Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

haft tapfrer Mann im ganzen geblieben, würde es auch seinem Biographen
schlecht anstehen, wenn dieser nur der Schattenseiten in Herders Lebensverhält¬
nissen gedächte. Und namentlich wird Heiden dem höchsten und seltensten Glücke,
das Herder zuteil ward, dem Glücke in seiner Ehe gerecht, "Von der innigen
Gemeinschaft, in der er mit seiner Gattin lebte, haben die früheren Blätter
dieser Biographie geredet, müssen insbesondre diese letzten reden. Mit aller
Stärke der Liebe, deren nnr das Weib fähig ist, und mit all der leidenschaft¬
lichen Schwäche, die wieder nnr dem Weibe verziehen werden darf, umfaßte
und trug sie ihn, ganz wie er war, den Liebenswürdigen so gut wie den Un¬
leidlichen, während sie zugleich mit fast männlichem Geiste zu seinen Ideen sich
zu erheben, in seine Entwürfe und Interessen einzugehen verstand, Glenn hatte
Recht: wenn Kawline Herder nicht wäre, so wäre kein Johann Gottfried Herder,
Sie war Mitarbeiterin an seinen literarischen Arbeiten, seine erste Hörerin und
Leserin, sei" Korrektor, sein Sekretär, Sie nahm ihr Teil an seineu Ent¬
zückungen und Begeisterungen, doppelt ihr Teil an seinen Aufwallungen und
Verbitterungen, Ohne Vorbehalt waren seine Gesinnungen, im Lieben wie im
Hassen, die ihrigen, und nur von den äußerlichen Nöten, die sich herandrängten
behielt sie die drückendsten sich allein vor, Sie war mit ihm gealtert. Seit
der Geburt ihres Jüngsten hatte ihre Gesundheit empfindlich gelitten, und müh¬
samer von Jahr zu Jahr hielt sie sich nnter den wachsenden Anforderungen
ihres Hauswesens, unter häufigem Krankendienst, nnter dem Kampfe mit den
äußern Bedürfnissen des Lebens, den schweren Sorgen um die Erziehung der
Kinder aufrecht. Allein so gerade, indem sie "wie eine Schnecke ihr Haus trug"
und selbst krank, seine Krankheit verstand, mit selbst verwundeten Gemüte seinen
Unwillen in gesteigerter Empfindung zu dem ihren machte, war sie ihm die beste
Gefährtin: -- nicht durch Sanftmut, sondern durch Mitleidenschaft seine Be-
sünftigerin, Trösterin, eine Freundin, mit der kein Freund hätte wetteifern
können!" (Bd, 2, S. 746,) Alles in allem, tragen wir aus dein umfassenden
Werke den ernsten Eindruck eines ernste" Lebens davon und fühlen uns gestimmt,
mit den? Verfasser den Spuren des Herderschen Wirkens auf den verschiednen
Gebieten nachzugehen und uns des Reichstums seiner geistigen Schöpfungen
und Anregungen neu zu versichern.

