Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.Der Juristenstand und das öffentliche Recht. Auf dem sozialpolitischen Gebiete hat es jahrelanger Kämpfe bedurft, ehe Kaiser Alle diese Dinge haben dazu beigetragen, um den Juristen im öffentlichen Nicht ohne Grund führt die Gerechtigkeit Schwert und Wage als Symbol. Um dieses Ziel vollständig zu erreichen, bedürfte es einer radikalen Um¬ Der Juristenstand und das öffentliche Recht. Auf dem sozialpolitischen Gebiete hat es jahrelanger Kämpfe bedurft, ehe Kaiser Alle diese Dinge haben dazu beigetragen, um den Juristen im öffentlichen Nicht ohne Grund führt die Gerechtigkeit Schwert und Wage als Symbol. Um dieses Ziel vollständig zu erreichen, bedürfte es einer radikalen Um¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0116" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197540"/> <fw type="header" place="top"> Der Juristenstand und das öffentliche Recht.</fw><lb/> <p xml:id="ID_341" prev="#ID_340"> Auf dem sozialpolitischen Gebiete hat es jahrelanger Kämpfe bedurft, ehe Kaiser<lb/> und Reichskanzler imstande waren, die Macht des öffentlichen Rechts, wie sich<lb/> dasselbe in den Berufsgenossenschaften verkörpert, gegenüber den privatrechtlichen<lb/> Gesichtspunkt der Versicherung zum Siege zu verhelfen.</p><lb/> <p xml:id="ID_342"> Alle diese Dinge haben dazu beigetragen, um den Juristen im öffentlichen<lb/> Leben zu diskreditiren, man hat bald auch das Recht selbst mit der Anwendung<lb/> desselben verwechselt, und ganze Volksschichten haben die Beseitigung der römischen<lb/> Rechtsgrundlage verlangt. So erzeugt Druck den Gegendruck. Schon längst<lb/> ist der Richter nicht mehr frei von den Einflüssen der öffentlichen Meinung;<lb/> seine Integrität ist unbestritten und anerkannt, gegen Kabinetsjustiz wußten die<lb/> eifersüchtigen Parlamente den Richter sicherzustellen; nur gegen die Einwirkung<lb/> der Presse und ihre Gefolgschaft ist er nicht geschützt.</p><lb/> <p xml:id="ID_343"> Nicht ohne Grund führt die Gerechtigkeit Schwert und Wage als Symbol.<lb/> Der Richter soll die innern Feinde des Staates schonungslos vernichten, und<lb/> er soll das Gleichgewicht herstellen zwischen den Kräften, welche die Gesellschaft<lb/> bewegen. Um aber seine Aufgabe mit Erfolg erfüllen zu können, muß er sich<lb/> von den Banden privatrechtlicher Anschauung frei machen und muß von dem Geiste<lb/> des öffentlichen Rechts und der lebendigen Volksinteressen durchtränkt sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_344" next="#ID_345"> Um dieses Ziel vollständig zu erreichen, bedürfte es einer radikalen Um¬<lb/> gestaltung des juristischen Unterrichts auf den Universitäten. Hier aber ist das<lb/> Beharrungsvermögen so groß, und die Aufgaben der Gesetzgebung sind auf<lb/> andern Gebieten so viel dringlicher, daß wir die Lösung dieser Frage getrost<lb/> dem kommenden Geschlecht überlassen dürfen und uns nicht einmal mit einer<lb/> Skizzirung unsrer Vorschläge aufhalten wollen. In der praktischen Ausbildung<lb/> aber würde schon viel gewonnen werden, wenn die angehenden Staatsbeamten<lb/> ohne Unterschied, ob sie Juristen werden oder in die allgemeine Staatsverwaltung<lb/> übergehen wolle», eine Zeitlang bei den Kreis- und Bezirksausschüssen und in<lb/> der Verwaltung überhaupt arbeiteten. Es ist das Verdienst Bahrs, nachgewiesen<lb/> zu haben, wie wenig die gegenwärtige Zivilprozeßordnung geeignet ist, einen<lb/> tüchtigen Juristeustand heranzubilden. Die Mündlichkeit des Verfahrens verflacht<lb/> Geist und Charakter, und man muß es deshalb als sehr fraglich bezeichnen,<lb/> ob die angehenden Juristen in der That gegenüber dem Zeitaufwande noch etwas<lb/> Nennenswertes an den Land- und Oberlandesgerichten lernen und ob sie nicht<lb/> höchstens dazu dienen, müßig in den Audienzen Grillen zu fangen oder frucht¬<lb/> lose Schreibübungcn zu machen. Bei den Verwaltnngsgerichten aber wird im<lb/> wesentlichen nach Grundsätzen verhandelt, welche dem frühern preußischen Prozeß<lb/> entsprechen und sich, abgesehen von ihren sonstigen Vorzügen, ganz besonders zur<lb/> Ausbildung eines tüchtigen Beamtenstandes eignen. Zum allermindesten sollte<lb/> bei der letzten großen Staatsprüfung dem öffentlichen Rechte dieselbe Stellung<lb/> eingeräumt werden wie der» Privatrechte. Diese Prüfung hat speziell in<lb/> Preußen »och bei weitem nicht dasjenige erreicht, was man — bei aller Un-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0116]
Der Juristenstand und das öffentliche Recht.
