Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Städtische Arten und Unarten. Ordnung ist. Ach, wenn doch in den Zwischenzeiten, wo kein Glatteis ist, die Die Hauptursache des Ausgleitens ist freilich, hier wie wohl überall, eine Wir sehen schon die halb verwunderten, halb empörten Blicke, die hier ans Städtische Arten und Unarten. Ordnung ist. Ach, wenn doch in den Zwischenzeiten, wo kein Glatteis ist, die Die Hauptursache des Ausgleitens ist freilich, hier wie wohl überall, eine Wir sehen schon die halb verwunderten, halb empörten Blicke, die hier ans <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0654" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197388"/> <fw type="header" place="top"> Städtische Arten und Unarten.</fw><lb/> <p xml:id="ID_2225" prev="#ID_2224"> Ordnung ist. Ach, wenn doch in den Zwischenzeiten, wo kein Glatteis ist, die<lb/> Straßen aber und besonders die Trottoirs doch jedes wünschenswerte Maß von<lb/> Glätte ausweisen, auch ein Teilchen solcher Fürsorge Platz griffe! In den meisten<lb/> Städten geht allerdings eine unverbürgte Sage, daß, sobald die Trottoirs glatt sind,<lb/> die Vorschrift des Scmdstreueus nnter allen Umständen in Kraft trete; aber mag nun<lb/> diese Vorschrift bestehen oder nicht — gehandhabt wird sie, soweit unsre Kenntnis<lb/> in deutschen Städten reicht, nur ganz vereinzelt. Es scheint überhaupt gerade in<lb/> diesem Punkte, bei dein es sich um die Arme und Beine der Mitbürger handelt,<lb/> eine merkwürdig laxe polizeiliche Praxis zu walten; in der Stadt z. B., die der<lb/> Verfasser gegenwärtig zu bewohnen das Glück hat, ist erst kürzlich wieder mit<lb/> großem Nachdruck an die polizeiliche Vorschrift erinnert worden, daß bei Frost¬<lb/> wetter kein Wasser über die „Trottoirs" getragen werden soll — sehr zweckmäßig,<lb/> weil noch so geringe verschüttete Mengen sich sofort zu gefährlichen glatten Flächen<lb/> gestalten —, aber an Handhabung derselben denkt kein Mensch, man kann fortwährend<lb/> diesen Unfug und seine Folgen beobachten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2226"> Die Hauptursache des Ausgleitens ist freilich, hier wie wohl überall, eine<lb/> andre: es ist das Schüsseln (Schleifen, Guthaben, Schliddern) der lieben Schul¬<lb/> jugend. Sobald sich irgendwo die Möglichkeit zeigt, gehts los; die verehrlichen<lb/> künftigen Vaterlaudsverteidiger und deutschen Jungfrauen halten dann jeden Schritt<lb/> für verloren, den sie nicht schnsselnd zurücklegen, bis jede nicht bestreute Stelle,<lb/> welche halbwegs glatte Stellen aufzuweisen hat, sich in einen Spiegel ver¬<lb/> wandelt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2227" next="#ID_2228"> Wir sehen schon die halb verwunderten, halb empörten Blicke, die hier ans<lb/> uns geworfen werden. „Wie, den armen Kindern soll das harmlose Vergnügen<lb/> verboten werden? Das geht doch über alles Maß?" Bitte um Verzeihung, es<lb/> geht über alles Maß, daß der Leichtsinn unsrer Schuljugend, durch den noch weit<lb/> strafwürdigern Leichtsinn der Erwachsenen unterstützt, jedes Jahr so und so viel<lb/> Arm- und Beinbrüche und noch schlimmere Unfälle verschuldet. Es fällt niemand<lb/> ein, den Kindern das Schüsseln verbieten zu wolle«; bei uus zu Hause haben sich<lb/> die Lehrer selbst an die Spitze dieser lustigen kleinen Uebung gestellt. Es giebt<lb/> auch sonst genng Gelegenheiten dazu. Ueberall, wo Schlittschuh gelaufen wird, läßt<lb/> sich anch eine Schlcifbcchu anlegen, und es wird kaum eine Gasse, ja kaum ein<lb/> Haus geben, in dessen unmittelbarer Nähe sich nicht etwas derartiges in einer<lb/> Weise, welche geduldet werden kaun, Herstellen ließe. Aber die Straße und gar<lb/> das Trottoir belebter Städte ist dazu nicht dn, und zwar umsoweniger, je schöner<lb/> sich in den Angen unnützer Jungen die glatten, ebenen Platten hierzu eignem Es<lb/> ist arg genug, daß das eigne böse Bewußtsein, es seiner Zeit nicht besser gemacht<lb/> zik haben, keinen andern Ausweg weiß, als auf Kohle» des ganzen Publikums nun<lb/> auch die heutige liebe Jugend gewähren zu lassen; Zustimmung und Unterstützung<lb/> verdient diese seltsame Art von Gutmütigkeit, welche jährlich eine Menge von<lb/> Leuten am Geldbeutel und an ihren gefunden Gliedern schädigt, damit nnr ge¬<lb/> dankenlose Kinder sich keine Beschränkungen aufzuerlegen brauchen, sicherlich nicht.<lb/> Gegen solche Unarten sollte endlich einmal mit Ernst vorgegangen werden: von<lb/> der Schule, von der Polizei, vor allem anch vviu Publikum; denn es ist klar, daß<lb/> alle andern Maßregeln nichts nützen, ja uicht einmal zu nachdrücklicher Durchführung<lb/> kommen werden, solange die Stimme des Publikums uicht auf Seiten der öffentlichen<lb/> Ordnung und Sicherheit steht. Der Einzelne ist hier völlig machtlos. Mau kann<lb/> doch nicht jeden der kleinen Uebelthäter greife» und ihm eine Rede etwa folgenden<lb/> Inhalts halten: „Mein wertgeschätzter junger Herr! Sie sehen mir weder dumm</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0654]
Städtische Arten und Unarten.