Meisterhaft sind zum größten Teil die Analysen, welche Haym von Herders
Arbeiten giebt. Bis in den letzten Jdeentern des Verfassers hinein weiß er zu
folgen, und wo er mit scharfer Kritik die Mängel der Jugendschriften und der
Herderschen Alterswerke darlegt, da entwickelt er umso liebevoller und licht¬
voller den selbständigen Gehalt, die Gedankenfülle, welche diesen Büchern und
Aufsätzen eigentümlich ist. Wer z, B, die Besprechung der Bückeburger "Auch
eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit" im ersten Bande
oder der "Metakritik" und der "Knlligvne" im zweiten Bande aufmerksam folgt,
der wird empfinden, daß niemand freier vom l'uror d1oZraMou8, aber auch


haft tapfrer Mann im ganzen geblieben, würde es auch seinem Biographen
schlecht anstehen, wenn dieser nur der Schattenseiten in Herders Lebensverhält¬
nissen gedächte. Und namentlich wird Heiden dem höchsten und seltensten Glücke,
das Herder zuteil ward, dem Glücke in seiner Ehe gerecht, „Von der innigen
Gemeinschaft, in der er mit seiner Gattin lebte, haben die früheren Blätter
dieser Biographie geredet, müssen insbesondre diese letzten reden. Mit aller
Stärke der Liebe, deren nnr das Weib fähig ist, und mit all der leidenschaft¬
lichen Schwäche, die wieder nnr dem Weibe verziehen werden darf, umfaßte
und trug sie ihn, ganz wie er war, den Liebenswürdigen so gut wie den Un¬
leidlichen, während sie zugleich mit fast männlichem Geiste zu seinen Ideen sich
zu erheben, in seine Entwürfe und Interessen einzugehen verstand, Glenn hatte
Recht: wenn Kawline Herder nicht wäre, so wäre kein Johann Gottfried Herder,
Sie war Mitarbeiterin an seinen literarischen Arbeiten, seine erste Hörerin und
Leserin, sei» Korrektor, sein Sekretär, Sie nahm ihr Teil an seineu Ent¬
zückungen und Begeisterungen, doppelt ihr Teil an seinen Aufwallungen und
Verbitterungen, Ohne Vorbehalt waren seine Gesinnungen, im Lieben wie im
Hassen, die ihrigen, und nur von den äußerlichen Nöten, die sich herandrängten
behielt sie die drückendsten sich allein vor, Sie war mit ihm gealtert. Seit
der Geburt ihres Jüngsten hatte ihre Gesundheit empfindlich gelitten, und müh¬
samer von Jahr zu Jahr hielt sie sich nnter den wachsenden Anforderungen
ihres Hauswesens, unter häufigem Krankendienst, nnter dem Kampfe mit den
äußern Bedürfnissen des Lebens, den schweren Sorgen um die Erziehung der
Kinder aufrecht. Allein so gerade, indem sie »wie eine Schnecke ihr Haus trug«
und selbst krank, seine Krankheit verstand, mit selbst verwundeten Gemüte seinen
Unwillen in gesteigerter Empfindung zu dem ihren machte, war sie ihm die beste
Gefährtin: — nicht durch Sanftmut, sondern durch Mitleidenschaft seine Be-
sünftigerin, Trösterin, eine Freundin, mit der kein Freund hätte wetteifern
können!" (Bd, 2, S. 746,) Alles in allem, tragen wir aus dein umfassenden
Werke den ernsten Eindruck eines ernste» Lebens davon und fühlen uns gestimmt,
mit den? Verfasser den Spuren des Herderschen Wirkens auf den verschiednen
Gebieten nachzugehen und uns des Reichstums seiner geistigen Schöpfungen
und Anregungen neu zu versichern.

