schulen, wogegen die ?rvrö8 ig'Q0Mirt,in8 und die Lozm'8 Ah Lion überall reich
dotirte und vollständig eingerichtete Anstalten begründet und so die Erziehung
der männlichen und weiblichen Jugend an sich gerissen haben. Die liberalen
oder gar radikalen Grundsätze der heutigen Machthaber werden da allerdings
uicht gelehrt, umsomehr aber von monarchisch-klerikale!? Gesinnungen durch¬
drungene Sympathien für Frankreich als die katholische Schntzmacht genährt und
die gesamte katholische Bevölkerung der Levante daran gewöhnt, von dort all ihr


Grenzboten I. 1836. 17
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[0137] Wenn man einen Levantiner fragt, was er für ein Landsmann sei, so hört man oft die Antwort, er sei „Katholik/' In dieser konfessionellen Beschränkung und Beschränktheit drückt sich der einseitige und engherzige Standpunkt der ganzen Spezies sprechend aus, Sie ersetzt durch Bigotterie, was ihr an Patriotismus abgeht, die Frauen natürlich obenan, aber auch die Männer sind nichts weniger als frei davon. Der Einfluß der Priester in den Familien dürfte nirgends mächtiger sein, ich kenne dies aus eigner Erfahrung, Als ich mich vor neunundzwanzig Jahren in Smyrna verheiratete, war der Erzbischof durch leine Mittel und Wege dahin zu bringen, anch nur durch passive Assistenz seine Zustimmung zu einer gemischten Ehe zu geben. Es bestand damals noch keine Ziviltrauung, und so blieb keine andre Wahl, als sich mit der Einsegnung durch den protestantischen Geistlichen zu begnügen. Die Braut wurde extom- munizirt, und es hat Jahre gekostet und große Anstrengungen der darob höchst bekümmerten Verwandten, bis der Bann gelöst wurde. Jetzt kommt man etwas leichter darüber weg, weil nach allgemeiner Einführung der Zivilehe der Klerus fürchtet, es könne bei allzuweit getriebener Intoleranz der Segen der Kirche ganz beiseite gesetzt werden. Die römisch-katholische Kirche steht in der Levante unter dem politischen Schutze Österreichs und Frankreichs. Besonders letzteres hat die Suprematie so ziemlich in den Händen, von den meisten Kirchen wehen die blaurotweißen Flaggen, wogegen das schwarzgelb oder das Weißrotgrün, in das es sich jetzt durch Ungarns Zutritt verwandelt hat, sehr zurücktritt. Italien als politische Macht gilt für die Kirche so gut wie nicht und gegenwärtig umso weniger, als der Vatikan in der Fremde gegen den Anspruch des Quiriuals mit mehr Erfolg operirt als im eignen Hause. Er hat kaum irgendwo eifrigere Bekenner und Partei¬ gänger als die levantiner Katholiken, und es ist eine bemerkenswerte, nicht hinläng¬ lich gewürdigte Tatsache, wie dasselbe Frankreich, welches bei sich so streng und rücksichtslos gegen den Klerus auftritt, alle Orden aufgelöst und vom öffent¬ lichen Unterricht ausgeschlossen hat, dieselben im Orient systematisch unter¬ stützt und zur Propaganda, wenn auch uicht für die republikanische Staats¬ form, so doch für seine nationalen und politischen Zwecke und Absichten benutzt. Bis zum Krimkrieg war Italienisch die herrschende Sprache längs der ganzen nördlichen und östlichen Küste des Mittelmeeres, jetzt ist es dnrch Französisch verdrängt. Es giebt nur wenige und zwar höchst mangelhaft bestellte italienische Schulen, wogegen die ?rvrö8 ig'Q0Mirt,in8 und die Lozm'8 Ah Lion überall reich dotirte und vollständig eingerichtete Anstalten begründet und so die Erziehung der männlichen und weiblichen Jugend an sich gerissen haben. Die liberalen oder gar radikalen Grundsätze der heutigen Machthaber werden da allerdings uicht gelehrt, umsomehr aber von monarchisch-klerikale!? Gesinnungen durch¬ drungene Sympathien für Frankreich als die katholische Schntzmacht genährt und die gesamte katholische Bevölkerung der Levante daran gewöhnt, von dort all ihr Grenzboten I. 1836. 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/137>, abgerufen am 05.02.2025.