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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Leopold von Ranke.

des Thukydides, Fichtes und Niebuhrs als derer, denen er am meisten zu ver¬
danken habe. Der Meister der antiken Geschichtschreibung ist allezeit ein Lehrer
jedes Forschenden gewesen, da er ja als das unübertroffene Ideal des erzählen¬
den und entwickelnden Historikers dasteht. Von Fichte wäre die ethische Ein¬
wirkung zu konstatiren. Der Nationalpatrivtismus, den dieser Philosoph im
deutschen Volke zu wecken und zu heben suchte, hat auch bei Rente begeisterten
Anklang gefunden. Niebuhr aber ist sicher derjenige, dem Ranke das meiste zu
danken hat. Er war der Meister, der ihm in der historischen Kritik voran¬
leuchtete und dem er dann auch bald ebenbürtig an die Seite trat. Die Methode,
mit welcher Niebuhr so erfvlgreicherweise die römische Geschichte behandelt hat,
ist von Ranke auf andre Gebiete ausgedehnt worden. Auch in Rankes Definition
der Aufgabe des Historikers ist dieser Einfluß bemerkbar. Im Gegensatz zu der
vielfach herrschenden künstlichen und räsonnirenden Geschichtschreibung sprach
sich Ranke schon in einem seiner ersten Werke dahin ans, daß er eigentlich nnr
erzählen wolle, wie die Dinge an sich geschehen seien. Vou Niebuhr entlehnte
er ferner vor allem die Grundsätze sür die kritische Betrachtung der Über¬
lieferung. Das erste Werk, welches Ranke 1824 herausgab, die "Geschichte
der romanisch-germanischen Völker," war ein Produkt dieser neuen Fvrschnngs-
methode, und die im Anhang beigefügte Abhandlung "Zur Kritik neuerer Ge¬
schichtschreiber" wies die Bahnen, in welchen von nun an die Forschung zu
wandeln habe. Es wurde hier eine Kategorie von Geschichtsquellen vor das
Forum der Kritik gezogen, auf denen bis dahin jede Darstellung sicher zu fußen
geglaubt hatte. Nicht diejenigen, welche gleichzeitig Geschichte geschrieben hatten,
sollen als untrügliche Quellen betrachtet werden, sondern in den Geschichten
selbst, soweit sie der Nachwelt in den Akten überliefert waren, sollte die Wahr¬
heit zu suchen sein. Damit war eine völlige Revolution in der Wertschätzung
und Verwendbarkeit jener Art historischer Aufzeichnungen angebahnt. Durch
diesen Schritt unterschied sich aber Ranke auch scharf von seinem Vorgänger
auf diesem Gebiete, Johannes von Müller. Wenn auch Müller auf die Art
seiner Darstellung von Einwirkung gewesen ist, so ist damit Ranke doch nicht
in die Fehler der romantischen Schule verfallen, bei welcher der Verfasser der
eidgenössischen Geschichte als der allein anzuerkennende Historiker galt.

"Ich sehe die Zeit kommen, schrieb Ranke im Jahre 1839, wo wir die
neuere Geschichte nicht mehr auf die Berichte, selbst nicht der gleichzeitigen Histo¬
riker, außer insoweit ihnen eine originelle Kenntnis beiwohnt, geschweige denn
ans die weiter abgeleiteten Bearbeitungen zu gründen haben, sondern aus den
Relationen der Augenzeugen und den echtesten unmittelbaren Urkunden aufbauen
werden." Einen ersten Schritt auf dieser Bahn hatte Ranke bereits gethan,
indem er in seinem 1827 erschienenen Werke: "Fürsten und Völker von Süd¬
europa im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert" (auch "Die Osmanen und
die spanische Monarchie" betitelt) auf Grund einer großen Anzahl venetianischer,


Leopold von Ranke.

des Thukydides, Fichtes und Niebuhrs als derer, denen er am meisten zu ver¬
danken habe. Der Meister der antiken Geschichtschreibung ist allezeit ein Lehrer
jedes Forschenden gewesen, da er ja als das unübertroffene Ideal des erzählen¬
den und entwickelnden Historikers dasteht. Von Fichte wäre die ethische Ein¬
wirkung zu konstatiren. Der Nationalpatrivtismus, den dieser Philosoph im
deutschen Volke zu wecken und zu heben suchte, hat auch bei Rente begeisterten
Anklang gefunden. Niebuhr aber ist sicher derjenige, dem Ranke das meiste zu
danken hat. Er war der Meister, der ihm in der historischen Kritik voran¬
leuchtete und dem er dann auch bald ebenbürtig an die Seite trat. Die Methode,
mit welcher Niebuhr so erfvlgreicherweise die römische Geschichte behandelt hat,
ist von Ranke auf andre Gebiete ausgedehnt worden. Auch in Rankes Definition
der Aufgabe des Historikers ist dieser Einfluß bemerkbar. Im Gegensatz zu der
vielfach herrschenden künstlichen und räsonnirenden Geschichtschreibung sprach
sich Ranke schon in einem seiner ersten Werke dahin ans, daß er eigentlich nnr
erzählen wolle, wie die Dinge an sich geschehen seien. Vou Niebuhr entlehnte
er ferner vor allem die Grundsätze sür die kritische Betrachtung der Über¬
lieferung. Das erste Werk, welches Ranke 1824 herausgab, die „Geschichte
der romanisch-germanischen Völker," war ein Produkt dieser neuen Fvrschnngs-
methode, und die im Anhang beigefügte Abhandlung „Zur Kritik neuerer Ge¬
schichtschreiber" wies die Bahnen, in welchen von nun an die Forschung zu
wandeln habe. Es wurde hier eine Kategorie von Geschichtsquellen vor das
Forum der Kritik gezogen, auf denen bis dahin jede Darstellung sicher zu fußen
geglaubt hatte. Nicht diejenigen, welche gleichzeitig Geschichte geschrieben hatten,
sollen als untrügliche Quellen betrachtet werden, sondern in den Geschichten
selbst, soweit sie der Nachwelt in den Akten überliefert waren, sollte die Wahr¬
heit zu suchen sein. Damit war eine völlige Revolution in der Wertschätzung
und Verwendbarkeit jener Art historischer Aufzeichnungen angebahnt. Durch
diesen Schritt unterschied sich aber Ranke auch scharf von seinem Vorgänger
auf diesem Gebiete, Johannes von Müller. Wenn auch Müller auf die Art
seiner Darstellung von Einwirkung gewesen ist, so ist damit Ranke doch nicht
in die Fehler der romantischen Schule verfallen, bei welcher der Verfasser der
eidgenössischen Geschichte als der allein anzuerkennende Historiker galt.

