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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Literatur.

einen Gegenstand der Moral war zu halten. Man zog die Themata ans einer
Urne, also die reinste Unparteilichkeit. Folgende Themata werden darum genannt,
weil sie besonders gute Bearbeitungen fanden: Ueber das moralische Bewußtsein
(Gewissen), über Tugend und Glück, die Idee des Rechts im Unterschiede vom
Nützlichen, über das Moralische in der Sympathie, über die Existenz des Mvral-
gesetzes als eines Beweises für das Dasein Gottes, über die verschiedne Art, barm¬
herzig zu sein u. s. w. Auch in neuern Sprachen wurden die Damen geprüft,
diesmal nur nach freier Wahl, während 1886 dieser Teil ebenfalls obligatorisch
sein wird. Zwei von 27 Damen ließen sich im Deutschen Prüfen, 12 im Eng¬
lischen; die deutschen Leistungen werden nur ziemlich gut genannt, die englische"
trW-snxöricmrv8.

Der Bericht hebt energisch hervor, daß die Bildung der weiblichen Jugend in
Frankreich sehr der Hebung bedürfe --, daß mau also den Lehrerinnen etwas zu¬
muten müsse. Freilich sollten sie nicht zur Erzeugung neuer Wahrheiten und
wissenschaftlicher Einsichten erzogen werden, wohl aber zur Verbreitung der von
den Männern erarbeitete" höhern Kultur. Dazu diene vorzüglich die große Ge¬
dächtniskraft der Damen und ihre Fähigkeit, sich alles zu assimiliren.

Unsre Pädagogen, die mit weiblicher Bildung sich befassen, werden erkennen,
ob auch unsre Damen mit den oben gezeichneten Leistungen der Frnnzöfiuuen
wetteifern können oder wetteifern sollen.




Literatur.
Von und ans Schwaben. Geschichte, Biographie, Literatur. Bon Wilhelm Lang.
Erstes und zweites Heft. Stuttgart, 188S.

Wilhelm Lang will in fünf bis sechs Heften Aufsätze vereinigen, welche zum
Teil bereits in verschiednen Zeitschriften erschienen sind und welche durch ihre Be¬
ziehungen aus Schwaben zusammengehalten werde". Die Sammlung ist bunt genug;
ein Porträt Paul Pfizers eröffnet die Reihe, a" die Gedichte Friedrich Straußens
ist eine anziehende Charakteristik des Verfassers als Dichter geknüpft. Für das
Lebensbild Georg Kcrners, des ältern Bruders vou Justinus, konnte Lang unge-
druckte Briefe Kerners an die Familie seiner Braut benutzen, welche manch
interessanten Beitrag zur französischen Revolutionsgeschichte liefern. Georg Kerner,
ein Schüler der Karlsschule, war 179l uach Straßburg und Paris gegangen und
gehörte dort dem Kreise der "deutschen Freunde der Freiheit" an, zu denen Georg
Förster, Wedekind, Faber n. a. in. zählten. Gleich der Mehrzahl seiner Schicksals¬
genossen erlebte er schließlich die bittersten Enttäuschungen, aus ihnen erklärt sich
zumeist das scharfe, schneidende Urteil, welches er in späteren Fahren über das
Land seiner Hoffnungen und Träume fällt. Den Schluß des ersten Heftes bildet
eine köstliche Schilderung des "Franzvseulärmes" vom Jahre 1848, voll tragi¬
komischer Szenen. Als Perle des zweiten Heftes muß der Aufsatz über die ans-


Literatur.

einen Gegenstand der Moral war zu halten. Man zog die Themata ans einer
Urne, also die reinste Unparteilichkeit. Folgende Themata werden darum genannt,
weil sie besonders gute Bearbeitungen fanden: Ueber das moralische Bewußtsein
(Gewissen), über Tugend und Glück, die Idee des Rechts im Unterschiede vom
Nützlichen, über das Moralische in der Sympathie, über die Existenz des Mvral-
gesetzes als eines Beweises für das Dasein Gottes, über die verschiedne Art, barm¬
herzig zu sein u. s. w. Auch in neuern Sprachen wurden die Damen geprüft,
diesmal nur nach freier Wahl, während 1886 dieser Teil ebenfalls obligatorisch
sein wird. Zwei von 27 Damen ließen sich im Deutschen Prüfen, 12 im Eng¬
lischen; die deutschen Leistungen werden nur ziemlich gut genannt, die englische»
trW-snxöricmrv8.

Der Bericht hebt energisch hervor, daß die Bildung der weiblichen Jugend in
Frankreich sehr der Hebung bedürfe —, daß mau also den Lehrerinnen etwas zu¬
muten müsse. Freilich sollten sie nicht zur Erzeugung neuer Wahrheiten und
wissenschaftlicher Einsichten erzogen werden, wohl aber zur Verbreitung der von
den Männern erarbeitete» höhern Kultur. Dazu diene vorzüglich die große Ge¬
dächtniskraft der Damen und ihre Fähigkeit, sich alles zu assimiliren.

Unsre Pädagogen, die mit weiblicher Bildung sich befassen, werden erkennen,
ob auch unsre Damen mit den oben gezeichneten Leistungen der Frnnzöfiuuen
wetteifern können oder wetteifern sollen.




Literatur.
Von und ans Schwaben. Geschichte, Biographie, Literatur. Bon Wilhelm Lang.
Erstes und zweites Heft. Stuttgart, 188S.

Wilhelm Lang will in fünf bis sechs Heften Aufsätze vereinigen, welche zum
Teil bereits in verschiednen Zeitschriften erschienen sind und welche durch ihre Be¬
ziehungen aus Schwaben zusammengehalten werde». Die Sammlung ist bunt genug;
ein Porträt Paul Pfizers eröffnet die Reihe, a» die Gedichte Friedrich Straußens
ist eine anziehende Charakteristik des Verfassers als Dichter geknüpft. Für das
Lebensbild Georg Kcrners, des ältern Bruders vou Justinus, konnte Lang unge-
druckte Briefe Kerners an die Familie seiner Braut benutzen, welche manch
interessanten Beitrag zur französischen Revolutionsgeschichte liefern. Georg Kerner,
ein Schüler der Karlsschule, war 179l uach Straßburg und Paris gegangen und
gehörte dort dem Kreise der „deutschen Freunde der Freiheit" an, zu denen Georg
Förster, Wedekind, Faber n. a. in. zählten. Gleich der Mehrzahl seiner Schicksals¬
genossen erlebte er schließlich die bittersten Enttäuschungen, aus ihnen erklärt sich
zumeist das scharfe, schneidende Urteil, welches er in späteren Fahren über das
Land seiner Hoffnungen und Träume fällt. Den Schluß des ersten Heftes bildet
eine köstliche Schilderung des „Franzvseulärmes" vom Jahre 1848, voll tragi¬
komischer Szenen. Als Perle des zweiten Heftes muß der Aufsatz über die ans-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/674>, abgerufen am 15.01.2025.