Meisterhaft sind zum größten Teil die Analysen, welche Haym von Herders
Arbeiten giebt. Bis in den letzten Jdeentern des Verfassers hinein weiß er zu
folgen, und wo er mit scharfer Kritik die Mängel der Jugendschriften und der
Herderschen Alterswerke darlegt, da entwickelt er umso liebevoller und licht¬
voller den selbständigen Gehalt, die Gedankenfülle, welche diesen Büchern und
Aufsätzen eigentümlich ist. Wer z, B, die Besprechung der Bückeburger „Auch
eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit" im ersten Bande
oder der „Metakritik" und der „Knlligvne" im zweiten Bande aufmerksam folgt,
der wird empfinden, daß niemand freier vom l'uror d1oZraMou8, aber auch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0133" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197557"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_385" prev="#ID_384"> haft tapfrer Mann im ganzen geblieben, würde es auch seinem Biographen<lb/>
schlecht anstehen, wenn dieser nur der Schattenseiten in Herders Lebensverhält¬<lb/>
nissen gedächte. Und namentlich wird Heiden dem höchsten und seltensten Glücke,<lb/>
das Herder zuteil ward, dem Glücke in seiner Ehe gerecht, &#x201E;Von der innigen<lb/>
Gemeinschaft, in der er mit seiner Gattin lebte, haben die früheren Blätter<lb/>
dieser Biographie geredet, müssen insbesondre diese letzten reden. Mit aller<lb/>
Stärke der Liebe, deren nnr das Weib fähig ist, und mit all der leidenschaft¬<lb/>
lichen Schwäche, die wieder nnr dem Weibe verziehen werden darf, umfaßte<lb/>
und trug sie ihn, ganz wie er war, den Liebenswürdigen so gut wie den Un¬<lb/>
leidlichen, während sie zugleich mit fast männlichem Geiste zu seinen Ideen sich<lb/>
zu erheben, in seine Entwürfe und Interessen einzugehen verstand, Glenn hatte<lb/>
Recht: wenn Kawline Herder nicht wäre, so wäre kein Johann Gottfried Herder,<lb/>
Sie war Mitarbeiterin an seinen literarischen Arbeiten, seine erste Hörerin und<lb/>
Leserin, sei» Korrektor, sein Sekretär, Sie nahm ihr Teil an seineu Ent¬<lb/>
zückungen und Begeisterungen, doppelt ihr Teil an seinen Aufwallungen und<lb/>
Verbitterungen, Ohne Vorbehalt waren seine Gesinnungen, im Lieben wie im<lb/>
Hassen, die ihrigen, und nur von den äußerlichen Nöten, die sich herandrängten<lb/>
behielt sie die drückendsten sich allein vor, Sie war mit ihm gealtert. Seit<lb/>
der Geburt ihres Jüngsten hatte ihre Gesundheit empfindlich gelitten, und müh¬<lb/>
samer von Jahr zu Jahr hielt sie sich nnter den wachsenden Anforderungen<lb/>
ihres Hauswesens, unter häufigem Krankendienst, nnter dem Kampfe mit den<lb/>
äußern Bedürfnissen des Lebens, den schweren Sorgen um die Erziehung der<lb/>
Kinder aufrecht. Allein so gerade, indem sie »wie eine Schnecke ihr Haus trug«<lb/>
und selbst krank, seine Krankheit verstand, mit selbst verwundeten Gemüte seinen<lb/>
Unwillen in gesteigerter Empfindung zu dem ihren machte, war sie ihm die beste<lb/>
Gefährtin: &#x2014; nicht durch Sanftmut, sondern durch Mitleidenschaft seine Be-<lb/>
sünftigerin, Trösterin, eine Freundin, mit der kein Freund hätte wetteifern<lb/>
können!" (Bd, 2, S. 746,) Alles in allem, tragen wir aus dein umfassenden<lb/>
Werke den ernsten Eindruck eines ernste» Lebens davon und fühlen uns gestimmt,<lb/>
mit den? Verfasser den Spuren des Herderschen Wirkens auf den verschiednen<lb/>
Gebieten nachzugehen und uns des Reichstums seiner geistigen Schöpfungen<lb/>
und Anregungen neu zu versichern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_386" next="#ID_387"> Meisterhaft sind zum größten Teil die Analysen, welche Haym von Herders<lb/>
Arbeiten giebt. Bis in den letzten Jdeentern des Verfassers hinein weiß er zu<lb/>
folgen, und wo er mit scharfer Kritik die Mängel der Jugendschriften und der<lb/>
