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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Aber so arg wird es ja nicht werden müssen, wirft man ein. Man kann
ja Bürgschaften gegen Willkür und Mißbrauch fordern. Dann aber muß man
die Idee fahren lassen, die Homeruler zufrieden zu stellen. Ein Irland, dessen
Parlament keine die erwähnten Klassen seiner Gesellschaft schädigenden Gesetze
erlassen dürfte, würde nicht unabhängig sein, und Unabhängigkeit, nicht Lvlal-
regierung ist das Ziel der Parnellitcn. Man hat vorgeschlagen, Irland eine
Stellung zu gewähren, wie sie die einzelnen Staaten in der nordamerikanischen
Union einnehmen. Aber das entspräche dem Gedanken, der die irische Bewegung
treibt, durchaus nicht. In allen Staaten Nordamerikas ist die Verfassung der
Union das oberste Gesetz des Landes, und der oberste Gerichtshof kann jeden
Beschluß der Gesetzgebung eines Svnderstaates sofort für null und nichtig er¬
klären, wenn er diese Verfassung verletzt. Irland, soweit es zur Partei Parnells
gehört, würde eine derartige Stellung nimmermehr annehmen. Einer von den
Führern derselben hat auf das Beispiel Kanadas hingewiesen. Irland würde,
wenn man sein Verhältnis zu Großbritannien wie das dieser Kolonie gestalten
wollte, dem britischen Reiche nichts zu zahlen und nichts mit dessen Politik, nichts
mit dessen Zollsystem zu schaffen haben. Es würde befugt sein, eine Miliz für
innere Zwecke zu halten, aber keine Armee, keine Kriegsflotte nud keine aus¬
wärtige Politik haben. Ein derartiges Verhältnis ist bei Kanada das Glied
einer natürlichen Entwicklung und für dieses wie für England erträglich, weil
jenes von diesem sechshundert Meilen entfernt liegt, weil gänzliche Unabhängig¬
keit eine Last wäre, welche die Kanadier nicht gern auf ihre Schultern nehmen
würden, und weil mit dem Wachstum Kanadas auch dessen loyale Gesinnung
gewachsen ist. Ein Irland dagegen, welches in solcher Weise von England getrennt
wäre, würde Leuten, die sich der Aufstünde in den letzten hundert Jahren und
der Namen Wolfe Tone. Smith, O'Brien, Mitchel, Davis und Meagher erinnern,
als ein klägliches Ergebnis so vieler Anstrengungen erscheinen. Die große Mehr¬
zahl der irischen Patrioten verlangt etwas andres als eine abgeschlossne Insel,
die in der großen Politik keine Rolle spielen darf, sie will ein Irland, wie es
ihre Poeten und Politiker vor Augen hatten, ein Irland mit eignen, Heer, eigner
Flotte und eigner auswärtiger Politik. Das ist ihr Streben und ihre Hoffnung,
und zwischen dem und der jetzigen Union mit England, Schottland und Wales
giebt es für sie keinen Mittelzustand, der sie dauernd zu befriedigen vermöchte,
der mehr als eine bloße Haltestelle auf dem Wege zum Ziele sein könnte. Pro¬
visorische Abmachungen wie die, welche in Kilmainham. Hawarden und sonstwo
zu stände käme", würden immer mir als Abzahlungen auf das eigentliche Gut¬
haben angesehen werden, immer mir, und zwar je mehr dabei gewährt wäre,
desto gefährlichere Ursachen zu Streit, Auflehnung und Kampf sein.

Es giebt nicht wenige Politiker, welche der Meinung sind, daß sowohl für
England als für Irland eine schleunige und vollständige Trennung in jeder
Hinsicht besser sein würde als eine Art Kesselflickerpolitik, deren Vorschläge,


Aber so arg wird es ja nicht werden müssen, wirft man ein. Man kann
ja Bürgschaften gegen Willkür und Mißbrauch fordern. Dann aber muß man
die Idee fahren lassen, die Homeruler zufrieden zu stellen. Ein Irland, dessen
Parlament keine die erwähnten Klassen seiner Gesellschaft schädigenden Gesetze
erlassen dürfte, würde nicht unabhängig sein, und Unabhängigkeit, nicht Lvlal-
regierung ist das Ziel der Parnellitcn. Man hat vorgeschlagen, Irland eine
Stellung zu gewähren, wie sie die einzelnen Staaten in der nordamerikanischen
Union einnehmen. Aber das entspräche dem Gedanken, der die irische Bewegung
treibt, durchaus nicht. In allen Staaten Nordamerikas ist die Verfassung der
Union das oberste Gesetz des Landes, und der oberste Gerichtshof kann jeden
Beschluß der Gesetzgebung eines Svnderstaates sofort für null und nichtig er¬
klären, wenn er diese Verfassung verletzt. Irland, soweit es zur Partei Parnells
gehört, würde eine derartige Stellung nimmermehr annehmen. Einer von den
Führern derselben hat auf das Beispiel Kanadas hingewiesen. Irland würde,
wenn man sein Verhältnis zu Großbritannien wie das dieser Kolonie gestalten
wollte, dem britischen Reiche nichts zu zahlen und nichts mit dessen Politik, nichts
mit dessen Zollsystem zu schaffen haben. Es würde befugt sein, eine Miliz für
innere Zwecke zu halten, aber keine Armee, keine Kriegsflotte nud keine aus¬
wärtige Politik haben. Ein derartiges Verhältnis ist bei Kanada das Glied
einer natürlichen Entwicklung und für dieses wie für England erträglich, weil
jenes von diesem sechshundert Meilen entfernt liegt, weil gänzliche Unabhängig¬
keit eine Last wäre, welche die Kanadier nicht gern auf ihre Schultern nehmen
würden, und weil mit dem Wachstum Kanadas auch dessen loyale Gesinnung
gewachsen ist. Ein Irland dagegen, welches in solcher Weise von England getrennt
wäre, würde Leuten, die sich der Aufstünde in den letzten hundert Jahren und
der Namen Wolfe Tone. Smith, O'Brien, Mitchel, Davis und Meagher erinnern,
als ein klägliches Ergebnis so vieler Anstrengungen erscheinen. Die große Mehr¬
zahl der irischen Patrioten verlangt etwas andres als eine abgeschlossne Insel,
die in der großen Politik keine Rolle spielen darf, sie will ein Irland, wie es
ihre Poeten und Politiker vor Augen hatten, ein Irland mit eignen, Heer, eigner
Flotte und eigner auswärtiger Politik. Das ist ihr Streben und ihre Hoffnung,
und zwischen dem und der jetzigen Union mit England, Schottland und Wales
giebt es für sie keinen Mittelzustand, der sie dauernd zu befriedigen vermöchte,
der mehr als eine bloße Haltestelle auf dem Wege zum Ziele sein könnte. Pro¬
visorische Abmachungen wie die, welche in Kilmainham. Hawarden und sonstwo
zu stände käme», würden immer mir als Abzahlungen auf das eigentliche Gut¬
haben angesehen werden, immer mir, und zwar je mehr dabei gewährt wäre,
desto gefährlichere Ursachen zu Streit, Auflehnung und Kampf sein.

