Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Aussichten nach dein Wahlergebnis in England.

Parteien sich vor deren Gegnerschaft sichern und sich ihren Beistand gewinnen?
Die Mandatare des irischen Volkes fordern die nationale Selbständigkeit Ir¬
lands, und die können ihnen in dem Umfange, in welchem sie verlangt wird,
weder die Tones noch die Liberalen zugestehen. Ungeduldige Liberale können
bei dieser Sachlage meinen, Lord Salisbury solle vor Gladstone ohne weiteres
zurücktreten, da dessen Partei zwar nicht die Mehrheit des ganzen Parlaments
ausmachen, aber doch viel stärker sein werde als die Tories. Indes sagt ein
englisches Sprichwort: Besitz ist neunzehntel des Rechts, und die gegenwärtigen
Inhaber der Mimstervosten können bei der öffentlichen Meinung immer auf eine
günstigere Beurteilung ihrer politischen Fähigkeiten und Handlungen rechnen
als die Führer ihrer Gegner, die nicht im Amte sind. Dazu kommt, daß die
konservative Partei wiederholt die Geschäfte fortgeführt hat, während sie im
Unterhause nur aus eine Minorität rechnen konnte. 1835 trat Peel ans Nuder.
obwohl er eine liberale Mehrheit vor sich hatte. In den Jahren 1852 und
1859. sowie 1866 that Lord Derby desgleichen. Bei den beiden letzten Ge¬
legenheiten war es umso merkwürdiger, daß die Führer der Minorität im Amte
verblieben, weil die Opposition damals nicht wie jetzt unvereinbar in Liberale
und Parnelliten gespalten war. 1852 war die Lage anders. Damals waren
die Peeliten und die Liberalen noch nicht mit einander verschmolzen, und Lord
Derby hoffte die einen gegen die andern ausspielen zu können. Wie jetzt Salis^
bnry, trat er ins Amt mit nur einer Minorität hinter sich; er löste das Parla¬
ment auf und verstärkte in der Neuwahl seine Fraktion, er brachte es damit
nicht zur Majorität, trat aber nach den Wahlen nicht zurück, sondern wartete,
bis er durch den Ausgang der Debatte über Disraelis Budget dazu gezwungen
wurde. Diesen Präzedenzfall kann der jetzige Premierminister für sich anführen,
wenn er trotz des Ausfalls der Wahlen im Amte zu verbleiben gedenkt.

Zweierlei wurde die Lage erheblich klarer machen: wenn Salisbury ein
legislatives Programm veröffentlichte, und wenn Parnell seine Forderungen
bestimmt formulirte. Kein Zweifel, daß die große Mehrzahl der Engländer
un Prinzip liberal denkt, und daß der Premierminister seine Erfolge in den
Bvroughs, die allerdings sehr bedeutend waren, nicht sowohl einer Rückkehr der
Ansichten zu den Grundsätzen der alten Tones, als der Mißstimmung vieler
Liberalen über die Fehlgriffe der Verwaltung seiner Vorgänger zu danken hat.
Salisbury bleibt also nichts übrig, als vorzutreten lind zu erklären, daß und
wie weit er in Betreff verschiedner Punkte gewillt ist. in die Bahn der Reformen
einzulenken. Er könnte den Engländern einen Plan zu lokaler Regierung bieten,
in welchem für grafschaftliche Kollegien, betraut mit alle" administrativen Be¬
fugnissen, in den ländlichen Kreisen gesorgt wäre. Er könnte sich bereit erklären
die Sitte des Erbens nach dem Rechte der Erstgeburt abzuschaffen und die
Übertragung von Grundbesitz billiger und einfacher zu gestalten. Er konnte
ferner eine Reform der Staatskirche, Reinigung derselben von Gönnerschaften


Die Aussichten nach dein Wahlergebnis in England.

