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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Das Jubiläum des Kaisers.

berufen sind, eine hochbedeutsame Rolle zu spielen, und auf welche die Augen
ihres Volkes noch nach Jahrhunderten als auf politische Wohlthäter dankbar
zurückblicken. Er ist nicht wie Friedrich der Große, dessen Erfolge die seinen
verdunkeln, sein eigner Minister und Feldherr. Er besitzt nicht die Gaben seines
verewigten Bruders: dessen Geist und Witz, dessen hohe Bildung und dessen
feines Verständnis für das Schöne, dessen Liebe zu den Künsten. Die Nach¬
welt wird ihn nicht als Mücen zu rühmen haben. Aber er trat ans Staats¬
ruder mit andern Anlagen und Charakterzügen, und zwar gerade mit denen,
welche die Lage der deutschen Dinge von einem preußischen Könige damals vor
allen andern verlangte. Preußen war unter seinem Vorgänger in die Reihe
der Verfassungsstaaten eingetreten, und der Liberalismus strebte die dem Lande
verliehene Konstitution so zu deuten und zu erweitern, daß mit ihr das parla¬
mentarische System zur Geltung gebracht sein sollte, diejenige Regierungsform,
nach welcher der Schwerpunkt der staatlichen Macht in die Volksvertretung
verlegt ist und der Monarch gegenüber der wechselnden Mehrheit der von den
Parteien der Bevölkerung gewählten Abgeordneten nicht viel mehr Bedeutung
als die einer mit Gvldtinte geschriebn"" Null hat. Der oberste Träger der
Staatsgewalt sollte zum bloßen abstrakten Begriffe, zu einem stummen Ver¬
treter des monarchischen Prinzips gemacht werden. Er sollte nichts als ein
Sanktionirnngsapparat sein, aufgestellt zu dem Zwecke, die uach den Ansichten
und Absichten der Majorität des Abgeordnetenhauses geschaffnen Gesetze sür die
Praxis einzuweihen. Er sollte diese Gesetze nur durch Minister aus der Mitte
jener Majorität ausführen dürfen und gehalten sein, diese seine obersten Räte
zu verabschieden, wenn die Majorität direkt oder indirekt erklärte, dieselben
hätten ihr Vertrauen nicht mehr. Dieses aus Frankreich importirte Streben
nach Verflüchtigung der königlichen Gewalt hatte keinerlei Anknüpfung in
der preußischen Verfassung, keinerlei Wurzeln in der deutscheu Geschichte,
es beruhte auf einer Doktrin, die in der Luft stand, und es würde,
wenn es Erfolg gehabt hätte, die Aufgabe, vor welche Preußen durch die
Entwicklung deo deutschen Verhältnisse gestellt war, zur Unmöglichkeit gemacht
haben. Deutschland, mit seiner Zerrissenheit zwischen zwei großen, nacb Er¬
weiterung ihres Einflusses und Besitzes begehrenden Militärstaaten gelegen,
mußte um Preußen geeinigt werden, und es war Gefahr in, Verzüge. Schon
tauchte am Gesichtskreise das Schreckensbild eines Schicksals wie das der
Teilung Polens auf. Nur ein lebendiges, festes, in seiner Freiheit einzig
durch den Wortlaut der Verfassung beschränktes Königtum in Preußen
konnte die Einrichtung schaffen und zunächst vorbereiten, welche vor solchem
Schicksale bewahrte. Ein nach dem Muster des fremdländischen Parlamen¬
tarismus gelähmter und beengter preußischer Monarch hätte dieses Problem
niemals zu lösen vermocht, und wenn anderseits zu jenem Zwecke an eine Rück¬
kehr zum Absolutismus gedacht werden durste, so erwies diese sich bei genauer


Das Jubiläum des Kaisers.

berufen sind, eine hochbedeutsame Rolle zu spielen, und auf welche die Augen
ihres Volkes noch nach Jahrhunderten als auf politische Wohlthäter dankbar
zurückblicken. Er ist nicht wie Friedrich der Große, dessen Erfolge die seinen
verdunkeln, sein eigner Minister und Feldherr. Er besitzt nicht die Gaben seines
verewigten Bruders: dessen Geist und Witz, dessen hohe Bildung und dessen
feines Verständnis für das Schöne, dessen Liebe zu den Künsten. Die Nach¬
welt wird ihn nicht als Mücen zu rühmen haben. Aber er trat ans Staats¬
ruder mit andern Anlagen und Charakterzügen, und zwar gerade mit denen,
welche die Lage der deutschen Dinge von einem preußischen Könige damals vor
allen andern verlangte. Preußen war unter seinem Vorgänger in die Reihe
der Verfassungsstaaten eingetreten, und der Liberalismus strebte die dem Lande
verliehene Konstitution so zu deuten und zu erweitern, daß mit ihr das parla¬
mentarische System zur Geltung gebracht sein sollte, diejenige Regierungsform,
nach welcher der Schwerpunkt der staatlichen Macht in die Volksvertretung
verlegt ist und der Monarch gegenüber der wechselnden Mehrheit der von den
Parteien der Bevölkerung gewählten Abgeordneten nicht viel mehr Bedeutung
als die einer mit Gvldtinte geschriebn«» Null hat. Der oberste Träger der
Staatsgewalt sollte zum bloßen abstrakten Begriffe, zu einem stummen Ver¬
treter des monarchischen Prinzips gemacht werden. Er sollte nichts als ein
Sanktionirnngsapparat sein, aufgestellt zu dem Zwecke, die uach den Ansichten
und Absichten der Majorität des Abgeordnetenhauses geschaffnen Gesetze sür die
Praxis einzuweihen. Er sollte diese Gesetze nur durch Minister aus der Mitte
jener Majorität ausführen dürfen und gehalten sein, diese seine obersten Räte
zu verabschieden, wenn die Majorität direkt oder indirekt erklärte, dieselben
hätten ihr Vertrauen nicht mehr. Dieses aus Frankreich importirte Streben
nach Verflüchtigung der königlichen Gewalt hatte keinerlei Anknüpfung in
der preußischen Verfassung, keinerlei Wurzeln in der deutscheu Geschichte,
es beruhte auf einer Doktrin, die in der Luft stand, und es würde,
wenn es Erfolg gehabt hätte, die Aufgabe, vor welche Preußen durch die
Entwicklung deo deutschen Verhältnisse gestellt war, zur Unmöglichkeit gemacht
haben. Deutschland, mit seiner Zerrissenheit zwischen zwei großen, nacb Er¬
weiterung ihres Einflusses und Besitzes begehrenden Militärstaaten gelegen,
mußte um Preußen geeinigt werden, und es war Gefahr in, Verzüge. Schon
tauchte am Gesichtskreise das Schreckensbild eines Schicksals wie das der
Teilung Polens auf. Nur ein lebendiges, festes, in seiner Freiheit einzig
durch den Wortlaut der Verfassung beschränktes Königtum in Preußen
konnte die Einrichtung schaffen und zunächst vorbereiten, welche vor solchem
Schicksale bewahrte. Ein nach dem Muster des fremdländischen Parlamen¬
tarismus gelähmter und beengter preußischer Monarch hätte dieses Problem
niemals zu lösen vermocht, und wenn anderseits zu jenem Zwecke an eine Rück¬
kehr zum Absolutismus gedacht werden durste, so erwies diese sich bei genauer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/10>, abgerufen am 05.02.2025.