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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Die beabsichtigten Änderungen und Ergänzungen des Gerichtsverfassungsgesetzes ;c.

welche für sämtliche Sachen ausgelost oder abgelehnt werden, ist erfahrungs-
mäßig gering, und derjenige, welcher für einen halben oder einen ganzen Tag
ausfällt, kann doch wegen der Entfernung seines Wohnortes vom Schwur-
gerichtsfitze auf diese kurze Zeit nicht nach Hause, da nicht alle Geschwornen
an Eisenbahnstationen wohnen. Fällt aber bei einer längern Sitzungsperiode
mehr als einer der im voraus bestimmten Geschwornen (für einen soll ein
Ergänzungsgcschworner gezogen werden) aus, was auch der Erfahrung
nach keineswegs selten ist, so war doch die ganze Arbeit umsonst geschehen. Und
wie wenig wahrscheinlich ist es, daß bei mehreren auf einen Tag angesetzten Ver¬
handlungen alle Beteiligten sich auf dieselben Geschwornen einigen! Nein, die
Absicht ist gut, den Geschwornen Erleichterung zu verschaffen, aber auf dem
im EntWurfe vorgeschlagenen Wege ist es nicht möglich. Vielleicht ließe sich
aber auf andre Weise Abhilfe der jetzt empfundenen Übelstände schaffen, und
ich möchte hier einen Gedanken aussprechen, dessen Durchführung zwar scheinbar
die Last vergrößert, in Wahrheit aber erleichtert, und der unter voller Beibe¬
haltung des jetzigen Schwurgerichtes dasselbe unter Beseitigung manches andern
Adelstandes dem Organismus der ordentlichen Gerichte einverleiben würde und
gleichzeitig durch analoge Übertragung auf die Schöffengerichte auch für diese
eine Vereinfachung der Organisation zur Folge Hütte. Ich muß, um dies
darzulegen, etwas weiter ausholen.

Die Schwurgerichte bilden jetzt selbständige Gerichte, und ihre Berzirke
sind vielfach aus mehreren Landgerichtsbczirkcn zusammengesetzt, sie können des¬
halb nur periodisch zusammentreten und haben dann alle spruchreifen Sachen
ihres Bezirkes abzuurteilen. Es hat dies für den Angeklagten den nicht zu
unterschätzenden Nachteil, daß er oft monatelang auf die Aburteilung seiner
Sache warten muß, die Verhandlung gewinnt nicht, wenn zwischen der That
und der Aburteilung derselben längere Zeit liegt, der Fiskus aber hat, abgesehen
von den längeren Verpslegungskosten für den Angeklagten, bedeutende Beträge
an Diäten und Reisekosten für die aus dem ganzen Schwnrgerichtsbezirke zu¬
sammenkommenden Geschwornen, Richter, Staatsanwälte, Zeugen und Sach¬
verständige zu zahlen, die Geschwornen endlich werden dadurch häufig auf
längere Zeit, oft wochenlang ihrem eigentlichen Berufe entzogen, nicht zu gedenken
der vielen mit der Bildung des Schwurgerichts zusammenhängenden Schrei¬
bereien. Alles dies wäre zu vermeiden, wenn die Schwurgerichte als selbständige
Gerichte beseitigt und die §Z 79 und 80 des Gerichtsverfafsungsgesetzes, welche
jetzt lauten:

s 79. Für die Verhandlung und Entscheidung von Strafsachen treten
bei den Landgerichten periodisch Schwurgerichte zusammen.
§ 80. Die Schwurgerichte sind zuständig für die Verbrechen, welche
nicht zur Zuständigkeit der Strafkammern und des Reichsgerichts gehören

etwa dahin abgeändert würden:


Die beabsichtigten Änderungen und Ergänzungen des Gerichtsverfassungsgesetzes ;c.

welche für sämtliche Sachen ausgelost oder abgelehnt werden, ist erfahrungs-
mäßig gering, und derjenige, welcher für einen halben oder einen ganzen Tag
ausfällt, kann doch wegen der Entfernung seines Wohnortes vom Schwur-
gerichtsfitze auf diese kurze Zeit nicht nach Hause, da nicht alle Geschwornen
an Eisenbahnstationen wohnen. Fällt aber bei einer längern Sitzungsperiode
mehr als einer der im voraus bestimmten Geschwornen (für einen soll ein
Ergänzungsgcschworner gezogen werden) aus, was auch der Erfahrung
nach keineswegs selten ist, so war doch die ganze Arbeit umsonst geschehen. Und
wie wenig wahrscheinlich ist es, daß bei mehreren auf einen Tag angesetzten Ver¬
handlungen alle Beteiligten sich auf dieselben Geschwornen einigen! Nein, die
Absicht ist gut, den Geschwornen Erleichterung zu verschaffen, aber auf dem
im EntWurfe vorgeschlagenen Wege ist es nicht möglich. Vielleicht ließe sich
aber auf andre Weise Abhilfe der jetzt empfundenen Übelstände schaffen, und
ich möchte hier einen Gedanken aussprechen, dessen Durchführung zwar scheinbar
die Last vergrößert, in Wahrheit aber erleichtert, und der unter voller Beibe¬
haltung des jetzigen Schwurgerichtes dasselbe unter Beseitigung manches andern
Adelstandes dem Organismus der ordentlichen Gerichte einverleiben würde und
gleichzeitig durch analoge Übertragung auf die Schöffengerichte auch für diese
eine Vereinfachung der Organisation zur Folge Hütte. Ich muß, um dies
darzulegen, etwas weiter ausholen.