Es giebt nicht wenige Politiker, welche der Meinung sind, daß sowohl für
England als für Irland eine schleunige und vollständige Trennung in jeder
Hinsicht besser sein würde als eine Art Kesselflickerpolitik, deren Vorschläge,


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[0631] Aber so arg wird es ja nicht werden müssen, wirft man ein. Man kann ja Bürgschaften gegen Willkür und Mißbrauch fordern. Dann aber muß man die Idee fahren lassen, die Homeruler zufrieden zu stellen. Ein Irland, dessen Parlament keine die erwähnten Klassen seiner Gesellschaft schädigenden Gesetze erlassen dürfte, würde nicht unabhängig sein, und Unabhängigkeit, nicht Lvlal- regierung ist das Ziel der Parnellitcn. Man hat vorgeschlagen, Irland eine Stellung zu gewähren, wie sie die einzelnen Staaten in der nordamerikanischen Union einnehmen. Aber das entspräche dem Gedanken, der die irische Bewegung treibt, durchaus nicht. In allen Staaten Nordamerikas ist die Verfassung der Union das oberste Gesetz des Landes, und der oberste Gerichtshof kann jeden Beschluß der Gesetzgebung eines Svnderstaates sofort für null und nichtig er¬ klären, wenn er diese Verfassung verletzt. Irland, soweit es zur Partei Parnells gehört, würde eine derartige Stellung nimmermehr annehmen. Einer von den Führern derselben hat auf das Beispiel Kanadas hingewiesen. Irland würde, wenn man sein Verhältnis zu Großbritannien wie das dieser Kolonie gestalten wollte, dem britischen Reiche nichts zu zahlen und nichts mit dessen Politik, nichts mit dessen Zollsystem zu schaffen haben. Es würde befugt sein, eine Miliz für innere Zwecke zu halten, aber keine Armee, keine Kriegsflotte nud keine aus¬ wärtige Politik haben. Ein derartiges Verhältnis ist bei Kanada das Glied einer natürlichen Entwicklung und für dieses wie für England erträglich, weil jenes von diesem sechshundert Meilen entfernt liegt, weil gänzliche Unabhängig¬ keit eine Last wäre, welche die Kanadier nicht gern auf ihre Schultern nehmen würden, und weil mit dem Wachstum Kanadas auch dessen loyale Gesinnung gewachsen ist. Ein Irland dagegen, welches in solcher Weise von England getrennt wäre, würde Leuten, die sich der Aufstünde in den letzten hundert Jahren und der Namen Wolfe Tone. Smith, O'Brien, Mitchel, Davis und Meagher erinnern, als ein klägliches Ergebnis so vieler Anstrengungen erscheinen. Die große Mehr¬ zahl der irischen Patrioten verlangt etwas andres als eine abgeschlossne Insel, die in der großen Politik keine Rolle spielen darf, sie will ein Irland, wie es ihre Poeten und Politiker vor Augen hatten, ein Irland mit eignen, Heer, eigner Flotte und eigner auswärtiger Politik. Das ist ihr Streben und ihre Hoffnung, und zwischen dem und der jetzigen Union mit England, Schottland und Wales giebt es für sie keinen Mittelzustand, der sie dauernd zu befriedigen vermöchte, der mehr als eine bloße Haltestelle auf dem Wege zum Ziele sein könnte. Pro¬ visorische Abmachungen wie die, welche in Kilmainham. Hawarden und sonstwo zu stände käme», würden immer mir als Abzahlungen auf das eigentliche Gut¬ haben angesehen werden, immer mir, und zwar je mehr dabei gewährt wäre, desto gefährlichere Ursachen zu Streit, Auflehnung und Kampf sein. Es giebt nicht wenige Politiker, welche der Meinung sind, daß sowohl für England als für Irland eine schleunige und vollständige Trennung in jeder Hinsicht besser sein würde als eine Art Kesselflickerpolitik, deren Vorschläge,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/631>, abgerufen am 15.01.2025.