Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Mein Freund der Nihilist.

täglich fünf Stunden mit seiner Frau znscnnmenscin. Kürzlich lief durch alle
Zeitungen die Nachricht, Grevh werde ihn begnadigen; Grcvy denkt aber gar¬
nicht daran -- das würde Rußland vor den Kopf stoßen, und Nußland muß
man wegen des künftigen Revanchekrieges warm halten. Nicht ein Tag von
seinen fünf Jahren wird Krapotkin erlassen werden. Vielleicht wird dann seine
Gesundheit völlig dahin sein, und doch wird er nie seiner Sache untren werden;
und noch weniger wird es die Fürstin, eine noch feurigere Nihilistin als er.
Nehmen Sie hier Krapottins Broschüre ^ux Muvs Apus, lesen Sie sie, und
dann sagen Sie mir, ob nicht aus jeder Zeile eine durchaus edle und ideale
Gesinnung hervorleuchtet. Ja, das sind andre Menschen als Ihre deutschen
Führer der Sozialdemokratin denen es meist nur darauf ankommt, von den
mühsam zusammengebrachten Pfennigen der Arbeiter ein behagliches Leben zu
führen und später in der sozialdemokratischen Republik hoch oben zu stehen
wenn sie es nicht inzwischen vorziehen, eine einträgliche Stelle bei der geheimen
Polizei anzunehmen. Mit solchem Gebcchren haben wir nichts gemein!

Was Sie mir sagen, überrascht mich aufs höchste. Aber ist nicht doch
auch Krapotkin eine vereinzelte Erscheinung?

Durchaus nicht. Sie glauben nicht, wie voll von Nihilisten Petersburg
ist. Begegne ich einem jungen Manne mit geistreichem Gesicht und stolzem
Gange, ich sehe ihn an, ich fühle unwillkürlich: das ist ein Revolutionär, er
erwiedert meinen Blick, ohne ein Wort zu wechseln wissen wir, wir sympathisiren,
und der Tag des Kampfes wird uns vereinigt finden. Glauben Sie ja nicht,
die Aristokratie stehe dem Nihilismus feindlich gegenüber, auch sie ist der Tyrannei
des Zaren und vor allem der entsetzlichen Beamtenwirtschaft müde -- gerade
aus ihren Reihen werden unsre Vorkämpfer hervorgehen. Ich wiederhole es:
nichts ist unrichtiger, als daß die Nihilisten hergelaufenes Volk seien. Die ersten
unter ihnen, welche ihr Beginnen mit dem Tode büßten, die Decembriseurs
von 1825, gehörten ausnahmslos der Blüte des Adels an. Auch später war
es so -- Alexander Hertzen war ein sehr reicher Edelmann von hoher Bildung,
B.ckuuin ein Gelehrter; Karakasvff fand nach seinem Attentate auf den Zaren
bei einer Prinzessin Zuflucht; viele Damen aus den höchsten Ständen treibt ihr
mitleidiges Herz in unsre Reihen; unsre Emissäre, welche als Handwerker u. dergl.
sich unter das Volk mischen, um die nihilistische Lehre zu verbreiten, sind meist
Söhne reicher Familien. Vor allem in der Armee hat der Nihilismus zahl¬
reiche Anhänger. Sie hören ab und zu, daß ein Offizier als Nihilist gehängt
wird -- Baron Stromberg war der letzte --, aber wie viele spurlos verschwinden
und in den Bergwerken Sibiriens ihr Leben enden, erfahren Sie nicht. Ja,
noch tausende von Opfern wird unsre Sache kosten, aber siegeri wird sie endlich --
verlassen Sie sich darauf!

Sie sprechen von Deeembrisenrs aus dem Jahre 1825 -- ist denn der
Nihilismus wirklich so alt?


