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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Die beabsichtigten Änderungen und Ergänzungen des Gerichtsvorfassungsgesetzes in.

griffe bezeichnet werden/") Ob die nebenbei vorgeschlagenen, hier nicht näher
interessirenden Maßregeln für eine schärfere Prüfung bei der Aufstellung der
Geschwornenliste in dieser Richtung eine Besserung hervorrufen werden, ist ab¬
zuwarten; mir sind ähnliche Urteile über Wahrsprüche bei ganz ausgezeichnet
zusammengesetzten Geschwornenbänken vorgekommen.

Als eine" sehr bedenklichen Vorschlag wird man bezeichnen müssen, daß
nach dem Entwürfe die Verhandlung und Entscheidung eines zur Zuständig¬
keit des Schwurgerichtes gehörigen Verbrechens dem Landgerichte überwiesen
werden soll, wenn nach den Umständen angenommen werden muß, daß auf Ge¬
fängnisstrafe zu erkennen sein werde. Es entspricht dies zwar der bereits in
Kraft befindlichen Bestimmung des Gerichtsverfassungsgesetzes, nach welcher das
Landgericht eine Anzahl seiner Zuständigkeit unterworfener Vergehen unter ge¬
wissen Uniständen dem Schöffengerichte zur Aburteilung überweisen kann, aber
eine größere Verletzung des Grundsatzes der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit
des Verfahrens ist doch kaum zu denken. Nur auf Grund eines Ermittelungs¬
verfahrens oder (bei dem Schwurgerichtsverfahren) einer Voruntersuchung, ohne
daß das zuständige Gericht den Angeklagten oder einen Zellgen persönlich ge¬
sehen hat, soll es den Fall nach dem Strafmaße abschätzen und dem Ange¬
klagten die ihm vom Gesetze bewilligte Wohlthat der Aburteilung durch ein
höheres Gericht, also im vorliegenden Falle das Schwurgericht, entziehen, womit
gleichzeitig ganz andre Verhältnisse bezüglich der Rechtsmittel fiir den Ange¬
schuldigten maßgebend werden. Und zu dieser tiefeingreifenden Maßregel soll
die Zustimmung des Angeklagten nicht erforderlich sein! Freilich soll die er¬
kennende Strafkammer, wenn sie nach dem Ergebnis der Verhandlungen eine
schwerere Strafe für verwirkt hält, die Sache an das Schwurgericht ver¬
weisen, ohne daß gegen diese Verweisung eine Beschwerde zulässig wäre; allein
abgesehen von der Verzögerung der Aburteilung des betreffenden Straffalles
und der erheblichen Vermehrung der Kosten, wird sich die Strafkammer durch
den Beschluß, welcher ihr die Sache zuweist, nicht mehr oder weniger beein¬
flussen lassen, zumal da, wogegen ja nichts einzuwenden ist, nicht bloß wie
bisher zwei, sondern alle Richter, welche um Verweisungsbeschluß teilge¬
nommen haben, bei der Aburteilung mitwirken können. Die Art der Gesetzes¬
übertretung, nicht die zufällige im einzelnen Falle angemessene Strafe, begrün¬
det die Zuständigkeit des Gerichtes, und jeder Versuch, die ordnungsmäßige
Zuständigkeit der Gerichte zu durchbrechen, muß aufs lebhafteste bekämpft
werden.

Sodann soll, um den Gcschworncndienst zu erleichtern, die Zahl der Ge¬
schwornen herabgesetzt und die Bildung der Gcschwornenbank neu geregelt werden.
Beide Bestimmungen des Entwurfes sind nicht zu billigen. Die Begründung



*) Begründung S. 2002.
Die beabsichtigten Änderungen und Ergänzungen des Gerichtsvorfassungsgesetzes in.

griffe bezeichnet werden/") Ob die nebenbei vorgeschlagenen, hier nicht näher
interessirenden Maßregeln für eine schärfere Prüfung bei der Aufstellung der
Geschwornenliste in dieser Richtung eine Besserung hervorrufen werden, ist ab¬
zuwarten; mir sind ähnliche Urteile über Wahrsprüche bei ganz ausgezeichnet
zusammengesetzten Geschwornenbänken vorgekommen.

Als eine» sehr bedenklichen Vorschlag wird man bezeichnen müssen, daß
nach dem Entwürfe die Verhandlung und Entscheidung eines zur Zuständig¬
keit des Schwurgerichtes gehörigen Verbrechens dem Landgerichte überwiesen
werden soll, wenn nach den Umständen angenommen werden muß, daß auf Ge¬
fängnisstrafe zu erkennen sein werde. Es entspricht dies zwar der bereits in
Kraft befindlichen Bestimmung des Gerichtsverfassungsgesetzes, nach welcher das
Landgericht eine Anzahl seiner Zuständigkeit unterworfener Vergehen unter ge¬
wissen Uniständen dem Schöffengerichte zur Aburteilung überweisen kann, aber
eine größere Verletzung des Grundsatzes der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit
des Verfahrens ist doch kaum zu denken. Nur auf Grund eines Ermittelungs¬
verfahrens oder (bei dem Schwurgerichtsverfahren) einer Voruntersuchung, ohne
daß das zuständige Gericht den Angeklagten oder einen Zellgen persönlich ge¬
sehen hat, soll es den Fall nach dem Strafmaße abschätzen und dem Ange¬
klagten die ihm vom Gesetze bewilligte Wohlthat der Aburteilung durch ein
höheres Gericht, also im vorliegenden Falle das Schwurgericht, entziehen, womit
gleichzeitig ganz andre Verhältnisse bezüglich der Rechtsmittel fiir den Ange¬
schuldigten maßgebend werden. Und zu dieser tiefeingreifenden Maßregel soll
die Zustimmung des Angeklagten nicht erforderlich sein! Freilich soll die er¬
kennende Strafkammer, wenn sie nach dem Ergebnis der Verhandlungen eine
schwerere Strafe für verwirkt hält, die Sache an das Schwurgericht ver¬
weisen, ohne daß gegen diese Verweisung eine Beschwerde zulässig wäre; allein
abgesehen von der Verzögerung der Aburteilung des betreffenden Straffalles
und der erheblichen Vermehrung der Kosten, wird sich die Strafkammer durch
den Beschluß, welcher ihr die Sache zuweist, nicht mehr oder weniger beein¬
flussen lassen, zumal da, wogegen ja nichts einzuwenden ist, nicht bloß wie
bisher zwei, sondern alle Richter, welche um Verweisungsbeschluß teilge¬
nommen haben, bei der Aburteilung mitwirken können. Die Art der Gesetzes¬
übertretung, nicht die zufällige im einzelnen Falle angemessene Strafe, begrün¬
det die Zuständigkeit des Gerichtes, und jeder Versuch, die ordnungsmäßige
Zuständigkeit der Gerichte zu durchbrechen, muß aufs lebhafteste bekämpft
werden.

Sodann soll, um den Gcschworncndienst zu erleichtern, die Zahl der Ge¬
schwornen herabgesetzt und die Bildung der Gcschwornenbank neu geregelt werden.
Beide Bestimmungen des Entwurfes sind nicht zu billigen. Die Begründung



*) Begründung S. 2002.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/94>, abgerufen am 15.01.2025.