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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Friedrich der Große und Gottsched.

Wichtiger als diese erste, ziemlich flüchtige Begegnung sind die drei
Unterredungen, die ini Oktober des folgenden Jahres stattfanden. Der
König kam Sonnabend den 15. Oktober zu Mittag in Leipzig an und nahm
diesmal, wie von nun an immer, im Apelischen Hause am Markte (Markt
Ur. 2), dem regelmäßigen Absteigequartier des kursächsischen Hofes in Leipzig,
Wohnung. Die Universität schickte wieder vier Professoren an ihn, um ihn
zu bewillkommnen. Der König fragte sie allerlei über die Wissenschaften, in
denen sie unterrichteten, namentlich über Geschichte und Philosophie, und er¬
kundigte sich dann, ob Professor Gottsched und seine Frau augenblicklich in
Leipzig wären. Da ihm dies bejaht wurde, sandte er bereits um ein Uhr einen
Boten, der Gottsched nach drei Uhr zum Könige beschied. Gottsched hatte vorher
noch einen Gang in die Fakultät zur Dekanswahl. Während er noch dort
war, gegen halb drei Uhr, kam ein zweiter königlicher Bedienter und bat ihn,
seine Ankunft zu beschleunigen, da der König schon nach ihm gefragt habe.

"Ich erschien denn wirklich -- erzählt nun Gottsched in dem Briefe an Flott-
wcll -- vor dem Schlage drei in seinem Vorzimmer. Ich werde gemeldet und
hereingerufen. Der Herr stehet vor einem Kamin, den Hut unter dem Arme
und die Hände auf dem Rücken, als um sich zu Wärmen. Ich näherte mich
ihm und tussete ihm den Rock. Seine Worte waren: Ich habe neulich nicht
recht mit ihm sprechen können und wollte doch gerne etwas mehr mit ihm
bekannt werden. Sage er mir, hat seine Frau den Bayle*) übersetzt? -- Nein,
Ew. Majestät, das wäre wohl zu viel Arbeit für ein Frauenzimmer. -- So
hat er ihn denn selbst gemacht? -- Auch ich habe es nicht gethan, allergnädigster
Herr, sondern ein andrer Gelehrter, Königslvwen, der schon tot ist. -- Was
hat er denn dabei gethan? -- Ich habe ihn durchgehends mit dem Original
verglichen und ausgebessert, auch Anmerkungen dazu gemacht. -- Also ist er
nun recht übersetzt, auch überall Wohl getroffen? -- Ja, Ew. Majestät, soviel
die juristische Schreibart des Übersetzers**) solches zugelassen. In Ansehung
der Sachen stehe ich dafür; in Ansehung des 8tM kann Bayle nichts verlieren,
da er der größte Stilist uicht ist. -- Wie kann er von des Bayle 8dito ur-
theilen, hat er ihn denn recht gelesen? -- Zwei bis dreimal, weil ich ihn bei
der Edition zwei bis dreimal korrigiren und revidiren müssen; so viel Französisch
aber habe ich schon aus audern Büchern gelernet, daß ich von Bayle und seiner
Schreibart urteilen kann. -- Was hat Bayle für Fehler? u. s. w.--Denken
Sie, lieber Freund, was das für ein ox-iinEn rigorosurn war! Aber ich gab
ihm zur Antwort, indem ich fortfuhr,***) worauf er erwiederte: Das ist wahr,
das ist sein Fehler. --- Und um ihm zu zeigen, daß ich auch davon urteilen
konnte, hub ich an, französisch zu reden; denn bis dahin hatten wir lauter



*) Das große t)ioiicmr>Ä,ire. bigtoricius vt orni^no. -- **) Abschrift steht: des
Nbersetzcns, was keinen Sinn giebt. -- "**) Hier muß etwas ausgefallen sein.
Friedrich der Große und Gottsched.

Wichtiger als diese erste, ziemlich flüchtige Begegnung sind die drei
Unterredungen, die ini Oktober des folgenden Jahres stattfanden. Der
König kam Sonnabend den 15. Oktober zu Mittag in Leipzig an und nahm
diesmal, wie von nun an immer, im Apelischen Hause am Markte (Markt
Ur. 2), dem regelmäßigen Absteigequartier des kursächsischen Hofes in Leipzig,
Wohnung. Die Universität schickte wieder vier Professoren an ihn, um ihn
zu bewillkommnen. Der König fragte sie allerlei über die Wissenschaften, in
denen sie unterrichteten, namentlich über Geschichte und Philosophie, und er¬
kundigte sich dann, ob Professor Gottsched und seine Frau augenblicklich in
Leipzig wären. Da ihm dies bejaht wurde, sandte er bereits um ein Uhr einen
Boten, der Gottsched nach drei Uhr zum Könige beschied. Gottsched hatte vorher
noch einen Gang in die Fakultät zur Dekanswahl. Während er noch dort
war, gegen halb drei Uhr, kam ein zweiter königlicher Bedienter und bat ihn,
seine Ankunft zu beschleunigen, da der König schon nach ihm gefragt habe.

