Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Notizen. Einvernehmen mit der ersten Kammer vorgeschlagen, der König soll nicht bloß ein Es wird von Interesse sein, zu beobachten, wie die einmal angeregte Frage Grenzbvwi IV. 183S.70
Notizen. Einvernehmen mit der ersten Kammer vorgeschlagen, der König soll nicht bloß ein Es wird von Interesse sein, zu beobachten, wie die einmal angeregte Frage Grenzbvwi IV. 183S.70
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Notizen.
Einvernehmen mit der ersten Kammer vorgeschlagen, der König soll nicht bloß ein
Viertel, sondern ein Drittel der Gesamtzahl der Mitglieder ernennen dürfen, und
man hofft so einige tüchtige höhere Beamte in die erste Kammer zu bekommen,
welche arbeiten könnten und doch eventuell von der Mehrheit der Pairs überstimmt
werden würden, wenn diese es für erforderlich erachten sollten. Nun hat aber der
staatsrechtliche Ausschuß der zweiten Kammer den Entwurf auf Betreiben des national-
liberalen or, Göz, des Abgeordneten für Bodungen, abgelehnt. Man will zwar
nicht die erste Kammer an Auszehrung sterbe» lassen und so mittels des sanften
Mittels der Euthanasia zum Einkammersystem gelangen; aber man will die Ge¬
legenheit benutzen und der ersten Kammer uur dann frisches Blut zuführen, wenn
sie sich zu Zugeständnissen im Punkte der Verfassungsreform herbeiläßt. Von dieser
Seite hat man im „Schwäbischen Merkur" vorgeschlagen, die zweite Kammer ihrer
Privilegirten Mitglieder zu entledigen und dafür die erste Kammer durch vier Ritter,
zwei evangelische Prälaten, einen Vertreter der katholischen Kirche, einen Ab¬
geordneten der Hochschule und die zwei Oberbürgermeister von Stuttgart und Ulm,
also um zehn Mitglieder verschiedenartiger Vorbildung und Berufsstellung, zu ver¬
mehren. Da aber unsre zweite Kammer auf Grund des allgemeinen und direkten
Wahlrechts gewählt wird und jeder Abgeordnete 9 Mark 43 Pfennige, einen alten
„Dukaten," Diäten bezieht, so würde wohl ein konservativer Ersatz für die Privilegirten
gefordert werden. Man könnte diesen etwa dadurch gewähren, daß die vier Kreise
des Landes siebzehn Abgeordnete auf Grund des Listenwahlsystemes wählten, wobei
das aktive und passive Wahlrecht an einen Zensus gebunden würde. Ein solcher
Ersatz wäre allerdings dann unerläßlich, wenn die seit 1370 immer stärker hervor¬
tretende lokale Strömung bei den Wahlen zur zweiten Kammer anhielte; denn
gewählt wird fast nur noch ein Angehöriger des betreffenden Bezirkes, und so
kommt es, daß das geistige Niveau der Kammer im Sinken ist; eine große Anzahl
politisch hervorragender Männer aller Parteien ist unter den obwaltenden Umständen
von der zweiten Kammer so gut wie ausgeschlossen.
Es wird von Interesse sein, zu beobachten, wie die einmal angeregte Frage
sich weiter entwickelt. Mau muß indessen sagen, daß die Masse des Volkes ihr
ohne viel Teilnahme gegenübersteht; die Führer der Demokratie, welche 1882 alle
das Schlagwort der Verfassungsrevision voranstellten, sind bekanntlich kläglich durch-
gefallen. Das eigentümliche der Lage ist, daß Würtemberg allein keine reine Wahl¬
kammer besitzt, daß die Privilegirten mich nicht besonders wichtige Berufskreise
vertreten und daß ihre Beseitigung sich in gewissem Sinne als eine Forderung ab¬
strakter Gerechtigkeit darstellt, daß aber anderseits diese Ritter und Prälaten vielfach
hochgebildete und tüchtige Männer sind, welche der Kammer sehr wohl anstehen,
ihr moralisches Ansehen haben und sich niemals als Kämpen junkerlichen oder
Pfciffischen Regiments gezeigt heben, sondern als Freunde besonnenen Fortschritts.
So stehen sich gewissermaßen Theorie und praktisches Bedürfnis entgegen, und
deshalb giebt es viele, die sagen: die ganze Frage der Verfassungsdurchsicht ist, so
oft sie auch verhandelt worden ist, noch nicht reif und deshalb auch «och nicht gedeihlich
zu losen. Dieser Ansicht scheint auch der Minister Holder zu sein, welcher zuerst
die untern Teile des Neubaues aufführen und Oberamtsbezirke und Kreise reformiren
will, ehe er an das obere Stockwerk geht, an die Neugestaltung des Landtages.
Kommt Zeit, kommt Rat, mag es auch hier heißen, vielleicht klären sich bis dahin
die Ansichten, sodaß die Frage sich glatt erledigen läßt, die jetzt ohne die härtesten
Kämpfe nicht zum Austrag gebracht werden kann.
Grenzbvwi IV. 183S.70
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