Parteien sich vor deren Gegnerschaft sichern und sich ihren Beistand gewinnen?
Die Mandatare des irischen Volkes fordern die nationale Selbständigkeit Ir¬
lands, und die können ihnen in dem Umfange, in welchem sie verlangt wird,
weder die Tones noch die Liberalen zugestehen. Ungeduldige Liberale können
bei dieser Sachlage meinen, Lord Salisbury solle vor Gladstone ohne weiteres
zurücktreten, da dessen Partei zwar nicht die Mehrheit des ganzen Parlaments
ausmachen, aber doch viel stärker sein werde als die Tories. Indes sagt ein
englisches Sprichwort: Besitz ist neunzehntel des Rechts, und die gegenwärtigen
Inhaber der Mimstervosten können bei der öffentlichen Meinung immer auf eine
günstigere Beurteilung ihrer politischen Fähigkeiten und Handlungen rechnen
als die Führer ihrer Gegner, die nicht im Amte sind. Dazu kommt, daß die
konservative Partei wiederholt die Geschäfte fortgeführt hat, während sie im
Unterhause nur aus eine Minorität rechnen konnte. 1835 trat Peel ans Nuder.
obwohl er eine liberale Mehrheit vor sich hatte. In den Jahren 1852 und
1859. sowie 1866 that Lord Derby desgleichen. Bei den beiden letzten Ge¬
legenheiten war es umso merkwürdiger, daß die Führer der Minorität im Amte
verblieben, weil die Opposition damals nicht wie jetzt unvereinbar in Liberale
und Parnelliten gespalten war. 1852 war die Lage anders. Damals waren
die Peeliten und die Liberalen noch nicht mit einander verschmolzen, und Lord
Derby hoffte die einen gegen die andern ausspielen zu können. Wie jetzt Salis^
bnry, trat er ins Amt mit nur einer Minorität hinter sich; er löste das Parla¬
ment auf und verstärkte in der Neuwahl seine Fraktion, er brachte es damit
nicht zur Majorität, trat aber nach den Wahlen nicht zurück, sondern wartete,
bis er durch den Ausgang der Debatte über Disraelis Budget dazu gezwungen
wurde. Diesen Präzedenzfall kann der jetzige Premierminister für sich anführen,
wenn er trotz des Ausfalls der Wahlen im Amte zu verbleiben gedenkt.

Zweierlei wurde die Lage erheblich klarer machen: wenn Salisbury ein
legislatives Programm veröffentlichte, und wenn Parnell seine Forderungen
bestimmt formulirte. Kein Zweifel, daß die große Mehrzahl der Engländer
un Prinzip liberal denkt, und daß der Premierminister seine Erfolge in den
Bvroughs, die allerdings sehr bedeutend waren, nicht sowohl einer Rückkehr der
Ansichten zu den Grundsätzen der alten Tones, als der Mißstimmung vieler
Liberalen über die Fehlgriffe der Verwaltung seiner Vorgänger zu danken hat.
Salisbury bleibt also nichts übrig, als vorzutreten lind zu erklären, daß und
wie weit er in Betreff verschiedner Punkte gewillt ist. in die Bahn der Reformen
einzulenken. Er könnte den Engländern einen Plan zu lokaler Regierung bieten,
in welchem für grafschaftliche Kollegien, betraut mit alle« administrativen Be¬
fugnissen, in den ländlichen Kreisen gesorgt wäre. Er könnte sich bereit erklären
die Sitte des Erbens nach dem Rechte der Erstgeburt abzuschaffen und die
Übertragung von Grundbesitz billiger und einfacher zu gestalten. Er konnte
ferner eine Reform der Staatskirche, Reinigung derselben von Gönnerschaften