Die Schwurgerichte bilden jetzt selbständige Gerichte, und ihre Berzirke
sind vielfach aus mehreren Landgerichtsbczirkcn zusammengesetzt, sie können des¬
halb nur periodisch zusammentreten und haben dann alle spruchreifen Sachen
ihres Bezirkes abzuurteilen. Es hat dies für den Angeklagten den nicht zu
unterschätzenden Nachteil, daß er oft monatelang auf die Aburteilung seiner
Sache warten muß, die Verhandlung gewinnt nicht, wenn zwischen der That
und der Aburteilung derselben längere Zeit liegt, der Fiskus aber hat, abgesehen
von den längeren Verpslegungskosten für den Angeklagten, bedeutende Beträge
an Diäten und Reisekosten für die aus dem ganzen Schwnrgerichtsbezirke zu¬
sammenkommenden Geschwornen, Richter, Staatsanwälte, Zeugen und Sach¬
verständige zu zahlen, die Geschwornen endlich werden dadurch häufig auf
längere Zeit, oft wochenlang ihrem eigentlichen Berufe entzogen, nicht zu gedenken
der vielen mit der Bildung des Schwurgerichts zusammenhängenden Schrei¬
bereien. Alles dies wäre zu vermeiden, wenn die Schwurgerichte als selbständige
Gerichte beseitigt und die §Z 79 und 80 des Gerichtsverfafsungsgesetzes, welche
jetzt lauten:

s 79. Für die Verhandlung und Entscheidung von Strafsachen treten
bei den Landgerichten periodisch Schwurgerichte zusammen.
§ 80. Die Schwurgerichte sind zuständig für die Verbrechen, welche
nicht zur Zuständigkeit der Strafkammern und des Reichsgerichts gehören

etwa dahin abgeändert würden:


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[0096] Die beabsichtigten Änderungen und Ergänzungen des Gerichtsverfassungsgesetzes ;c. welche für sämtliche Sachen ausgelost oder abgelehnt werden, ist erfahrungs- mäßig gering, und derjenige, welcher für einen halben oder einen ganzen Tag ausfällt, kann doch wegen der Entfernung seines Wohnortes vom Schwur- gerichtsfitze auf diese kurze Zeit nicht nach Hause, da nicht alle Geschwornen an Eisenbahnstationen wohnen. Fällt aber bei einer längern Sitzungsperiode mehr als einer der im voraus bestimmten Geschwornen (für einen soll ein Ergänzungsgcschworner gezogen werden) aus, was auch der Erfahrung nach keineswegs selten ist, so war doch die ganze Arbeit umsonst geschehen. Und wie wenig wahrscheinlich ist es, daß bei mehreren auf einen Tag angesetzten Ver¬ handlungen alle Beteiligten sich auf dieselben Geschwornen einigen! Nein, die Absicht ist gut, den Geschwornen Erleichterung zu verschaffen, aber auf dem im EntWurfe vorgeschlagenen Wege ist es nicht möglich. Vielleicht ließe sich aber auf andre Weise Abhilfe der jetzt empfundenen Übelstände schaffen, und ich möchte hier einen Gedanken aussprechen, dessen Durchführung zwar scheinbar die Last vergrößert, in Wahrheit aber erleichtert, und der unter voller Beibe¬ haltung des jetzigen Schwurgerichtes dasselbe unter Beseitigung manches andern Adelstandes dem Organismus der ordentlichen Gerichte einverleiben würde und gleichzeitig durch analoge Übertragung auf die Schöffengerichte auch für diese eine Vereinfachung der Organisation zur Folge Hütte. Ich muß, um dies darzulegen, etwas weiter ausholen. Die Schwurgerichte bilden jetzt selbständige Gerichte, und ihre Berzirke sind vielfach aus mehreren Landgerichtsbczirkcn zusammengesetzt, sie können des¬ halb nur periodisch zusammentreten und haben dann alle spruchreifen Sachen ihres Bezirkes abzuurteilen. Es hat dies für den Angeklagten den nicht zu unterschätzenden Nachteil, daß er oft monatelang auf die Aburteilung seiner Sache warten muß, die Verhandlung gewinnt nicht, wenn zwischen der That und der Aburteilung derselben längere Zeit liegt, der Fiskus aber hat, abgesehen von den längeren Verpslegungskosten für den Angeklagten, bedeutende Beträge an Diäten und Reisekosten für die aus dem ganzen Schwnrgerichtsbezirke zu¬ sammenkommenden Geschwornen, Richter, Staatsanwälte, Zeugen und Sach¬ verständige zu zahlen, die Geschwornen endlich werden dadurch häufig auf längere Zeit, oft wochenlang ihrem eigentlichen Berufe entzogen, nicht zu gedenken der vielen mit der Bildung des Schwurgerichts zusammenhängenden Schrei¬ bereien. Alles dies wäre zu vermeiden, wenn die Schwurgerichte als selbständige Gerichte beseitigt und die §Z 79 und 80 des Gerichtsverfafsungsgesetzes, welche jetzt lauten: s 79. Für die Verhandlung und Entscheidung von Strafsachen treten bei den Landgerichten periodisch Schwurgerichte zusammen. § 80. Die Schwurgerichte sind zuständig für die Verbrechen, welche nicht zur Zuständigkeit der Strafkammern und des Reichsgerichts gehören etwa dahin abgeändert würden:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/96>, abgerufen am 15.01.2025.