„Ich sehe die Zeit kommen, schrieb Ranke im Jahre 1839, wo wir die
neuere Geschichte nicht mehr auf die Berichte, selbst nicht der gleichzeitigen Histo¬
riker, außer insoweit ihnen eine originelle Kenntnis beiwohnt, geschweige denn
ans die weiter abgeleiteten Bearbeitungen zu gründen haben, sondern aus den
Relationen der Augenzeugen und den echtesten unmittelbaren Urkunden aufbauen
werden." Einen ersten Schritt auf dieser Bahn hatte Ranke bereits gethan,
indem er in seinem 1827 erschienenen Werke: „Fürsten und Völker von Süd¬
europa im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert" (auch „Die Osmanen und
die spanische Monarchie" betitelt) auf Grund einer großen Anzahl venetianischer,


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[0580] Leopold von Ranke. des Thukydides, Fichtes und Niebuhrs als derer, denen er am meisten zu ver¬ danken habe. Der Meister der antiken Geschichtschreibung ist allezeit ein Lehrer jedes Forschenden gewesen, da er ja als das unübertroffene Ideal des erzählen¬ den und entwickelnden Historikers dasteht. Von Fichte wäre die ethische Ein¬ wirkung zu konstatiren. Der Nationalpatrivtismus, den dieser Philosoph im deutschen Volke zu wecken und zu heben suchte, hat auch bei Rente begeisterten Anklang gefunden. Niebuhr aber ist sicher derjenige, dem Ranke das meiste zu danken hat. Er war der Meister, der ihm in der historischen Kritik voran¬ leuchtete und dem er dann auch bald ebenbürtig an die Seite trat. Die Methode, mit welcher Niebuhr so erfvlgreicherweise die römische Geschichte behandelt hat, ist von Ranke auf andre Gebiete ausgedehnt worden. Auch in Rankes Definition der Aufgabe des Historikers ist dieser Einfluß bemerkbar. Im Gegensatz zu der vielfach herrschenden künstlichen und räsonnirenden Geschichtschreibung sprach sich Ranke schon in einem seiner ersten Werke dahin ans, daß er eigentlich nnr erzählen wolle, wie die Dinge an sich geschehen seien. Vou Niebuhr entlehnte er ferner vor allem die Grundsätze sür die kritische Betrachtung der Über¬ lieferung. Das erste Werk, welches Ranke 1824 herausgab, die „Geschichte der romanisch-germanischen Völker," war ein Produkt dieser neuen Fvrschnngs- methode, und die im Anhang beigefügte Abhandlung „Zur Kritik neuerer Ge¬ schichtschreiber" wies die Bahnen, in welchen von nun an die Forschung zu wandeln habe. Es wurde hier eine Kategorie von Geschichtsquellen vor das Forum der Kritik gezogen, auf denen bis dahin jede Darstellung sicher zu fußen geglaubt hatte. Nicht diejenigen, welche gleichzeitig Geschichte geschrieben hatten, sollen als untrügliche Quellen betrachtet werden, sondern in den Geschichten selbst, soweit sie der Nachwelt in den Akten überliefert waren, sollte die Wahr¬ heit zu suchen sein. Damit war eine völlige Revolution in der Wertschätzung und Verwendbarkeit jener Art historischer Aufzeichnungen angebahnt. Durch diesen Schritt unterschied sich aber Ranke auch scharf von seinem Vorgänger auf diesem Gebiete, Johannes von Müller. Wenn auch Müller auf die Art seiner Darstellung von Einwirkung gewesen ist, so ist damit Ranke doch nicht in die Fehler der romantischen Schule verfallen, bei welcher der Verfasser der eidgenössischen Geschichte als der allein anzuerkennende Historiker galt. „Ich sehe die Zeit kommen, schrieb Ranke im Jahre 1839, wo wir die neuere Geschichte nicht mehr auf die Berichte, selbst nicht der gleichzeitigen Histo¬ riker, außer insoweit ihnen eine originelle Kenntnis beiwohnt, geschweige denn ans die weiter abgeleiteten Bearbeitungen zu gründen haben, sondern aus den Relationen der Augenzeugen und den echtesten unmittelbaren Urkunden aufbauen werden." Einen ersten Schritt auf dieser Bahn hatte Ranke bereits gethan, indem er in seinem 1827 erschienenen Werke: „Fürsten und Völker von Süd¬ europa im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert" (auch „Die Osmanen und die spanische Monarchie" betitelt) auf Grund einer großen Anzahl venetianischer,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/580>, abgerufen am 15.01.2025.