Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Unterlage der Volksvertretung zu bilden. Allerdings wird der Schwerpunkt Bekanntlich hat der Reichskanzler selbst sehr häufig Klage darüber geführt, Es wäre in der That viel natürlicher, wenn die Landwirtschaft durch Land¬ Diese Berufsstatistik der Abgeordneten bietet manche interessante Vergleiche. Grenzboten IV. 1885. 10
Unterlage der Volksvertretung zu bilden. Allerdings wird der Schwerpunkt Bekanntlich hat der Reichskanzler selbst sehr häufig Klage darüber geführt, Es wäre in der That viel natürlicher, wenn die Landwirtschaft durch Land¬ Diese Berufsstatistik der Abgeordneten bietet manche interessante Vergleiche. Grenzboten IV. 1885. 10
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0081" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196815"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_196" prev="#ID_195"> Unterlage der Volksvertretung zu bilden. Allerdings wird der Schwerpunkt<lb/> der parlamentarischen Thätigkeit damit auf das ökonomische Gebiet verlegt, die<lb/> Reichstagsabgeordneten werden weniger Politiker und mehr Vertreter von Inter-<lb/> essentengruppen werden. Aber wäre dies zu bedauern?</p><lb/> <p xml:id="ID_197"> Bekanntlich hat der Reichskanzler selbst sehr häufig Klage darüber geführt,<lb/> daß sich im Reichstage eine Clique berufsmäßiger Parlamentarier festsetze, welche<lb/> sich dieser Thätigkeit aus Ehrgeiz oder persönlicher Neigung widmeten und mit<lb/> dem Volke nicht die nötige Fühlung hielten. Er hat es kritisirt, daß der Reichs¬<lb/> tag überhaupt sich zu viel mit politischen, zu wenig mit ökonomischen Fragen<lb/> beschäftige, und hat sowohl durch seine Bauernbriefe als durch andre gelegent¬<lb/> liche Kundgebungen die Landgemeinden aufgefordert, das Reichstagsmandat<lb/> Personen zu übertragen, welche für die wirtschaftlichen Bedürfnisse mehr Ver¬<lb/> ständnis und Interesse hätten.</p><lb/> <p xml:id="ID_198"> Es wäre in der That viel natürlicher, wenn die Landwirtschaft durch Land¬<lb/> wirte, der Handel durch Mitglieder der Kaufmannschaft, die Industrie durch<lb/> Fachmänner ihres Schlages u. f. f. vertreten wären. Dann wäre der Reichstag<lb/> nicht bloß eine Versammlung von Experten auf den verschiedensten Gebieten,<lb/> sondern die Zahl der letztern würde auch dem numerischen Verhältnis der Be¬<lb/> rufsklassen entsprechen. Daß dies gegenwärtig nicht der Fall ist, ergiebt die<lb/> Zusammensetzung der jetzt lagerten Versammlung. In dieser wird die Land¬<lb/> wirtschaft durch 130, der Handel durch 21, Industrie und Gewerbe durch 41 Mit¬<lb/> glieder vertreten. Daneben erscheinen 42 Staatsbeamte, 21 Beamte der Ge¬<lb/> meinden und Gemeiudeverbände, 29 Richter und 23 Anwälte, also in Summa<lb/> 115 Personen von vorwiegend juristischer Bildung, darunter 52 Fachjuristen.<lb/> Die katholische Geistlichkeit ist durch 16, die evangelische durch einen, der Lehrer¬<lb/> stand durch 15, die Heilkunde durch 6, die Künstlerschaft durch 3 und die Presse<lb/> durch 16, darunter 12 Schriftsteller, reprüsentirt. Kunst und Wissenschaft liefern<lb/> also uoch ein Kontingent von 5?. Der Rest von 33 umfaßt Rentner, Priva¬<lb/> tiers und Leute, welche überhaupt keinen Stand oder keine Thätigkeit ange¬<lb/> geben haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_199"> Diese Berufsstatistik der Abgeordneten bietet manche interessante Vergleiche.<lb/> Zunächst springt die große Ziffer in die Augen, welche die wissenschaftlich Ge¬<lb/> bildeten, die Staats- und Kvmmunalbeamteu, die Gelehrten ?c. umfaßt. Es<lb/> sind deren 172 im Gegensatz zu 41 Vertretern der Industrie und 21 Ver¬<lb/> tretern des Handelsstandes. Sodann fällt auf, daß die katholische Geistlichkeit<lb/> ungleich lebhafter an dem Parlamentarismus beteiligt ist als die evangelische.<lb/> Denn es stehen dem Herrn Stöcker sechzehn Amtsgenossen der andern Kon¬<lb/> fession gegenüber. Das Verhältnis der evangelischen Bevölkerung zur katho¬<lb/> lischen ist aber nach der Zählung von 1882: 28,3:16,2. Wir wollen die<lb/> größere Zurückhaltung der evangelischen Geistlichkeit keineswegs tadeln, kon-<lb/> statiren aber, daß der katholische Klerus dieselbe weit weniger übt.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1885. 10</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0081]
Unterlage der Volksvertretung zu bilden. Allerdings wird der Schwerpunkt
der parlamentarischen Thätigkeit damit auf das ökonomische Gebiet verlegt, die
Reichstagsabgeordneten werden weniger Politiker und mehr Vertreter von Inter-
essentengruppen werden. Aber wäre dies zu bedauern?
