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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Das Malerische in der Plastik.

Zuvörderst ist, indem wir auf früher gesagtes zurückweisen und zunächst
die einzelne Relieffigur ins Auge fassen, zu betonen, daß die eigentümliche Um¬
formung, die im Relief mit der Gestalt runder Körper vorgenommen wird, doch
nicht anders bezeichnet werden kaun, denn als eine Art perspektivischer Behand¬
lung. Bei jeder einzelnen Relieffigur, mag sie eine Stellung haben, welche sie
will, kommt es darauf an, die einzelnen Teile derselben, deren Verhältnisse
thatsächlich vou den natürlichen verschieden sind, so zu behandeln, daß sie mit
diesen übereinzustimmen scheinen, die einen Teile räumlich mehr, als thatsächlich
der Fall ist, zurückliegend, die andern in entsprechendem Verhältnis vortretend
erscheinen zu lassen, diesen Formen also, z. B. den Formen der Brust einer in
die Dreiviertelsansicht gestellten Figur, durch eine gewisse Verkürzung und Ver¬
jüngung den Schein natürlicher Rundung zu geben.

Daß das Gesetz der geometrischen Perspektive, sofern es sich auf Dar¬
stellungen aus der Fläche bezieht, nicht direkt und ohne weiteres aus plastische
Formen angewendet werden kann, liegt in der Natur der Sache. Es wird nur
eine Anpassung möglich sein. Selbst die cbcnflächigen Formen architektonischer
Hintergründe können nicht ganz streng nach diesem Gesetz behandelt werden,
obschon sie demselben offenbar weit leichter als die Formen runder Körper
angepaßt werden können. Das Gesetz dieser Anpassung zu finden, wäre jene
von der Mathematik zu lösende Aufgabe.

Nun will aber bei der reliesistischen Umgestaltung der Formen die Licht-
und Schattenwirkung in ganz besondrer Weise berücksichtigt sein. Die Beleuchtung
ist von außen gegeben, die Schatten können daher, um eine signifikante Wendung
Haucks zu gebrauchen, bei dieser Umgestaltung der Formen nicht, wie es sein
sollte, rcliefistisch mit umgeformt werden, sodaß, vom bloß geometrischen Ge¬
sichtspunkte genommen, eigentlich jede Art, jeder Grad der reliesistischen Ver¬
kürzung mit den durch die natürliche Beleuchtung erzeugten Schatten in Widerspruch
stehen muß. Auch wird sich die künstlerische Praxis dem theoretischen Ideal
einer absolute" Übereinstimmung, zumal da die natürliche Beleuchtung doch
immer wechselt, stets nnr annähern können.

Die Forderung ist, in der reliesistischen Umgestaltung der Formen, in der
Modellirung des Reliefs die Licht- und Schattenwirkung so zu berechnen, daß
sie derjenigen entspricht, die sich an der vollen körperlichen Rundung dieser
Formen ergeben würde. "Um die eigenartige Nundung eines Objekts, bemerkt
Hauck, im Relief, auch bei schwächerer Erhebung, zum charakteristischen Ausdruck
zu bringen, muß die Modellirung eine derartige sein, daß die Licht- und
Schattenabtönungcn im Relief möglichst übereinstimmen mit den natürlichen
Verhältnissen, sodaß etwa eine photographische Aufnahme es nachträglich
zweifelhaft erscheinen läßt, ob das Original Relief oder Vvllrnnd war." Die
Art der Modellirung, durch welche dies zu erreichen ist, wird gewissermaßen
auf einem Kompromiß zwischen den geometrischen Forderungen und der Rücksicht


Grenzboten IV. 1385. 62
Das Malerische in der Plastik.

Zuvörderst ist, indem wir auf früher gesagtes zurückweisen und zunächst
die einzelne Relieffigur ins Auge fassen, zu betonen, daß die eigentümliche Um¬
formung, die im Relief mit der Gestalt runder Körper vorgenommen wird, doch
nicht anders bezeichnet werden kaun, denn als eine Art perspektivischer Behand¬
lung. Bei jeder einzelnen Relieffigur, mag sie eine Stellung haben, welche sie
will, kommt es darauf an, die einzelnen Teile derselben, deren Verhältnisse
thatsächlich vou den natürlichen verschieden sind, so zu behandeln, daß sie mit
diesen übereinzustimmen scheinen, die einen Teile räumlich mehr, als thatsächlich
der Fall ist, zurückliegend, die andern in entsprechendem Verhältnis vortretend
erscheinen zu lassen, diesen Formen also, z. B. den Formen der Brust einer in
die Dreiviertelsansicht gestellten Figur, durch eine gewisse Verkürzung und Ver¬
jüngung den Schein natürlicher Rundung zu geben.

Daß das Gesetz der geometrischen Perspektive, sofern es sich auf Dar¬
stellungen aus der Fläche bezieht, nicht direkt und ohne weiteres aus plastische
Formen angewendet werden kann, liegt in der Natur der Sache. Es wird nur
eine Anpassung möglich sein. Selbst die cbcnflächigen Formen architektonischer
Hintergründe können nicht ganz streng nach diesem Gesetz behandelt werden,
obschon sie demselben offenbar weit leichter als die Formen runder Körper
angepaßt werden können. Das Gesetz dieser Anpassung zu finden, wäre jene
von der Mathematik zu lösende Aufgabe.