Mein Freund der Nihilist.

täglich fünf Stunden mit seiner Frau znscnnmenscin. Kürzlich lief durch alle
Zeitungen die Nachricht, Grevh werde ihn begnadigen; Grcvy denkt aber gar¬
nicht daran — das würde Rußland vor den Kopf stoßen, und Nußland muß
man wegen des künftigen Revanchekrieges warm halten. Nicht ein Tag von
seinen fünf Jahren wird Krapotkin erlassen werden. Vielleicht wird dann seine
Gesundheit völlig dahin sein, und doch wird er nie seiner Sache untren werden;
und noch weniger wird es die Fürstin, eine noch feurigere Nihilistin als er.
Nehmen Sie hier Krapottins Broschüre ^ux Muvs Apus, lesen Sie sie, und
dann sagen Sie mir, ob nicht aus jeder Zeile eine durchaus edle und ideale
Gesinnung hervorleuchtet. Ja, das sind andre Menschen als Ihre deutschen
Führer der Sozialdemokratin denen es meist nur darauf ankommt, von den
mühsam zusammengebrachten Pfennigen der Arbeiter ein behagliches Leben zu
führen und später in der sozialdemokratischen Republik hoch oben zu stehen
wenn sie es nicht inzwischen vorziehen, eine einträgliche Stelle bei der geheimen
Polizei anzunehmen. Mit solchem Gebcchren haben wir nichts gemein!

Was Sie mir sagen, überrascht mich aufs höchste. Aber ist nicht doch
auch Krapotkin eine vereinzelte Erscheinung?

Durchaus nicht. Sie glauben nicht, wie voll von Nihilisten Petersburg
ist. Begegne ich einem jungen Manne mit geistreichem Gesicht und stolzem
Gange, ich sehe ihn an, ich fühle unwillkürlich: das ist ein Revolutionär, er
erwiedert meinen Blick, ohne ein Wort zu wechseln wissen wir, wir sympathisiren,
und der Tag des Kampfes wird uns vereinigt finden. Glauben Sie ja nicht,
die Aristokratie stehe dem Nihilismus feindlich gegenüber, auch sie ist der Tyrannei
des Zaren und vor allem der entsetzlichen Beamtenwirtschaft müde — gerade
aus ihren Reihen werden unsre Vorkämpfer hervorgehen. Ich wiederhole es:
nichts ist unrichtiger, als daß die Nihilisten hergelaufenes Volk seien. Die ersten
unter ihnen, welche ihr Beginnen mit dem Tode büßten, die Decembriseurs
von 1825, gehörten ausnahmslos der Blüte des Adels an. Auch später war
es so — Alexander Hertzen war ein sehr reicher Edelmann von hoher Bildung,
B.ckuuin ein Gelehrter; Karakasvff fand nach seinem Attentate auf den Zaren
bei einer Prinzessin Zuflucht; viele Damen aus den höchsten Ständen treibt ihr
mitleidiges Herz in unsre Reihen; unsre Emissäre, welche als Handwerker u. dergl.
sich unter das Volk mischen, um die nihilistische Lehre zu verbreiten, sind meist
Söhne reicher Familien. Vor allem in der Armee hat der Nihilismus zahl¬
reiche Anhänger. Sie hören ab und zu, daß ein Offizier als Nihilist gehängt
wird — Baron Stromberg war der letzte —, aber wie viele spurlos verschwinden
und in den Bergwerken Sibiriens ihr Leben enden, erfahren Sie nicht. Ja,
noch tausende von Opfern wird unsre Sache kosten, aber siegeri wird sie endlich —
verlassen Sie sich darauf!

Sie sprechen von Deeembrisenrs aus dem Jahre 1825 — ist denn der
Nihilismus wirklich so alt?


