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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Die Aussichten nach dem Wahlergebnis in England,

ihre rücksichtslose Selbstsucht und ihr Haß gegen Deutschland an Größe gleich.
Sie haben uns immer mit Mißgunst wachsen und gedeihen sehen, und wir haben
auch für die Zukunft bei keiner Gelegenheit Gutes von ihnen zu erwarten. Wem
das noch nicht klar ist, der möge sich von der liberalen?orwiMi> Rsvisn
über die innersten Gedanken der Partei Gladstones belehren lassen. Der Ver¬
fasser des betreffenden Aufsatzes "Die zukünftigen Kämpfe der Welt." offenbar
ein Eingeweihter, empfiehlt mit Eifer ein Bündnis Englands mit Nußland zum
Zwecke der Niederhaltung Deutschlands und Österreichs. Indem er meint, die
Politik Bismarcks verfolge den Zweck, die Österreicher zu Herren der Donau
und der Balkanhalbinsel zu machen und Rußland für seine dortigen Verluste
auf Kosten Englands in Asien zu entschädigen, giebt er letzterm den Rat, die
Russen im südöstliche,, Europa zu unterstützen, um sich den Pfahl im Fleische
seiner asiatischen Seite zu ziehen. Im Krimkriege habe man, so fährt er fort,
die unverzeihliche Thorheit begangen, Rußland im Interesse seiner teutonischen
Nachbarn zu bekämpfen, und dieser Mißgriff dürfe nicht wieder vorkommen.
England hätte damals auf den Vorschlag des Kaisers Nikolaus eingehen sollen,
ihn auf der Balkanhalbinsel und am Bosporus gewähre,? zu lasse,, und sich
dafür Ägypten und Kreta zu nehmen. Herrschten die Russen in Stambul, so
wäre,, die Engländer Herren in Asien. Gelänge es Bismarck, die Macht der
Österreicher bis zum Schwarzen Meer auszudehnen, so würde sofort in Asien
der Kampf der Slawen mit den Engländern um Indien beginnen. Beaeonsfield
habe England zu einer Macht an der Donau machen wollen, und ein ähnliches
Ziel habe jetzt Salisbury vor Augen, wenn er die Vereinigung Bulgariens und
Ostrumeliens (die beiläufig durch seine Agenten in Philippopel eingefädelt wurde)
durch englischen Einfluß durchzusetzen bemüht sei. Mau müßte dies aber auf¬
gehen und sich durch Begünstigung der russischen Absichten auf Konstantinopel
Ruhe in Asien verschaffen. An die Stelle des dort drohenden Kampfes zwischen
der slawischen Großmacht und England müsse ein Kampf zwischen jener und
der teutonischen Doppelnacht, Deutschland und Österreich, treten. Das ist un¬
zweifelhaft Gladstones Gedanke. Die Deutschen und ihre österreichischen Ver¬
bündeten sollen in einen Krieg mit Rußland verwickelt werden, damit Rußland
England in Indien nicht angreifen kann. Wir sehen, der böse Wille ist da,
aber die Rechnung ist, wie die Dinge jetzt stehen, ohne den Wirt gemacht. In
Rußland hegen die maßgebenden Persönlichkeiten sicher mehr Vertrauen zur
Politik des deutschen Reichskanzlers als zu der des Herrn Gladstone, auch
wissen sie, daß sie in einem Kampfe mit uns und Osterreich schwerlich etwas
gewinnen, sicher aber Schaden erleiden würden. Das Blatt der guten Freunde
Gladstones selbst erinnert an die Äußerung des Großfürsten Alexis, ein Krieg
mit Deutschland würde Rußland nicht bloß um ein Viertel-, sondern um eil,
halbes Jahrhundert rückwärts bringen. Gladstones Gedanken sind also wie in
andern auswärtigen Fragen, so auch in dieser, für jetzt Velleitäten.