Bekanntlich hat der Reichskanzler selbst sehr häufig Klage darüber geführt,
daß sich im Reichstage eine Clique berufsmäßiger Parlamentarier festsetze, welche
sich dieser Thätigkeit aus Ehrgeiz oder persönlicher Neigung widmeten und mit
dem Volke nicht die nötige Fühlung hielten. Er hat es kritisirt, daß der Reichs¬
tag überhaupt sich zu viel mit politischen, zu wenig mit ökonomischen Fragen
beschäftige, und hat sowohl durch seine Bauernbriefe als durch andre gelegent¬
liche Kundgebungen die Landgemeinden aufgefordert, das Reichstagsmandat
Personen zu übertragen, welche für die wirtschaftlichen Bedürfnisse mehr Ver¬
ständnis und Interesse hätten.
Es wäre in der That viel natürlicher, wenn die Landwirtschaft durch Land¬
wirte, der Handel durch Mitglieder der Kaufmannschaft, die Industrie durch
Fachmänner ihres Schlages u. f. f. vertreten wären. Dann wäre der Reichstag
nicht bloß eine Versammlung von Experten auf den verschiedensten Gebieten,
sondern die Zahl der letztern würde auch dem numerischen Verhältnis der Be¬
rufsklassen entsprechen. Daß dies gegenwärtig nicht der Fall ist, ergiebt die
Zusammensetzung der jetzt lagerten Versammlung. In dieser wird die Land¬
wirtschaft durch 130, der Handel durch 21, Industrie und Gewerbe durch 41 Mit¬
glieder vertreten. Daneben erscheinen 42 Staatsbeamte, 21 Beamte der Ge¬
meinden und Gemeiudeverbände, 29 Richter und 23 Anwälte, also in Summa
115 Personen von vorwiegend juristischer Bildung, darunter 52 Fachjuristen.
Die katholische Geistlichkeit ist durch 16, die evangelische durch einen, der Lehrer¬
stand durch 15, die Heilkunde durch 6, die Künstlerschaft durch 3 und die Presse
durch 16, darunter 12 Schriftsteller, reprüsentirt. Kunst und Wissenschaft liefern
also uoch ein Kontingent von 5?. Der Rest von 33 umfaßt Rentner, Priva¬
tiers und Leute, welche überhaupt keinen Stand oder keine Thätigkeit ange¬
geben haben.
Diese Berufsstatistik der Abgeordneten bietet manche interessante Vergleiche.
Zunächst springt die große Ziffer in die Augen, welche die wissenschaftlich Ge¬
bildeten, die Staats- und Kvmmunalbeamteu, die Gelehrten ?c. umfaßt. Es
sind deren 172 im Gegensatz zu 41 Vertretern der Industrie und 21 Ver¬
tretern des Handelsstandes. Sodann fällt auf, daß die katholische Geistlichkeit
ungleich lebhafter an dem Parlamentarismus beteiligt ist als die evangelische.
Denn es stehen dem Herrn Stöcker sechzehn Amtsgenossen der andern Kon¬
fession gegenüber. Das Verhältnis der evangelischen Bevölkerung zur katho¬
lischen ist aber nach der Zählung von 1882: 28,3:16,2. Wir wollen die
größere Zurückhaltung der evangelischen Geistlichkeit keineswegs tadeln, kon-
statiren aber, daß der katholische Klerus dieselbe weit weniger übt.
Grenzboten IV. 1885. 10
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