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0597" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197331"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Aussichten nach dein Wahlergebnis in England.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1963" prev="#ID_1962"> Parteien sich vor deren Gegnerschaft sichern und sich ihren Beistand gewinnen?<lb/>
Die Mandatare des irischen Volkes fordern die nationale Selbständigkeit Ir¬<lb/>
lands, und die können ihnen in dem Umfange, in welchem sie verlangt wird,<lb/>
weder die Tones noch die Liberalen zugestehen. Ungeduldige Liberale können<lb/>
bei dieser Sachlage meinen, Lord Salisbury solle vor Gladstone ohne weiteres<lb/>
zurücktreten, da dessen Partei zwar nicht die Mehrheit des ganzen Parlaments<lb/>
ausmachen, aber doch viel stärker sein werde als die Tories. Indes sagt ein<lb/>
englisches Sprichwort: Besitz ist neunzehntel des Rechts, und die gegenwärtigen<lb/>
Inhaber der Mimstervosten können bei der öffentlichen Meinung immer auf eine<lb/>
günstigere Beurteilung ihrer politischen Fähigkeiten und Handlungen rechnen<lb/>
als die Führer ihrer Gegner, die nicht im Amte sind. Dazu kommt, daß die<lb/>
konservative Partei wiederholt die Geschäfte fortgeführt hat, während sie im<lb/>
Unterhause nur aus eine Minorität rechnen konnte. 1835 trat Peel ans Nuder.<lb/>
obwohl er eine liberale Mehrheit vor sich hatte. In den Jahren 1852 und<lb/>
1859. sowie 1866 that Lord Derby desgleichen. Bei den beiden letzten Ge¬<lb/>
legenheiten war es umso merkwürdiger, daß die Führer der Minorität im Amte<lb/>
verblieben, weil die Opposition damals nicht wie jetzt unvereinbar in Liberale<lb/>
und Parnelliten gespalten war. 1852 war die Lage anders. Damals waren<lb/>
die Peeliten und die Liberalen noch nicht mit einander verschmolzen, und Lord<lb/>
Derby hoffte die einen gegen die andern ausspielen zu können. Wie jetzt Salis^<lb/>
bnry, trat er ins Amt mit nur einer Minorität hinter sich; er löste das Parla¬<lb/>
ment auf und verstärkte in der Neuwahl seine Fraktion, er brachte es damit<lb/>
nicht zur Majorität, trat aber nach den Wahlen nicht zurück, sondern wartete,<lb/>
bis er durch den Ausgang der Debatte über Disraelis Budget dazu gezwungen<lb/>
wurde. Diesen Präzedenzfall kann der jetzige Premierminister für sich anführen,<lb/>
wenn er trotz des Ausfalls der Wahlen im Amte zu verbleiben gedenkt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1964" next="#ID_1965"> Zweierlei wurde die Lage erheblich klarer machen: wenn Salisbury ein<lb/>
legislatives Programm veröffentlichte, und wenn Parnell seine Forderungen<lb/>
bestimmt formulirte. Kein Zweifel, daß die große Mehrzahl der Engländer<lb/>
un Prinzip liberal denkt, und daß der Premierminister seine Erfolge in den<lb/>
Bvroughs, die allerdings sehr bedeutend waren, nicht sowohl einer Rückkehr der<lb/>
Ansichten zu den Grundsätzen der alten Tones, als der Mißstimmung vieler<lb/>
Liberalen über die Fehlgriffe der Verwaltung seiner Vorgänger zu danken hat.<lb/>
Salisbury bleibt also nichts übrig, als vorzutreten lind zu erklären, daß und<lb/>
wie weit er in Betreff verschiedner Punkte gewillt ist. in die Bahn der Reformen<lb/>
einzulenken. Er könnte den Engländern einen Plan zu lokaler Regierung bieten,<lb/>
in welchem für grafschaftliche Kollegien, betraut mit alle« administrativen Be¬<lb/>
fugnissen, in den ländlichen Kreisen gesorgt wäre. Er könnte sich bereit erklären<lb/>
die Sitte des Erbens nach dem Rechte der Erstgeburt abzuschaffen und die<lb/>
