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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Und Deutschland?

Hört gleichfalls auf.

So! unser mühsam errichtetes deutsches Reich wollen Sie wieder in Stücken
schlagen?

Es thut mir leid, aber wir können nicht anders. Glcinbeu Sie denn, ein
aufrecht stehendes Deutschland würde neben sich ein nihilistisches Rußland dulden?

Da haben Sie Recht. Aber was soll denn an die Stelle des jetzigen
Staates treten?

Nun, die Anarchie.

Gott bewahre uns!

Ja ja, das macht Ihnen Gänsehaut! Sie denken sich natürlich unter Anarchie
einen Zustand, Herr Baron, bei dem alles drunter und drüber geht?

Na, was denn sonst?

Verstehen Sie Griechisch?
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Ich sehe schon nun übersetzen Sie mir dei/"L,/,'et wörtlich.

Die Hcrrscherlosigkeit.

Ganz recht, die Hcrrscherlosigkeit, und eben diese wollen wir. Ist das
gleichbedeutend mit Gesetzlosigkeit und Unordnung? Kann nicht die größte und
schönste Ordnung bestehen, ja wird sie nicht gerade da bestehen, wo kein Mensch
das Recht und die Macht hat, dein andern seinen Willen aufzudrängen, wo
niemand einem andern Herrscher unterworfen ist, als dem Gesetze und der
Stimme des eignen Gewissens?

Lieber Herr Doktor, darüber wollen wir ein andermal streiten. Ich komme
auf unsern Hammel zurück: irgendwie muß doch selbst die Anarchie organisirt
sein -- was wollen Sie an die Stelle dessen setzen, was Sie zerstören?

Die einfachste Organisation, welche denkbar ist: die autonome Gemeinde.

Das verstehe ich. Aber es kommt doch auf dasselbe hinaus. Denn es
werden dann doch Wohl wieder eine Anzahl autonomer Gemeinden eine Provinz
bilden, und eine Anzahl von Provinzen einen Staat.

Ob die Vereinigung mehrerer Gemeinden zu einer Provinz nötig oder zweck¬
mäßig sein wird, das ist eine offne Frage. Die Vereinigung von Provinzen
zu einem Staate verwerfen wir unbedingt. Damit wäre nur das alte Nußland
wieder fertig, und natürlich auch die alte Freundschaft und Feindschaft zwischen
den einzelnen Völkern und alles, was daran hängt. Dem aber wollen wir vor¬
bauen. Die Gemeinde wird ausreichen, um alle Zwecke des menschlichen Zu¬
sammenlebens zu erfüllen.

Schön! Wie groß wollen Sie denn eine solche Gemeinde machen?

Wir werden am besten thun, an das Bestehende anzuknüpfen. Es wird nichts
im Wege stehe", die jetzt in Nußland vorhandnen Dorfgemeinden beizubehalten.
Das weitere wird sich finden.


Und Deutschland?

Hört gleichfalls auf.

So! unser mühsam errichtetes deutsches Reich wollen Sie wieder in Stücken
schlagen?

Es thut mir leid, aber wir können nicht anders. Glcinbeu Sie denn, ein
aufrecht stehendes Deutschland würde neben sich ein nihilistisches Rußland dulden?

Da haben Sie Recht. Aber was soll denn an die Stelle des jetzigen
Staates treten?

Nun, die Anarchie.

Gott bewahre uns!

Ja ja, das macht Ihnen Gänsehaut! Sie denken sich natürlich unter Anarchie
einen Zustand, Herr Baron, bei dem alles drunter und drüber geht?

Na, was denn sonst?

Verstehen Sie Griechisch?
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Ich sehe schon nun übersetzen Sie mir dei/«L,/,'et wörtlich.

Die Hcrrscherlosigkeit.

Ganz recht, die Hcrrscherlosigkeit, und eben diese wollen wir. Ist das
gleichbedeutend mit Gesetzlosigkeit und Unordnung? Kann nicht die größte und
schönste Ordnung bestehen, ja wird sie nicht gerade da bestehen, wo kein Mensch
das Recht und die Macht hat, dein andern seinen Willen aufzudrängen, wo
niemand einem andern Herrscher unterworfen ist, als dem Gesetze und der
Stimme des eignen Gewissens?