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0605" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197339"/>
          <fw type="header" place="top"> Mein Freund der Nihilist.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1986" prev="#ID_1985"> täglich fünf Stunden mit seiner Frau znscnnmenscin. Kürzlich lief durch alle<lb/>
Zeitungen die Nachricht, Grevh werde ihn begnadigen; Grcvy denkt aber gar¬<lb/>
nicht daran &#x2014; das würde Rußland vor den Kopf stoßen, und Nußland muß<lb/>
man wegen des künftigen Revanchekrieges warm halten. Nicht ein Tag von<lb/>
seinen fünf Jahren wird Krapotkin erlassen werden. Vielleicht wird dann seine<lb/>
Gesundheit völlig dahin sein, und doch wird er nie seiner Sache untren werden;<lb/>
und noch weniger wird es die Fürstin, eine noch feurigere Nihilistin als er.<lb/>
Nehmen Sie hier Krapottins Broschüre ^ux Muvs Apus, lesen Sie sie, und<lb/>
dann sagen Sie mir, ob nicht aus jeder Zeile eine durchaus edle und ideale<lb/>
Gesinnung hervorleuchtet. Ja, das sind andre Menschen als Ihre deutschen<lb/>
Führer der Sozialdemokratin denen es meist nur darauf ankommt, von den<lb/>
mühsam zusammengebrachten Pfennigen der Arbeiter ein behagliches Leben zu<lb/>
führen und später in der sozialdemokratischen Republik hoch oben zu stehen<lb/>
wenn sie es nicht inzwischen vorziehen, eine einträgliche Stelle bei der geheimen<lb/>
Polizei anzunehmen.  Mit solchem Gebcchren haben wir nichts gemein!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1987"> Was Sie mir sagen, überrascht mich aufs höchste. Aber ist nicht doch<lb/>
auch Krapotkin eine vereinzelte Erscheinung?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1988"> Durchaus nicht. Sie glauben nicht, wie voll von Nihilisten Petersburg<lb/>
ist. Begegne ich einem jungen Manne mit geistreichem Gesicht und stolzem<lb/>
Gange, ich sehe ihn an, ich fühle unwillkürlich: das ist ein Revolutionär, er<lb/>
erwiedert meinen Blick, ohne ein Wort zu wechseln wissen wir, wir sympathisiren,<lb/>
und der Tag des Kampfes wird uns vereinigt finden. Glauben Sie ja nicht,<lb/>
die Aristokratie stehe dem Nihilismus feindlich gegenüber, auch sie ist der Tyrannei<lb/>
des Zaren und vor allem der entsetzlichen Beamtenwirtschaft müde &#x2014; gerade<lb/>
aus ihren Reihen werden unsre Vorkämpfer hervorgehen. Ich wiederhole es:<lb/>
nichts ist unrichtiger, als daß die Nihilisten hergelaufenes Volk seien. Die ersten<lb/>
unter ihnen, welche ihr Beginnen mit dem Tode büßten, die Decembriseurs<lb/>
von 1825, gehörten ausnahmslos der Blüte des Adels an. Auch später war<lb/>
es so &#x2014; Alexander Hertzen war ein sehr reicher Edelmann von hoher Bildung,<lb/>
B.ckuuin ein Gelehrter; Karakasvff fand nach seinem Attentate auf den Zaren<lb/>
bei einer Prinzessin Zuflucht; viele Damen aus den höchsten Ständen treibt ihr<lb/>
mitleidiges Herz in unsre Reihen; unsre Emissäre, welche als Handwerker u. dergl.<lb/>
sich unter das Volk mischen, um die nihilistische Lehre zu verbreiten, sind meist<lb/>
Söhne reicher Familien. Vor allem in der Armee hat der Nihilismus zahl¬<lb/>
reiche Anhänger. Sie hören ab und zu, daß ein Offizier als Nihilist gehängt<lb/>
wird &#x2014; Baron Stromberg war der letzte &#x2014;, aber wie viele spurlos verschwinden<lb/>
und in den Bergwerken Sibiriens ihr Leben enden, erfahren Sie nicht. Ja,<lb/>
noch tausende von Opfern wird unsre Sache kosten, aber siegeri wird sie endlich &#x2014;<lb/>
