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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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wieder genas und ganz zu uns gehörte und uns gewiß nimmer verlassen
hätte.

Und darauf erzählte der Alte, oft von Thränen unterbrochen, was sich in
den letzten Monaten von Harald Stolbergs Leben zugetragen hatte.

Und was ist denn aus der jungen Frau mit dem Kinde geworden, fragte
der Graf.

Als wir die Leiche des armen Herrn bestattet hatten, verfiel die Signora
Veronicci -- so war ihr Name -- in eine schwere Krankheit, und wir hatten
Mühe und Not, sie und das Kind beim Leben zu erhalten. Aber Nina
pflegte beide, als ob es ihre Schwester gewesen wäre, und hielt sie wie ein
teures Vermächtnis des Toten. Einige Wochen später kam der alte Vater der
Signora an, und da gab es wiederum viele Thränen, und sonderlich an dem
Grabe wurde viel geweint. Es ist Wohl erst sechs Wochen her, seit der Vater
Tochter und Enkel mit sich fortnahm und nach Hause reiste, ganz weit in die
Gegend, wo die Russen wohnen.

Der Verstorbene war ein guter Freund von mir, sagte der Graf, und ich
hätte wohl Nina für ihre aufopfernde treue Pflege danken mögen. Aber ich
sehe, daß sie sich still zurückgezogen hat, und ich will sie ihrem Schmerze
nicht entreißen. Aber eines liegt mir am Herzen, den Grabhügel mit einem
schönen Denkmale geschmückt zu sehen, das würdig dessen ist, der hier ruht; denn
der Verstorbene war ein großer Künstler, nicht bloß ein guter und unglücklicher
Mensch. Ich will in Italien ein Monument anfertigen lassen.

Habt Dank, Eecellenza, aber das lasset nur sein. Das ist die Sorge unsrer
Nina und das einzige, was sie noch tröstet. Wir haben ihren Bruder Toniv
nach Mailand zu einem Seultore in die Lehre gegeben, und nur er, der den
Verstorbenen mit Nina zusammen so innig geliebt hat, oder Veronika wird dem
Toten ein Grabmal setzen -- vielleicht in nicht langer Zeit auch seiner armen
Schwester.

Die Wagen wurden bestiegen, und es ging hinab dnrch die Galerie in das
Thal des Braulio. Von den Reisenden aber sprach niemand ein Wort, denn ihr
Herz war zu voll. Auch unter diesem heitern Himmel fehlte der Schmerz des
Lebens nicht.




wieder genas und ganz zu uns gehörte und uns gewiß nimmer verlassen
hätte.

Und darauf erzählte der Alte, oft von Thränen unterbrochen, was sich in
den letzten Monaten von Harald Stolbergs Leben zugetragen hatte.

Und was ist denn aus der jungen Frau mit dem Kinde geworden, fragte
der Graf.

Als wir die Leiche des armen Herrn bestattet hatten, verfiel die Signora
Veronicci — so war ihr Name — in eine schwere Krankheit, und wir hatten
Mühe und Not, sie und das Kind beim Leben zu erhalten. Aber Nina
pflegte beide, als ob es ihre Schwester gewesen wäre, und hielt sie wie ein
teures Vermächtnis des Toten. Einige Wochen später kam der alte Vater der
Signora an, und da gab es wiederum viele Thränen, und sonderlich an dem
Grabe wurde viel geweint. Es ist Wohl erst sechs Wochen her, seit der Vater
Tochter und Enkel mit sich fortnahm und nach Hause reiste, ganz weit in die
Gegend, wo die Russen wohnen.

Der Verstorbene war ein guter Freund von mir, sagte der Graf, und ich
hätte wohl Nina für ihre aufopfernde treue Pflege danken mögen. Aber ich
sehe, daß sie sich still zurückgezogen hat, und ich will sie ihrem Schmerze
nicht entreißen. Aber eines liegt mir am Herzen, den Grabhügel mit einem
schönen Denkmale geschmückt zu sehen, das würdig dessen ist, der hier ruht; denn
der Verstorbene war ein großer Künstler, nicht bloß ein guter und unglücklicher
Mensch. Ich will in Italien ein Monument anfertigen lassen.

Habt Dank, Eecellenza, aber das lasset nur sein. Das ist die Sorge unsrer
Nina und das einzige, was sie noch tröstet. Wir haben ihren Bruder Toniv
nach Mailand zu einem Seultore in die Lehre gegeben, und nur er, der den
Verstorbenen mit Nina zusammen so innig geliebt hat, oder Veronika wird dem
Toten ein Grabmal setzen — vielleicht in nicht langer Zeit auch seiner armen
Schwester.

Die Wagen wurden bestiegen, und es ging hinab dnrch die Galerie in das
Thal des Braulio. Von den Reisenden aber sprach niemand ein Wort, denn ihr
Herz war zu voll. Auch unter diesem heitern Himmel fehlte der Schmerz des
Lebens nicht.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/548>, abgerufen am 15.01.2025.