Herderschen Alterswerke darlegt, da entwickelt er umso liebevoller und licht¬<lb/>
voller den selbständigen Gehalt, die Gedankenfülle, welche diesen Büchern und<lb/>
Aufsätzen eigentümlich ist. Wer z, B, die Besprechung der Bückeburger &#x201E;Auch<lb/>
eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit" im ersten Bande<lb/>
oder der &#x201E;Metakritik" und der &#x201E;Knlligvne" im zweiten Bande aufmerksam folgt,<lb/>
der wird empfinden, daß niemand freier vom l'uror d1oZraMou8, aber auch</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0133] haft tapfrer Mann im ganzen geblieben, würde es auch seinem Biographen schlecht anstehen, wenn dieser nur der Schattenseiten in Herders Lebensverhält¬ nissen gedächte. Und namentlich wird Heiden dem höchsten und seltensten Glücke, das Herder zuteil ward, dem Glücke in seiner Ehe gerecht, „Von der innigen Gemeinschaft, in der er mit seiner Gattin lebte, haben die früheren Blätter dieser Biographie geredet, müssen insbesondre diese letzten reden. Mit aller Stärke der Liebe, deren nnr das Weib fähig ist, und mit all der leidenschaft¬ lichen Schwäche, die wieder nnr dem Weibe verziehen werden darf, umfaßte und trug sie ihn, ganz wie er war, den Liebenswürdigen so gut wie den Un¬ leidlichen, während sie zugleich mit fast männlichem Geiste zu seinen Ideen sich zu erheben, in seine Entwürfe und Interessen einzugehen verstand, Glenn hatte Recht: wenn Kawline Herder nicht wäre, so wäre kein Johann Gottfried Herder, Sie war Mitarbeiterin an seinen literarischen Arbeiten, seine erste Hörerin und Leserin, sei» Korrektor, sein Sekretär, Sie nahm ihr Teil an seineu Ent¬ zückungen und Begeisterungen, doppelt ihr Teil an seinen Aufwallungen und Verbitterungen, Ohne Vorbehalt waren seine Gesinnungen, im Lieben wie im Hassen, die ihrigen, und nur von den äußerlichen Nöten, die sich herandrängten behielt sie die drückendsten sich allein vor, Sie war mit ihm gealtert. Seit der Geburt ihres Jüngsten hatte ihre Gesundheit empfindlich gelitten, und müh¬ samer von Jahr zu Jahr hielt sie sich nnter den wachsenden Anforderungen ihres Hauswesens, unter häufigem Krankendienst, nnter dem Kampfe mit den äußern Bedürfnissen des Lebens, den schweren Sorgen um die Erziehung der Kinder aufrecht. Allein so gerade, indem sie »wie eine Schnecke ihr Haus trug« und selbst krank, seine Krankheit verstand, mit selbst verwundeten Gemüte seinen Unwillen in gesteigerter Empfindung zu dem ihren machte, war sie ihm die beste Gefährtin: — nicht durch Sanftmut, sondern durch Mitleidenschaft seine Be- sünftigerin, Trösterin, eine Freundin, mit der kein Freund hätte wetteifern können!" (Bd, 2, S. 746,) Alles in allem, tragen wir aus dein umfassenden Werke den ernsten Eindruck eines ernste» Lebens davon und fühlen uns gestimmt, mit den? Verfasser den Spuren des Herderschen Wirkens auf den verschiednen Gebieten nachzugehen und uns des Reichstums seiner geistigen Schöpfungen und Anregungen neu zu versichern. Meisterhaft sind zum größten Teil die Analysen, welche Haym von Herders Arbeiten giebt. Bis in den letzten Jdeentern des Verfassers hinein weiß er zu folgen, und wo er mit scharfer Kritik die Mängel der Jugendschriften und der Herderschen Alterswerke darlegt, da entwickelt er umso liebevoller und licht¬ voller den selbständigen Gehalt, die Gedankenfülle, welche diesen Büchern und Aufsätzen eigentümlich ist. Wer z, B, die Besprechung der Bückeburger „Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit" im ersten Bande oder der „Metakritik" und der „Knlligvne" im zweiten Bande aufmerksam folgt, der wird empfinden, daß niemand freier vom l'uror d1oZraMou8, aber auch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/133
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/133>, abgerufen am 05.02.2025.