verlassen Sie sich darauf!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1989"> Sie sprechen von Deeembrisenrs aus dem Jahre 1825 &#x2014; ist denn der<lb/>
Nihilismus wirklich so alt?</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0605] Mein Freund der Nihilist. täglich fünf Stunden mit seiner Frau znscnnmenscin. Kürzlich lief durch alle Zeitungen die Nachricht, Grevh werde ihn begnadigen; Grcvy denkt aber gar¬ nicht daran — das würde Rußland vor den Kopf stoßen, und Nußland muß man wegen des künftigen Revanchekrieges warm halten. Nicht ein Tag von seinen fünf Jahren wird Krapotkin erlassen werden. Vielleicht wird dann seine Gesundheit völlig dahin sein, und doch wird er nie seiner Sache untren werden; und noch weniger wird es die Fürstin, eine noch feurigere Nihilistin als er. Nehmen Sie hier Krapottins Broschüre ^ux Muvs Apus, lesen Sie sie, und dann sagen Sie mir, ob nicht aus jeder Zeile eine durchaus edle und ideale Gesinnung hervorleuchtet. Ja, das sind andre Menschen als Ihre deutschen Führer der Sozialdemokratin denen es meist nur darauf ankommt, von den mühsam zusammengebrachten Pfennigen der Arbeiter ein behagliches Leben zu führen und später in der sozialdemokratischen Republik hoch oben zu stehen wenn sie es nicht inzwischen vorziehen, eine einträgliche Stelle bei der geheimen Polizei anzunehmen. Mit solchem Gebcchren haben wir nichts gemein! Was Sie mir sagen, überrascht mich aufs höchste. Aber ist nicht doch auch Krapotkin eine vereinzelte Erscheinung? Durchaus nicht. Sie glauben nicht, wie voll von Nihilisten Petersburg ist. Begegne ich einem jungen Manne mit geistreichem Gesicht und stolzem Gange, ich sehe ihn an, ich fühle unwillkürlich: das ist ein Revolutionär, er erwiedert meinen Blick, ohne ein Wort zu wechseln wissen wir, wir sympathisiren, und der Tag des Kampfes wird uns vereinigt finden. Glauben Sie ja nicht, die Aristokratie stehe dem Nihilismus feindlich gegenüber, auch sie ist der Tyrannei des Zaren und vor allem der entsetzlichen Beamtenwirtschaft müde — gerade aus ihren Reihen werden unsre Vorkämpfer hervorgehen. Ich wiederhole es: nichts ist unrichtiger, als daß die Nihilisten hergelaufenes Volk seien. Die ersten unter ihnen, welche ihr Beginnen mit dem Tode büßten, die Decembriseurs von 1825, gehörten ausnahmslos der Blüte des Adels an. Auch später war es so — Alexander Hertzen war ein sehr reicher Edelmann von hoher Bildung, B.ckuuin ein Gelehrter; Karakasvff fand nach seinem Attentate auf den Zaren bei einer Prinzessin Zuflucht; viele Damen aus den höchsten Ständen treibt ihr mitleidiges Herz in unsre Reihen; unsre Emissäre, welche als Handwerker u. dergl. sich unter das Volk mischen, um die nihilistische Lehre zu verbreiten, sind meist Söhne reicher Familien. Vor allem in der Armee hat der Nihilismus zahl¬ reiche Anhänger. Sie hören ab und zu, daß ein Offizier als Nihilist gehängt wird — Baron Stromberg war der letzte —, aber wie viele spurlos verschwinden und in den Bergwerken Sibiriens ihr Leben enden, erfahren Sie nicht. Ja, noch tausende von Opfern wird unsre Sache kosten, aber siegeri wird sie endlich — verlassen Sie sich darauf! Sie sprechen von Deeembrisenrs aus dem Jahre 1825 — ist denn der Nihilismus wirklich so alt?

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/605
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/605>, abgerufen am 15.01.2025.