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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Sie fabriziren doch nicht gemeinschaftlich Dynamik?

Wo denken Sie hin! Der Doktor giebt mir französischen Unterricht, und
wir unterhalten uns täglich aufs angenehmste.

Sie Glückliche! Ich habe noch niemals einen Nihilisten in der Nähe ge¬
sehen -- können Sie mir dazu verhelfen, Miß Ellen?

Sehr leicht. Ich werde Sie bei Dr. A. anmelden, um Prado singen zu
hören. Prado kann nämlich singen, und der Doktor ist nicht wenig stolz darauf.
Kommen Sie morgen Abend um acht Uhr zu uns; wir gehen dann zusammen
hinauf. Übrigens wundert es mich, daß Sie Dr. A. nicht längst kennen; er lebt
schon seit mehreren Jahren in Clarens und verkehrt täglich in der Villa Reclus
neben ihrer Pension.

Was, bei dem Kommunarden?

Jawohl.

Kennen Sie den auch, Miß Ellen?

Gewiß, er schwärmt für mich.

Nun, ich muß sagen, Sie bewegen sich in ausgezeichneter Gesellschaft! Am
Ende gehen Sie auch unter die Sozialisten.

Da seien Sie unbesorgt! Mein Vater ist Professor mit einem großen
Gehalt und meine Mutter eine Hanuovcranerin. Außerdem brauche ich garnicht
für die Befreiung des Vaterlandes von Tyrannen zu schwärmen, denn in Amerika
haben wir nichts von der Sorte. Ob es Elend giebt, weiß ich nicht genau -......ich
selbst habe immer satt zu essen gehabt. -- Apporte, Prado!

Umso besser für Sie, Miß Ellen! Hier sind wir an Ihrer Gartenthür
auf Wiedersehen morgen Abend acht Uhr. --

Pünklich um acht betrat ich die kleine Villa, deren Parterre Professor I. für
den Winter inne hatte.

Gehen Sie nur hinauf, sprach die Professorin; meine Tochter ist bereits
oben, Dr. A. erwartet Sie.

Sagen Sie mir, Fran Professorin, ist A. wirklich kein gefährlicher Mensch?

Gefährlich? Wer weiß! Das eine ist sicher, er würde es uicht übers Herz
bringen, eine Fliege zu töten.

Aber dem Zar würde er mit Vergnügen eine Bombe zwischen die Beine
werfen?

Ich glaube nicht ...... fragen Sie ihn selbst darnach.

Das ist so eine Sache! -- Wird er mir antworten?

Ohne Zweifel, und zwar mit der größten Offenheit. Er ist durchaus be¬
geistert für seine Ideen und fest überzeugt von deren endlichem Siege.

Also ist er verrückt?

Im Gegenteil, er ist ein ruhiger, klarer, verständiger Mensch. Übrigens
weiß er bereits, daß Sie nicht kommen, um Prado singen zu hören, sondern
um mit ihm über ernste Sachen zu sprechen. Er weiß auch, daß uicht müßige


Sie fabriziren doch nicht gemeinschaftlich Dynamik?

Wo denken Sie hin! Der Doktor giebt mir französischen Unterricht, und
wir unterhalten uns täglich aufs angenehmste.

Sie Glückliche! Ich habe noch niemals einen Nihilisten in der Nähe ge¬
sehen — können Sie mir dazu verhelfen, Miß Ellen?

Sehr leicht. Ich werde Sie bei Dr. A. anmelden, um Prado singen zu
hören. Prado kann nämlich singen, und der Doktor ist nicht wenig stolz darauf.
Kommen Sie morgen Abend um acht Uhr zu uns; wir gehen dann zusammen
hinauf. Übrigens wundert es mich, daß Sie Dr. A. nicht längst kennen; er lebt
schon seit mehreren Jahren in Clarens und verkehrt täglich in der Villa Reclus
neben ihrer Pension.

Was, bei dem Kommunarden?

Jawohl.

Kennen Sie den auch, Miß Ellen?

Gewiß, er schwärmt für mich.

Nun, ich muß sagen, Sie bewegen sich in ausgezeichneter Gesellschaft! Am
Ende gehen Sie auch unter die Sozialisten.

Da seien Sie unbesorgt! Mein Vater ist Professor mit einem großen
Gehalt und meine Mutter eine Hanuovcranerin. Außerdem brauche ich garnicht
für die Befreiung des Vaterlandes von Tyrannen zu schwärmen, denn in Amerika
haben wir nichts von der Sorte. Ob es Elend giebt, weiß ich nicht genau -......ich
selbst habe immer satt zu essen gehabt. — Apporte, Prado!

Umso besser für Sie, Miß Ellen! Hier sind wir an Ihrer Gartenthür
auf Wiedersehen morgen Abend acht Uhr. —

Pünklich um acht betrat ich die kleine Villa, deren Parterre Professor I. für
den Winter inne hatte.

Gehen Sie nur hinauf, sprach die Professorin; meine Tochter ist bereits
oben, Dr. A. erwartet Sie.

Sagen Sie mir, Fran Professorin, ist A. wirklich kein gefährlicher Mensch?

Gefährlich? Wer weiß! Das eine ist sicher, er würde es uicht übers Herz
bringen, eine Fliege zu töten.

Aber dem Zar würde er mit Vergnügen eine Bombe zwischen die Beine
werfen?

Ich glaube nicht ...... fragen Sie ihn selbst darnach.

Das ist so eine Sache! — Wird er mir antworten?

Ohne Zweifel, und zwar mit der größten Offenheit. Er ist durchaus be¬
geistert für seine Ideen und fest überzeugt von deren endlichem Siege.

Also ist er verrückt?

Im Gegenteil, er ist ein ruhiger, klarer, verständiger Mensch. Übrigens
weiß er bereits, daß Sie nicht kommen, um Prado singen zu hören, sondern
um mit ihm über ernste Sachen zu sprechen. Er weiß auch, daß uicht müßige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/550>, abgerufen am 15.01.2025.