Ordnung ist. Ach, wenn doch in den Zwischenzeiten, wo kein Glatteis ist, die
Straßen aber und besonders die Trottoirs doch jedes wünschenswerte Maß von
Glätte ausweisen, auch ein Teilchen solcher Fürsorge Platz griffe! In den meisten
Städten geht allerdings eine unverbürgte Sage, daß, sobald die Trottoirs glatt sind,
die Vorschrift des Scmdstreueus nnter allen Umständen in Kraft trete; aber mag nun
diese Vorschrift bestehen oder nicht — gehandhabt wird sie, soweit unsre Kenntnis
in deutschen Städten reicht, nur ganz vereinzelt. Es scheint überhaupt gerade in
diesem Punkte, bei dein es sich um die Arme und Beine der Mitbürger handelt,
eine merkwürdig laxe polizeiliche Praxis zu walten; in der Stadt z. B., die der
Verfasser gegenwärtig zu bewohnen das Glück hat, ist erst kürzlich wieder mit
großem Nachdruck an die polizeiliche Vorschrift erinnert worden, daß bei Frost¬
wetter kein Wasser über die „Trottoirs" getragen werden soll — sehr zweckmäßig,
weil noch so geringe verschüttete Mengen sich sofort zu gefährlichen glatten Flächen
gestalten —, aber an Handhabung derselben denkt kein Mensch, man kann fortwährend
diesen Unfug und seine Folgen beobachten.
Die Hauptursache des Ausgleitens ist freilich, hier wie wohl überall, eine
andre: es ist das Schüsseln (Schleifen, Guthaben, Schliddern) der lieben Schul¬
jugend. Sobald sich irgendwo die Möglichkeit zeigt, gehts los; die verehrlichen
künftigen Vaterlaudsverteidiger und deutschen Jungfrauen halten dann jeden Schritt
für verloren, den sie nicht schnsselnd zurücklegen, bis jede nicht bestreute Stelle,
welche halbwegs glatte Stellen aufzuweisen hat, sich in einen Spiegel ver¬
wandelt.
Wir sehen schon die halb verwunderten, halb empörten Blicke, die hier ans
uns geworfen werden. „Wie, den armen Kindern soll das harmlose Vergnügen
verboten werden? Das geht doch über alles Maß?" Bitte um Verzeihung, es
geht über alles Maß, daß der Leichtsinn unsrer Schuljugend, durch den noch weit
strafwürdigern Leichtsinn der Erwachsenen unterstützt, jedes Jahr so und so viel
Arm- und Beinbrüche und noch schlimmere Unfälle verschuldet. Es fällt niemand
ein, den Kindern das Schüsseln verbieten zu wolle«; bei uus zu Hause haben sich
die Lehrer selbst an die Spitze dieser lustigen kleinen Uebung gestellt. Es giebt
auch sonst genng Gelegenheiten dazu. Ueberall, wo Schlittschuh gelaufen wird, läßt
sich anch eine Schlcifbcchu anlegen, und es wird kaum eine Gasse, ja kaum ein
Haus geben, in dessen unmittelbarer Nähe sich nicht etwas derartiges in einer
Weise, welche geduldet werden kaun, Herstellen ließe. Aber die Straße und gar
das Trottoir belebter Städte ist dazu nicht dn, und zwar umsoweniger, je schöner
sich in den Angen unnützer Jungen die glatten, ebenen Platten hierzu eignem Es
ist arg genug, daß das eigne böse Bewußtsein, es seiner Zeit nicht besser gemacht
zik haben, keinen andern Ausweg weiß, als auf Kohle» des ganzen Publikums nun
auch die heutige liebe Jugend gewähren zu lassen; Zustimmung und Unterstützung
verdient diese seltsame Art von Gutmütigkeit, welche jährlich eine Menge von
Leuten am Geldbeutel und an ihren gefunden Gliedern schädigt, damit nnr ge¬
dankenlose Kinder sich keine Beschränkungen aufzuerlegen brauchen, sicherlich nicht.
Gegen solche Unarten sollte endlich einmal mit Ernst vorgegangen werden: von
der Schule, von der Polizei, vor allem anch vviu Publikum; denn es ist klar, daß
alle andern Maßregeln nichts nützen, ja uicht einmal zu nachdrücklicher Durchführung
kommen werden, solange die Stimme des Publikums uicht auf Seiten der öffentlichen
Ordnung und Sicherheit steht. Der Einzelne ist hier völlig machtlos. Mau kann
doch nicht jeden der kleinen Uebelthäter greife» und ihm eine Rede etwa folgenden
Inhalts halten: „Mein wertgeschätzter junger Herr! Sie sehen mir weder dumm
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