„Ich erschien denn wirklich — erzählt nun Gottsched in dem Briefe an Flott-
wcll — vor dem Schlage drei in seinem Vorzimmer. Ich werde gemeldet und
hereingerufen. Der Herr stehet vor einem Kamin, den Hut unter dem Arme
und die Hände auf dem Rücken, als um sich zu Wärmen. Ich näherte mich
ihm und tussete ihm den Rock. Seine Worte waren: Ich habe neulich nicht
recht mit ihm sprechen können und wollte doch gerne etwas mehr mit ihm
bekannt werden. Sage er mir, hat seine Frau den Bayle*) übersetzt? — Nein,
Ew. Majestät, das wäre wohl zu viel Arbeit für ein Frauenzimmer. — So
hat er ihn denn selbst gemacht? — Auch ich habe es nicht gethan, allergnädigster
Herr, sondern ein andrer Gelehrter, Königslvwen, der schon tot ist. — Was
hat er denn dabei gethan? — Ich habe ihn durchgehends mit dem Original
verglichen und ausgebessert, auch Anmerkungen dazu gemacht. — Also ist er
nun recht übersetzt, auch überall Wohl getroffen? — Ja, Ew. Majestät, soviel
die juristische Schreibart des Übersetzers**) solches zugelassen. In Ansehung
der Sachen stehe ich dafür; in Ansehung des 8tM kann Bayle nichts verlieren,
da er der größte Stilist uicht ist. — Wie kann er von des Bayle 8dito ur-
theilen, hat er ihn denn recht gelesen? — Zwei bis dreimal, weil ich ihn bei
der Edition zwei bis dreimal korrigiren und revidiren müssen; so viel Französisch
aber habe ich schon aus audern Büchern gelernet, daß ich von Bayle und seiner
Schreibart urteilen kann. — Was hat Bayle für Fehler? u. s. w.--Denken
Sie, lieber Freund, was das für ein ox-iinEn rigorosurn war! Aber ich gab
ihm zur Antwort, indem ich fortfuhr,***) worauf er erwiederte: Das ist wahr,
das ist sein Fehler. —- Und um ihm zu zeigen, daß ich auch davon urteilen
konnte, hub ich an, französisch zu reden; denn bis dahin hatten wir lauter



*) Das große t)ioiicmr>Ä,ire. bigtoricius vt orni^no. — **) Abschrift steht: des
Nbersetzcns, was keinen Sinn giebt. — "**) Hier muß etwas ausgefallen sein.
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[0528] Friedrich der Große und Gottsched. Wichtiger als diese erste, ziemlich flüchtige Begegnung sind die drei Unterredungen, die ini Oktober des folgenden Jahres stattfanden. Der König kam Sonnabend den 15. Oktober zu Mittag in Leipzig an und nahm diesmal, wie von nun an immer, im Apelischen Hause am Markte (Markt Ur. 2), dem regelmäßigen Absteigequartier des kursächsischen Hofes in Leipzig, Wohnung. Die Universität schickte wieder vier Professoren an ihn, um ihn zu bewillkommnen. Der König fragte sie allerlei über die Wissenschaften, in denen sie unterrichteten, namentlich über Geschichte und Philosophie, und er¬ kundigte sich dann, ob Professor Gottsched und seine Frau augenblicklich in Leipzig wären. Da ihm dies bejaht wurde, sandte er bereits um ein Uhr einen Boten, der Gottsched nach drei Uhr zum Könige beschied. Gottsched hatte vorher noch einen Gang in die Fakultät zur Dekanswahl. Während er noch dort war, gegen halb drei Uhr, kam ein zweiter königlicher Bedienter und bat ihn, seine Ankunft zu beschleunigen, da der König schon nach ihm gefragt habe. „Ich erschien denn wirklich — erzählt nun Gottsched in dem Briefe an Flott- wcll — vor dem Schlage drei in seinem Vorzimmer. Ich werde gemeldet und hereingerufen. Der Herr stehet vor einem Kamin, den Hut unter dem Arme und die Hände auf dem Rücken, als um sich zu Wärmen. Ich näherte mich ihm und tussete ihm den Rock. Seine Worte waren: Ich habe neulich nicht recht mit ihm sprechen können und wollte doch gerne etwas mehr mit ihm bekannt werden. Sage er mir, hat seine Frau den Bayle*) übersetzt? — Nein, Ew. Majestät, das wäre wohl zu viel Arbeit für ein Frauenzimmer. — So hat er ihn denn selbst gemacht? — Auch ich habe es nicht gethan, allergnädigster Herr, sondern ein andrer Gelehrter, Königslvwen, der schon tot ist. — Was hat er denn dabei gethan? — Ich habe ihn durchgehends mit dem Original verglichen und ausgebessert, auch Anmerkungen dazu gemacht. — Also ist er nun recht übersetzt, auch überall Wohl getroffen? — Ja, Ew. Majestät, soviel die juristische Schreibart des Übersetzers**) solches zugelassen. In Ansehung der Sachen stehe ich dafür; in Ansehung des 8tM kann Bayle nichts verlieren, da er der größte Stilist uicht ist. — Wie kann er von des Bayle 8dito ur- theilen, hat er ihn denn recht gelesen? — Zwei bis dreimal, weil ich ihn bei der Edition zwei bis dreimal korrigiren und revidiren müssen; so viel Französisch aber habe ich schon aus audern Büchern gelernet, daß ich von Bayle und seiner Schreibart urteilen kann. — Was hat Bayle für Fehler? u. s. w.--Denken Sie, lieber Freund, was das für ein ox-iinEn rigorosurn war! Aber ich gab ihm zur Antwort, indem ich fortfuhr,***) worauf er erwiederte: Das ist wahr, das ist sein Fehler. —- Und um ihm zu zeigen, daß ich auch davon urteilen konnte, hub ich an, französisch zu reden; denn bis dahin hatten wir lauter *) Das große t)ioiicmr>Ä,ire. bigtoricius vt orni^no. — **) Abschrift steht: des Nbersetzcns, was keinen Sinn giebt. — "**) Hier muß etwas ausgefallen sein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/528>, abgerufen am 15.01.2025.