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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Die proportionale Verufsklassenwahl.
Gin Mittel zur Abwehr der sozialistischen Bewegung,
von Ludwig von Hirschfeld.
1.

is die letzten Rcichstagswahlcu ein unerwartetes Erstarken der
sozialdemokratischen Wählcrgrnppe erkennen ließen, bemächtigte
sich beim ersten Bekanntwerden dieser Thatsache der ordnungs¬
liebenden Parteien eine gewisse Bestürzung. Noch ist kein Jahr
verstrichen, und längst schon ist jener peinliche Eindruck im raschen
Wechsel der Tagesfragen verwischt. An die Stelle einer übertriebenen Beun-
ruhigung ist eine bedauerliche Gleichgiltigkeit getreten; die Wissenschaft fährt
zwar fort, in theoretischen Untersuchungen die Absurdität des demokratischen
Kommunismus nachzuweisen; diese Argumente sind aber dem Verständnis der
Masse unzugänglich. Praktische Vorschläge zur Abwehr einer staatsgefährlichen
Bewegung hat der letzte Zeitraum nicht zu Tage gefördert. Die Parteipresse
hat sich darauf beschränkt, den Gegnern die Schuld an dem von allen gleich¬
mäßig bedauerten Wahlergebnis vorzuwerfen oder sich mit beschwichtigenden
Phrasen über die unerfreuliche Thatsache hinwegzutrösten.

Ein angesehenes nationalliberales Blatt schrieb damals gleich nach den
Hauptwahlen: "Wir stehen nicht an, zu sagen, daß wir zwanzig Sozialdemo-
kraten im Reichstage in gewissem Sinne für ein geringeres Übel halten, wenn
überhaupt für ein Übel, als fünf. In demselben Maße, wie sie zur Mitarbeit
herangezogen werden, und durch die große Zahl von Wählern, die sie vertreten,
ernste Berücksichtigung der Verhältnisse beanspruchen dürfen, denen sie ihre Wahl
verdanken, wird auch der heftige Kampf gegen die bestehende Gewalt weichen


Grenzboten IV. 1,886. I


Die proportionale Verufsklassenwahl.
Gin Mittel zur Abwehr der sozialistischen Bewegung,
von Ludwig von Hirschfeld.
1.

is die letzten Rcichstagswahlcu ein unerwartetes Erstarken der
sozialdemokratischen Wählcrgrnppe erkennen ließen, bemächtigte
sich beim ersten Bekanntwerden dieser Thatsache der ordnungs¬
liebenden Parteien eine gewisse Bestürzung. Noch ist kein Jahr
verstrichen, und längst schon ist jener peinliche Eindruck im raschen
Wechsel der Tagesfragen verwischt. An die Stelle einer übertriebenen Beun-
ruhigung ist eine bedauerliche Gleichgiltigkeit getreten; die Wissenschaft fährt
zwar fort, in theoretischen Untersuchungen die Absurdität des demokratischen
Kommunismus nachzuweisen; diese Argumente sind aber dem Verständnis der
Masse unzugänglich. Praktische Vorschläge zur Abwehr einer staatsgefährlichen
Bewegung hat der letzte Zeitraum nicht zu Tage gefördert. Die Parteipresse
hat sich darauf beschränkt, den Gegnern die Schuld an dem von allen gleich¬
mäßig bedauerten Wahlergebnis vorzuwerfen oder sich mit beschwichtigenden
Phrasen über die unerfreuliche Thatsache hinwegzutrösten.

Ein angesehenes nationalliberales Blatt schrieb damals gleich nach den
Hauptwahlen: „Wir stehen nicht an, zu sagen, daß wir zwanzig Sozialdemo-
kraten im Reichstage in gewissem Sinne für ein geringeres Übel halten, wenn
überhaupt für ein Übel, als fünf. In demselben Maße, wie sie zur Mitarbeit
herangezogen werden, und durch die große Zahl von Wählern, die sie vertreten,
ernste Berücksichtigung der Verhältnisse beanspruchen dürfen, denen sie ihre Wahl
verdanken, wird auch der heftige Kampf gegen die bestehende Gewalt weichen


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[0009] [Abbildung] Die proportionale Verufsklassenwahl. Gin Mittel zur Abwehr der sozialistischen Bewegung, von Ludwig von Hirschfeld. 1. is die letzten Rcichstagswahlcu ein unerwartetes Erstarken der sozialdemokratischen Wählcrgrnppe erkennen ließen, bemächtigte sich beim ersten Bekanntwerden dieser Thatsache der ordnungs¬ liebenden Parteien eine gewisse Bestürzung. Noch ist kein Jahr verstrichen, und längst schon ist jener peinliche Eindruck im raschen Wechsel der Tagesfragen verwischt. An die Stelle einer übertriebenen Beun- ruhigung ist eine bedauerliche Gleichgiltigkeit getreten; die Wissenschaft fährt zwar fort, in theoretischen Untersuchungen die Absurdität des demokratischen Kommunismus nachzuweisen; diese Argumente sind aber dem Verständnis der Masse unzugänglich. Praktische Vorschläge zur Abwehr einer staatsgefährlichen Bewegung hat der letzte Zeitraum nicht zu Tage gefördert. Die Parteipresse hat sich darauf beschränkt, den Gegnern die Schuld an dem von allen gleich¬ mäßig bedauerten Wahlergebnis vorzuwerfen oder sich mit beschwichtigenden Phrasen über die unerfreuliche Thatsache hinwegzutrösten. Ein angesehenes nationalliberales Blatt schrieb damals gleich nach den Hauptwahlen: „Wir stehen nicht an, zu sagen, daß wir zwanzig Sozialdemo- kraten im Reichstage in gewissem Sinne für ein geringeres Übel halten, wenn überhaupt für ein Übel, als fünf. In demselben Maße, wie sie zur Mitarbeit herangezogen werden, und durch die große Zahl von Wählern, die sie vertreten, ernste Berücksichtigung der Verhältnisse beanspruchen dürfen, denen sie ihre Wahl verdanken, wird auch der heftige Kampf gegen die bestehende Gewalt weichen Grenzboten IV. 1,886. I

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/9>, abgerufen am 15.01.2025.