Übertragung von Grundbesitz billiger und einfacher zu gestalten. Er konnte<lb/>
ferner eine Reform der Staatskirche, Reinigung derselben von Gönnerschaften</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0597] Die Aussichten nach dein Wahlergebnis in England. Parteien sich vor deren Gegnerschaft sichern und sich ihren Beistand gewinnen? Die Mandatare des irischen Volkes fordern die nationale Selbständigkeit Ir¬ lands, und die können ihnen in dem Umfange, in welchem sie verlangt wird, weder die Tones noch die Liberalen zugestehen. Ungeduldige Liberale können bei dieser Sachlage meinen, Lord Salisbury solle vor Gladstone ohne weiteres zurücktreten, da dessen Partei zwar nicht die Mehrheit des ganzen Parlaments ausmachen, aber doch viel stärker sein werde als die Tories. Indes sagt ein englisches Sprichwort: Besitz ist neunzehntel des Rechts, und die gegenwärtigen Inhaber der Mimstervosten können bei der öffentlichen Meinung immer auf eine günstigere Beurteilung ihrer politischen Fähigkeiten und Handlungen rechnen als die Führer ihrer Gegner, die nicht im Amte sind. Dazu kommt, daß die konservative Partei wiederholt die Geschäfte fortgeführt hat, während sie im Unterhause nur aus eine Minorität rechnen konnte. 1835 trat Peel ans Nuder. obwohl er eine liberale Mehrheit vor sich hatte. In den Jahren 1852 und 1859. sowie 1866 that Lord Derby desgleichen. Bei den beiden letzten Ge¬ legenheiten war es umso merkwürdiger, daß die Führer der Minorität im Amte verblieben, weil die Opposition damals nicht wie jetzt unvereinbar in Liberale und Parnelliten gespalten war. 1852 war die Lage anders. Damals waren die Peeliten und die Liberalen noch nicht mit einander verschmolzen, und Lord Derby hoffte die einen gegen die andern ausspielen zu können. Wie jetzt Salis^ bnry, trat er ins Amt mit nur einer Minorität hinter sich; er löste das Parla¬ ment auf und verstärkte in der Neuwahl seine Fraktion, er brachte es damit nicht zur Majorität, trat aber nach den Wahlen nicht zurück, sondern wartete, bis er durch den Ausgang der Debatte über Disraelis Budget dazu gezwungen wurde. Diesen Präzedenzfall kann der jetzige Premierminister für sich anführen, wenn er trotz des Ausfalls der Wahlen im Amte zu verbleiben gedenkt. Zweierlei wurde die Lage erheblich klarer machen: wenn Salisbury ein legislatives Programm veröffentlichte, und wenn Parnell seine Forderungen bestimmt formulirte. Kein Zweifel, daß die große Mehrzahl der Engländer un Prinzip liberal denkt, und daß der Premierminister seine Erfolge in den Bvroughs, die allerdings sehr bedeutend waren, nicht sowohl einer Rückkehr der Ansichten zu den Grundsätzen der alten Tones, als der Mißstimmung vieler Liberalen über die Fehlgriffe der Verwaltung seiner Vorgänger zu danken hat. Salisbury bleibt also nichts übrig, als vorzutreten lind zu erklären, daß und wie weit er in Betreff verschiedner Punkte gewillt ist. in die Bahn der Reformen einzulenken. Er könnte den Engländern einen Plan zu lokaler Regierung bieten, in welchem für grafschaftliche Kollegien, betraut mit alle« administrativen Be¬ fugnissen, in den ländlichen Kreisen gesorgt wäre. Er könnte sich bereit erklären die Sitte des Erbens nach dem Rechte der Erstgeburt abzuschaffen und die Übertragung von Grundbesitz billiger und einfacher zu gestalten. Er konnte ferner eine Reform der Staatskirche, Reinigung derselben von Gönnerschaften

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/597
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/597>, abgerufen am 15.01.2025.