Nun will aber bei der reliesistischen Umgestaltung der Formen die Licht-
und Schattenwirkung in ganz besondrer Weise berücksichtigt sein. Die Beleuchtung
ist von außen gegeben, die Schatten können daher, um eine signifikante Wendung
Haucks zu gebrauchen, bei dieser Umgestaltung der Formen nicht, wie es sein
sollte, rcliefistisch mit umgeformt werden, sodaß, vom bloß geometrischen Ge¬
sichtspunkte genommen, eigentlich jede Art, jeder Grad der reliesistischen Ver¬
kürzung mit den durch die natürliche Beleuchtung erzeugten Schatten in Widerspruch
stehen muß. Auch wird sich die künstlerische Praxis dem theoretischen Ideal
einer absolute» Übereinstimmung, zumal da die natürliche Beleuchtung doch
immer wechselt, stets nnr annähern können.

Die Forderung ist, in der reliesistischen Umgestaltung der Formen, in der
Modellirung des Reliefs die Licht- und Schattenwirkung so zu berechnen, daß
sie derjenigen entspricht, die sich an der vollen körperlichen Rundung dieser
Formen ergeben würde. „Um die eigenartige Nundung eines Objekts, bemerkt
Hauck, im Relief, auch bei schwächerer Erhebung, zum charakteristischen Ausdruck
zu bringen, muß die Modellirung eine derartige sein, daß die Licht- und
Schattenabtönungcn im Relief möglichst übereinstimmen mit den natürlichen
Verhältnissen, sodaß etwa eine photographische Aufnahme es nachträglich
zweifelhaft erscheinen läßt, ob das Original Relief oder Vvllrnnd war." Die
Art der Modellirung, durch welche dies zu erreichen ist, wird gewissermaßen
auf einem Kompromiß zwischen den geometrischen Forderungen und der Rücksicht


Grenzboten IV. 1385. 62
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[0497] Das Malerische in der Plastik. Zuvörderst ist, indem wir auf früher gesagtes zurückweisen und zunächst die einzelne Relieffigur ins Auge fassen, zu betonen, daß die eigentümliche Um¬ formung, die im Relief mit der Gestalt runder Körper vorgenommen wird, doch nicht anders bezeichnet werden kaun, denn als eine Art perspektivischer Behand¬ lung. Bei jeder einzelnen Relieffigur, mag sie eine Stellung haben, welche sie will, kommt es darauf an, die einzelnen Teile derselben, deren Verhältnisse thatsächlich vou den natürlichen verschieden sind, so zu behandeln, daß sie mit diesen übereinzustimmen scheinen, die einen Teile räumlich mehr, als thatsächlich der Fall ist, zurückliegend, die andern in entsprechendem Verhältnis vortretend erscheinen zu lassen, diesen Formen also, z. B. den Formen der Brust einer in die Dreiviertelsansicht gestellten Figur, durch eine gewisse Verkürzung und Ver¬ jüngung den Schein natürlicher Rundung zu geben. Daß das Gesetz der geometrischen Perspektive, sofern es sich auf Dar¬ stellungen aus der Fläche bezieht, nicht direkt und ohne weiteres aus plastische Formen angewendet werden kann, liegt in der Natur der Sache. Es wird nur eine Anpassung möglich sein. Selbst die cbcnflächigen Formen architektonischer Hintergründe können nicht ganz streng nach diesem Gesetz behandelt werden, obschon sie demselben offenbar weit leichter als die Formen runder Körper angepaßt werden können. Das Gesetz dieser Anpassung zu finden, wäre jene von der Mathematik zu lösende Aufgabe. Nun will aber bei der reliesistischen Umgestaltung der Formen die Licht- und Schattenwirkung in ganz besondrer Weise berücksichtigt sein. Die Beleuchtung ist von außen gegeben, die Schatten können daher, um eine signifikante Wendung Haucks zu gebrauchen, bei dieser Umgestaltung der Formen nicht, wie es sein sollte, rcliefistisch mit umgeformt werden, sodaß, vom bloß geometrischen Ge¬ sichtspunkte genommen, eigentlich jede Art, jeder Grad der reliesistischen Ver¬ kürzung mit den durch die natürliche Beleuchtung erzeugten Schatten in Widerspruch stehen muß. Auch wird sich die künstlerische Praxis dem theoretischen Ideal einer absolute» Übereinstimmung, zumal da die natürliche Beleuchtung doch immer wechselt, stets nnr annähern können. Die Forderung ist, in der reliesistischen Umgestaltung der Formen, in der Modellirung des Reliefs die Licht- und Schattenwirkung so zu berechnen, daß sie derjenigen entspricht, die sich an der vollen körperlichen Rundung dieser Formen ergeben würde. „Um die eigenartige Nundung eines Objekts, bemerkt Hauck, im Relief, auch bei schwächerer Erhebung, zum charakteristischen Ausdruck zu bringen, muß die Modellirung eine derartige sein, daß die Licht- und Schattenabtönungcn im Relief möglichst übereinstimmen mit den natürlichen Verhältnissen, sodaß etwa eine photographische Aufnahme es nachträglich zweifelhaft erscheinen läßt, ob das Original Relief oder Vvllrnnd war." Die Art der Modellirung, durch welche dies zu erreichen ist, wird gewissermaßen auf einem Kompromiß zwischen den geometrischen Forderungen und der Rücksicht Grenzboten IV. 1385. 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/497>, abgerufen am 15.01.2025.