Die Aussichten nach dem Wahlergebnis in England,

ihre rücksichtslose Selbstsucht und ihr Haß gegen Deutschland an Größe gleich.
Sie haben uns immer mit Mißgunst wachsen und gedeihen sehen, und wir haben
auch für die Zukunft bei keiner Gelegenheit Gutes von ihnen zu erwarten. Wem
das noch nicht klar ist, der möge sich von der liberalen?orwiMi> Rsvisn
über die innersten Gedanken der Partei Gladstones belehren lassen. Der Ver¬
fasser des betreffenden Aufsatzes „Die zukünftigen Kämpfe der Welt." offenbar
ein Eingeweihter, empfiehlt mit Eifer ein Bündnis Englands mit Nußland zum
Zwecke der Niederhaltung Deutschlands und Österreichs. Indem er meint, die
Politik Bismarcks verfolge den Zweck, die Österreicher zu Herren der Donau
und der Balkanhalbinsel zu machen und Rußland für seine dortigen Verluste
auf Kosten Englands in Asien zu entschädigen, giebt er letzterm den Rat, die
Russen im südöstliche,, Europa zu unterstützen, um sich den Pfahl im Fleische
seiner asiatischen Seite zu ziehen. Im Krimkriege habe man, so fährt er fort,
die unverzeihliche Thorheit begangen, Rußland im Interesse seiner teutonischen
Nachbarn zu bekämpfen, und dieser Mißgriff dürfe nicht wieder vorkommen.
England hätte damals auf den Vorschlag des Kaisers Nikolaus eingehen sollen,
ihn auf der Balkanhalbinsel und am Bosporus gewähre,? zu lasse,, und sich
dafür Ägypten und Kreta zu nehmen. Herrschten die Russen in Stambul, so
wäre,, die Engländer Herren in Asien. Gelänge es Bismarck, die Macht der
Österreicher bis zum Schwarzen Meer auszudehnen, so würde sofort in Asien
der Kampf der Slawen mit den Engländern um Indien beginnen. Beaeonsfield
habe England zu einer Macht an der Donau machen wollen, und ein ähnliches
Ziel habe jetzt Salisbury vor Augen, wenn er die Vereinigung Bulgariens und
Ostrumeliens (die beiläufig durch seine Agenten in Philippopel eingefädelt wurde)
durch englischen Einfluß durchzusetzen bemüht sei. Mau müßte dies aber auf¬
gehen und sich durch Begünstigung der russischen Absichten auf Konstantinopel
Ruhe in Asien verschaffen. An die Stelle des dort drohenden Kampfes zwischen
der slawischen Großmacht und England müsse ein Kampf zwischen jener und
der teutonischen Doppelnacht, Deutschland und Österreich, treten. Das ist un¬
zweifelhaft Gladstones Gedanke. Die Deutschen und ihre österreichischen Ver¬
bündeten sollen in einen Krieg mit Rußland verwickelt werden, damit Rußland
England in Indien nicht angreifen kann. Wir sehen, der böse Wille ist da,
aber die Rechnung ist, wie die Dinge jetzt stehen, ohne den Wirt gemacht. In
Rußland hegen die maßgebenden Persönlichkeiten sicher mehr Vertrauen zur
Politik des deutschen Reichskanzlers als zu der des Herrn Gladstone, auch
wissen sie, daß sie in einem Kampfe mit uns und Osterreich schwerlich etwas
gewinnen, sicher aber Schaden erleiden würden. Das Blatt der guten Freunde
Gladstones selbst erinnert an die Äußerung des Großfürsten Alexis, ein Krieg
mit Deutschland würde Rußland nicht bloß um ein Viertel-, sondern um eil,
halbes Jahrhundert rückwärts bringen. Gladstones Gedanken sind also wie in
andern auswärtigen Fragen, so auch in dieser, für jetzt Velleitäten.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/603>, abgerufen am 15.01.2025.