Auf dem sozialpolitischen Gebiete hat es jahrelanger Kämpfe bedurft, ehe Kaiser
und Reichskanzler imstande waren, die Macht des öffentlichen Rechts, wie sich
dasselbe in den Berufsgenossenschaften verkörpert, gegenüber den privatrechtlichen
Gesichtspunkt der Versicherung zum Siege zu verhelfen.
Alle diese Dinge haben dazu beigetragen, um den Juristen im öffentlichen
Leben zu diskreditiren, man hat bald auch das Recht selbst mit der Anwendung
desselben verwechselt, und ganze Volksschichten haben die Beseitigung der römischen
Rechtsgrundlage verlangt. So erzeugt Druck den Gegendruck. Schon längst
ist der Richter nicht mehr frei von den Einflüssen der öffentlichen Meinung;
seine Integrität ist unbestritten und anerkannt, gegen Kabinetsjustiz wußten die
eifersüchtigen Parlamente den Richter sicherzustellen; nur gegen die Einwirkung
der Presse und ihre Gefolgschaft ist er nicht geschützt.
Nicht ohne Grund führt die Gerechtigkeit Schwert und Wage als Symbol.
Der Richter soll die innern Feinde des Staates schonungslos vernichten, und
er soll das Gleichgewicht herstellen zwischen den Kräften, welche die Gesellschaft
bewegen. Um aber seine Aufgabe mit Erfolg erfüllen zu können, muß er sich
von den Banden privatrechtlicher Anschauung frei machen und muß von dem Geiste
des öffentlichen Rechts und der lebendigen Volksinteressen durchtränkt sein.
Um dieses Ziel vollständig zu erreichen, bedürfte es einer radikalen Um¬
gestaltung des juristischen Unterrichts auf den Universitäten. Hier aber ist das
Beharrungsvermögen so groß, und die Aufgaben der Gesetzgebung sind auf
andern Gebieten so viel dringlicher, daß wir die Lösung dieser Frage getrost
dem kommenden Geschlecht überlassen dürfen und uns nicht einmal mit einer
Skizzirung unsrer Vorschläge aufhalten wollen. In der praktischen Ausbildung
aber würde schon viel gewonnen werden, wenn die angehenden Staatsbeamten
ohne Unterschied, ob sie Juristen werden oder in die allgemeine Staatsverwaltung
übergehen wolle», eine Zeitlang bei den Kreis- und Bezirksausschüssen und in
der Verwaltung überhaupt arbeiteten. Es ist das Verdienst Bahrs, nachgewiesen
zu haben, wie wenig die gegenwärtige Zivilprozeßordnung geeignet ist, einen
tüchtigen Juristeustand heranzubilden. Die Mündlichkeit des Verfahrens verflacht
Geist und Charakter, und man muß es deshalb als sehr fraglich bezeichnen,
ob die angehenden Juristen in der That gegenüber dem Zeitaufwande noch etwas
Nennenswertes an den Land- und Oberlandesgerichten lernen und ob sie nicht
höchstens dazu dienen, müßig in den Audienzen Grillen zu fangen oder frucht¬
lose Schreibübungcn zu machen. Bei den Verwaltnngsgerichten aber wird im
wesentlichen nach Grundsätzen verhandelt, welche dem frühern preußischen Prozeß
entsprechen und sich, abgesehen von ihren sonstigen Vorzügen, ganz besonders zur
Ausbildung eines tüchtigen Beamtenstandes eignen. Zum allermindesten sollte
bei der letzten großen Staatsprüfung dem öffentlichen Rechte dieselbe Stellung
eingeräumt werden wie der» Privatrechte. Diese Prüfung hat speziell in
Preußen »och bei weitem nicht dasjenige erreicht, was man — bei aller Un-
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