Lieber Herr Doktor, darüber wollen wir ein andermal streiten. Ich komme
auf unsern Hammel zurück: irgendwie muß doch selbst die Anarchie organisirt
sein — was wollen Sie an die Stelle dessen setzen, was Sie zerstören?

Die einfachste Organisation, welche denkbar ist: die autonome Gemeinde.

Das verstehe ich. Aber es kommt doch auf dasselbe hinaus. Denn es
werden dann doch Wohl wieder eine Anzahl autonomer Gemeinden eine Provinz
bilden, und eine Anzahl von Provinzen einen Staat.

Ob die Vereinigung mehrerer Gemeinden zu einer Provinz nötig oder zweck¬
mäßig sein wird, das ist eine offne Frage. Die Vereinigung von Provinzen
zu einem Staate verwerfen wir unbedingt. Damit wäre nur das alte Nußland
wieder fertig, und natürlich auch die alte Freundschaft und Feindschaft zwischen
den einzelnen Völkern und alles, was daran hängt. Dem aber wollen wir vor¬
bauen. Die Gemeinde wird ausreichen, um alle Zwecke des menschlichen Zu¬
sammenlebens zu erfüllen.

Schön! Wie groß wollen Sie denn eine solche Gemeinde machen?

Wir werden am besten thun, an das Bestehende anzuknüpfen. Es wird nichts
im Wege stehe«, die jetzt in Nußland vorhandnen Dorfgemeinden beizubehalten.
Das weitere wird sich finden.


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[0612] Und Deutschland? Hört gleichfalls auf. So! unser mühsam errichtetes deutsches Reich wollen Sie wieder in Stücken schlagen? Es thut mir leid, aber wir können nicht anders. Glcinbeu Sie denn, ein aufrecht stehendes Deutschland würde neben sich ein nihilistisches Rußland dulden? Da haben Sie Recht. Aber was soll denn an die Stelle des jetzigen Staates treten? Nun, die Anarchie. Gott bewahre uns! Ja ja, das macht Ihnen Gänsehaut! Sie denken sich natürlich unter Anarchie einen Zustand, Herr Baron, bei dem alles drunter und drüber geht? Na, was denn sonst? Verstehen Sie Griechisch? ' M)?.«c)^f/>in-' Xtt^>« — Ich sehe schon nun übersetzen Sie mir dei/«L,/,'et wörtlich. Die Hcrrscherlosigkeit. Ganz recht, die Hcrrscherlosigkeit, und eben diese wollen wir. Ist das gleichbedeutend mit Gesetzlosigkeit und Unordnung? Kann nicht die größte und schönste Ordnung bestehen, ja wird sie nicht gerade da bestehen, wo kein Mensch das Recht und die Macht hat, dein andern seinen Willen aufzudrängen, wo niemand einem andern Herrscher unterworfen ist, als dem Gesetze und der Stimme des eignen Gewissens? Lieber Herr Doktor, darüber wollen wir ein andermal streiten. Ich komme auf unsern Hammel zurück: irgendwie muß doch selbst die Anarchie organisirt sein — was wollen Sie an die Stelle dessen setzen, was Sie zerstören? Die einfachste Organisation, welche denkbar ist: die autonome Gemeinde. Das verstehe ich. Aber es kommt doch auf dasselbe hinaus. Denn es werden dann doch Wohl wieder eine Anzahl autonomer Gemeinden eine Provinz bilden, und eine Anzahl von Provinzen einen Staat. Ob die Vereinigung mehrerer Gemeinden zu einer Provinz nötig oder zweck¬ mäßig sein wird, das ist eine offne Frage. Die Vereinigung von Provinzen zu einem Staate verwerfen wir unbedingt. Damit wäre nur das alte Nußland wieder fertig, und natürlich auch die alte Freundschaft und Feindschaft zwischen den einzelnen Völkern und alles, was daran hängt. Dem aber wollen wir vor¬ bauen. Die Gemeinde wird ausreichen, um alle Zwecke des menschlichen Zu¬ sammenlebens zu erfüllen. Schön! Wie groß wollen Sie denn eine solche Gemeinde machen? Wir werden am besten thun, an das Bestehende anzuknüpfen. Es wird nichts im Wege stehe«, die jetzt in Nußland vorhandnen Dorfgemeinden beizubehalten. Das weitere wird sich finden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/612>, abgerufen am 15.01.2025.